Die verdrängte polnische Perspektive: Was Kaufner ignoriert – und was die Akten belegen
Die Diskussion zwischen dem AfD-Abgeordneten Kaufner und Wawrzyszko zur deutsch-polnischen Geschichte geht in die nächste Runde. In ihrer neuen Replik betont Wawrzyszko die Bedeutung historischer Präzision und übt Kritik an ihrer Meinung nach zu vereinfachenden Deutungen.
Die Debatte zwischen Kaufner und Wawrzyszko zur deutsch-polnischen Geschichte reißt nicht ab. (Symbolbild)
© IMAGO / DepositphotosDie Debatte über die polnisch-deutsche Geschichte erfordert Präzision, Zuverlässigkeit und die Vermeidung von Vereinfachungen. In der öffentlichen Diskussion tauchen weiterhin Interpretationen auf, die eher auf journalistischen Narrativen als auf historischen Fakten basieren, was einen sachlichen Dialog erschwert. Der folgende Text ist ein Versuch, die zentralen Fragen zu ordnen und die Elemente aufzuzeigen, die für eine fundierte Diskussion notwendig sind.

Sachlichkeit statt Beleidigungen
Die Aussage Kaufners, bei mir zeichne sich eine „defensive Haltung“ ab, die „nationalistisch-chauvinistische Positionen als wertneutrale Grundlage“ annehme, ist in sich widersprüchlich und enthält ein semantisches Paradoxon. „Chauvinismus“ ist per Definition aggressiv und nicht defensiv. Diese unangebrachte und widersprüchliche Rhetorik erschwert eine sachliche Diskussion.
Der Vorwurf, ich handele aus nationalistisch-chauvinistischen Motiven, ist unbegründet. Ich empfinde keine Überlegenheit gegenüber Deutschen; ein Teil meiner Familie hat deutsche Wurzeln, und ich arbeite täglich mit Deutschen zusammen. Psychologisierende Etiketten fördern keinen sachlichen Dialog, sondern verzerren ihn. Wir brauchen Sachlichkeit und keine Beleidigungen.
Seine Erwiderung zeigt, dass seine Thesen nicht auf fundiertem historischem Wissen beruhen, sondern auf einem Set vereinfachter Schlagworte. Dies betrifft sowohl die Geschichte Deutschlands im letzten Jahrhundert als auch die komplexen polnisch-deutschen Beziehungen. Seine Thesen sind eher Schlagworte, die einer bestimmten Erzählung dienen, und stellen keine fundierte historische Analyse dar.
Beispiel – Geste Willy Brandts
Ein Beispiel ist Kaufners Bezug auf den Kniefall Willy Brandts vom 7. Dezember 1970 in Warschau. Er behauptet, Polen kennen „nur die Kniefall-BRD“ und man müsse die polnisch-deutschen Beziehungen von etablierten Geschichtsmythen „befreien“, um sie auf Augenhöhe neu zu definieren. Kaufner übersieht, dass sich Brandts Geste nicht an Polen richtete, sondern an die jüdische Gemeinschaft in Polen, deren Angehörige von deutschen Nationalsozialisten ermordet wurden. Brandt kniete vor dem Denkmal für die Helden des Warschauer Ghettos und nicht am Grab des Unbekannten Soldaten, wo zuvor eine andere Zeremonie stattfand.
Polen fordern keine unterwürfigen Gesten, sondern die Anerkennung der polnischen Opfer und die Wiedergutmachung für den Völkermord an den Polen. Nicht mehr und nicht weniger. Wie dies gelingen kann, ist Gegenstand der Debatte.
Historische Bildung fördert Verständigung
Dieses Beispiel zeigt die Notwendigkeit einer fundierteren Darstellung der polnisch-deutschen Geschichte im Bildungsbereich. Denn solche Meinungen – ohne wissenschaftliche Grundlage und oft unter Missachtung historiografischer Erkenntnisse – führen zu falschen Interpretationen und nicht selten zur Umkehrung von Ursache und Wirkung historischer Ereignisse. Es geht nicht um „Geschichtsklitterung“, sondern um das Streben nach Verständigung auf Grundlage von Fakten und Verhältnismäßigkeit. Bildung soll unsere Verständigung fördern, nicht manipulieren.
Unterricht in der Muttersprache
Kaufners Darstellungen über den muttersprachlichen Unterricht stehen im Widerspruch zu den Bestimmungen des deutsch-polnischen Nachbarschaftsvertrags von 1991, ratifiziert vom Bundestag und Bundesrat. Dieses Dokument schuf einen Rahmen für gegenseitigen Respekt und gute Zusammenarbeit. Polen erkannte und garantierte die Rechte der deutschen Minderheit, Deutschland die kulturellen und sprachlichen Rechte der in Deutschland lebenden Polen. Die Durchsetzung dieser Bestimmungen ist keine Forderung nach „Privilegien“, sondern nach Einhaltung geltenden Rechts. Seit 2004 gilt zusätzliches EU-Recht, das den Bürgern der Union den Zugang zum Unterricht in ihrer Muttersprache sichert.
Es ist auch wichtig zu erinnern, dass Polen seit mindestens 150 Jahren als Bürger in Deutschland leben. Viele erhielten bereits nach den Teilungen Polens die preußische Staatsbürgerschaft und ab 1871 die Staatsbürgerschaft des Deutschen Reiches. Die „Ruhrpolen“ waren somit Staatsbürger und keine Ausländer im heutigen Sinne.
Verständigung erfordert historische Kenntnisse
Die Debatte über die polnisch-deutsche Geschichte ist nicht schwierig, weil auf einer Seite Emotionen dominieren, sondern weil festgestellte Fakten ignoriert werden. Daher ist fundierte historische Bildung und ein verbesserter Zugang zum Sprachunterricht von zentraler Bedeutung – dies würde die Qualität des Dialogs spürbar verbessern.
Die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages „Deutsche Minderheiten in der Zwischenkriegszeit“ (2016) beweist, dass die von Kaufner wiederholte Zahl von zwei Millionen Deutschen im Polen der Zwischenkriegszeit völlig überhöht ist. Sowohl deutsche wie polnische zeitgenössische Volkszählungen sprechen von etwa 1,1 Mio. Menschen. Die Gründe für deren Verringerung zwischen 1919–1921 waren vielfältig: das Optionsmodell des Versailler Vertrags, der Verlust früherer gesellschaftlicher Positionen, das Gefühl kultureller Überlegenheit der Deutschen gegenüber Polen, wirtschaftliche Schwierigkeiten des jungen polnischen Staates sowie der Krieg gegen Sowjetrussland.
Kaufner ignoriert zudem die Situation der polnischen Minderheit in Deutschland sowie die Tatsache, dass die Weimarer Republik eine anti-polnische Politik betrieb – sowohl administrativ als auch gesellschaftlich. Erst die Berücksichtigung beider Perspektiven ermöglicht eine ausgewogene Darstellung und historisch angemessene Beurteilung.
Ich weise die These eines angeblichen „Völkermords“ an den Deutschen in der Zwischenkriegszeit und danach ab – nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil sie in der historischen Forschung nicht bestätigt wird. Problematisch ist auch die Verwendung von Begriffen wie „ethnische Säuberungen“, die die Komplexität der Jahre 1918–1939 nicht erfassen.
Die oben genannte Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes bestätigt, dass die deutsche Auswanderung aus Polen zwischen 1919–1921 vielfältige Ursachen hatte. Außerdem weist der Dienst darauf hin, dass die Politik Polens gegenüber der deutschen Minderheit in vieler Hinsicht eine Reaktion auf die frühere preußische Politik gegenüber seinen polnischen Bürgern war – ein Aspekt, den Kaufner konsequent auslässt.
Debatte zum Projekt „Deutsch-Polnisches Haus“
Wenn die Bundesregierung ein „Deutsch-Polnisches Haus“ plant, sind öffentliche Konsultationen, auch mit polnischen Experten, ein natürlicher Bestandteil des Prozesses. Bisher gab es diese nicht, und die Veranstaltung am 8. Oktober 2025 im Bundestag ermöglichte die Darstellung der polnischen Perspektive.
Prof. Nowak unterstützt die Idee des Projekts, weist jedoch zu Recht auf die Marginalisierung der Geschichte slawischer Völker in der deutschen Erinnerungskultur hin. Diese Kritik stützt sich auf die Ergebnisse der MEMO II-Studie (Universität Bielefeld, 2019). Streitpunkte bleiben u. a. die fehlende Verwendung des Begriffs „Völkermord“ und Tendenzen, Polen eine Mitschuld, -täterschaft oder -verantwortung am Holocaust anhängen zu wollen.
Fazit
Die Debatte über die polnisch-deutsche Geschichte ist notwendig, da sie die heutigen Beziehungen der beiden Nationen stark beeinflusst und sich dies nicht ändern wird. Zu oft wird sie jedoch durch Vereinfachungen, Etikettierungen und Emotionen belastet. Die Konzentration von Herrn Kaufner auf meine Person und der Versuch, meine angeblich schlechten Intentionen wegen meiner angeblich „nationalchauvinistischer Position“ zu ergründen, sind inakzeptabel.
Um die Verständigung zu verbessern, sind erforderlich:
fundierte historische Kenntnisse,
ein vergleichender Ansatz, der die Erfahrungen beider Seiten berücksichtigt,
bessere Sprachkompetenzen.
Nur eine Argumentation auf Basis wissenschaftlicher Forschung und Rechtsstaatlichkeit kann zu echtem Verständnis führen und – in der Zukunft – die Entwicklung gemeinsamer Interessen ermöglichen.



