Drei Gründe: Warum das BSW auf dem Parteienfriedhof angekommen ist
Dem BSW wurde in den vergangenen Monaten viel Potenzial zugeschrieben, dennoch verpasste die Partei zuletzt den Einzug in den Bundestag. In seiner Analyse für FREILICH zeigt Daniel Fiß auf, welche Gründe dazu geführt haben und warum die Partei vor dem politischen Aus stehen könnte.
Das BSW unter Wagenknecht verpasste zuletzt knapp den Einzug in den Bundestag.
© IMAGO / Political-MomentsVor knapp zwei Jahren schrieb ich in einem Beitrag für die Sezession im Netz Folgendes:
„Wagenknecht hat keine konkrete Lücke, keinen politischen Freiraum oder Standort, von dem aus sie ein einzigartiges politisches Angebot liefern könnte, das nicht bereits über die bestehende Parteienkonfiguration abgebildet wird.“
Zu diesem Zeitpunkt war Wagenknechts Parteigründung noch eine reine Arbeitshypothese, deren Wählerpotenziale sich in rein spekulativen Sphären bewegten. Zwei Jahre später ist die Partei an zwei Regierungen in Ostdeutschland beteiligt und verpasst nur knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag. Die Erwartungen an das BSW waren vor und nach der Parteigründung hoch. Das Meinungsforschungsinstitut Insa prognostizierte zwischenzeitlich Potenziale zwischen 15 und 17 Prozent und spekulierte über die Abwanderung von mindestens einem Drittel der AfD-Wählerschaft. Solche Szenarien sind bekanntlich nicht einmal ansatzweise eingetreten. Dafür gibt es mehrere Gründe, die unter anderem in den strukturellen Bedingungen und Grenzen des Parteienwettbewerbs und der Diskurslandschaft liegen.
Fehlende Alleinstellungsmerkmale in Programmatik und Diskurs
Erfolg oder Misserfolg neuer Parteien hängen maßgeblich vom diskursiven Umfeld ab, das sich immer auch in einer gesellschaftlichen Konfliktstruktur widerspiegelt, die von entsprechenden sozialen Milieus getragen wird. Es bedarf realer Repräsentationslücken, in die neue Parteien stoßen und in denen sie eine konfrontative Position zum dominanten Agenda-Setting der etablierten Parteienlandschaft einnehmen. Beginnend mit der Euro-Kritik und später mit der Ablehnung der Massenmigration konnte die AfD einen diskursiven Raum erobern, der ihr einen politischen Alleinvertretungsanspruch ermöglichte. Ähnliche Muster zeigten sich bereits bei den Wahlerfolgen anderer rechter Parteien Anfang der 1990er- und 2000er-Jahre.
Wagenknecht ist seit Jahren eine schillernde und auch polarisierende politische Persönlichkeit. Beginnend mit ihrer Kritik an den Coronamaßnahmen und der Massenmigration wurde sie in ihrer ursprünglichen politischen Heimat, der Linken, zu einer innerparteilichen Außenseiterin, die inhaltlich verachtet, aber aufgrund ihrer Popularität als strategischer Baustein für Wahlkämpfe benötigt wurde. Migrationskritik von links: Diese scheinbare Ambivalenz schlug sich zunächst nur in intellektuellen Debatten nieder, in denen auf den Zusammenhang von ungebremster Zuwanderung mit ökonomischen Verdrängungskämpfen und sozialen Konflikten verwiesen wurde.
Wagenknecht hat diesen bis dahin eher exotischen Gedankenzusammenhang auf die große politische Bühne geholt. Das machte das BSW-Projekt gerade in seiner Frontstellung zur AfD interessant und spannend. In der tatsächlichen Programmatik, in den Forderungen und im Auftreten blieb das Thema Migration jedoch nur ein Randthema. Auf der Website finden sich vier Grundsätze („Wirtschaftliche Vernunft“, „Soziale Gerechtigkeit“, „Frieden“, „Freiheit“) sowie eine umfangreiche FAQ, in der Migrationskritik kaum thematisiert wird. Stattdessen finden sich nur banale Allgemeinplätze, die wirtschaftspolitisch auch von der CDU und sozialpolitisch von der Linkspartei stammen könnten.
Die Narrative des BSW sind auserzählt, die politische Nachfrage ist gesunken
Wagenknecht konnte insbesondere mit ihrer friedenspolitischen Positionierung im Ukrainekrieg Aufmerksamkeit erregen. Doch auch dieses Momentum scheint nun zu spät gekommen zu sein. Zudem gilt der alte Grundsatz: Mit außenpolitischen Themen gewinnt man keinen Wahlkampf. Der Wahlkampf wurde von Themen wie innere Sicherheit und Migration dominiert. Im Forderungs- und Positionierungswettbewerb zwischen AfD und Unionsparteien konnte das BSW keine eigenen Akzente setzen. Auch beim Thema soziale Gerechtigkeit konnte das BSW kaum mit der politischen Konkurrenz mithalten. Nur fünf Prozent der Wähler sahen im BSW ein besonderes Kompetenzprofil für soziale Sicherheit. Bei der Linkspartei waren es hingegen 16 Prozent.
Dem BSW fehlte ein thematisches Profil. Es fehlten Alleinstellungsmerkmale und konkrete Polarisierungsmomente. Das gesamte Projekt war von Ängstlichkeit und Inkonsequenz geprägt. Hinzu kommt, dass Wagenknechts spielerische Idee eines deutschen „Linkskonservatismus“ – ähnliche Versuchsanordnungen gibt es bereits in einigen südeuropäischen Parteiensystemen – letztlich kraft- und ideenlos blieb. Für ein solch ambitioniertes politisches Projekt reicht es eben nicht aus, nur Rechenschaftsberichte über links-grüne und weltoffene Großstadtmilieus zu schreiben. Es braucht auch eine politisch-ideologische Gestaltungsidee. Der Symbioseversuch, linke Sozial- und Wirtschaftspolitik mit einer konservativen Gesellschaftsvision zu verbinden, muss als gescheitert betrachtet werden und wird auch in Zukunft scheitern, wenn es keine Einsicht in die aktuellen kulturellen Konfliktstrukturen gibt.
Im Establishment angekommen
Junge Parteien wachsen und leben von ihrem Anti-Establishment-Nimbus. Wagenknecht wollte die Fehler der Vergangenheit vermeiden und das BSW zunächst als disziplinierte Kaderpartei aufbauen. Die beiden Regierungsbeteiligungen in Brandenburg und Thüringen ließen jedoch schnell erste innerparteiliche Brüche erkennen. Nach den Ostwahlen stand das BSW vor der Frage, ob es seinen Kern als disruptive politische Kraft erhalten oder sich in das Establishment und damit auch in die Abwehrstrukturen gegen die AfD integrieren wollte. Letztlich hat man sich für Letzteres entschieden und damit automatisch die Anti-Establishment-Position abgeschliffen.
Die Partei hat sich einen fundamentalen Rollen- und Identitätskonflikt ins Haus geholt, der sie auch in der bundesweiten außerparlamentarischen Opposition noch lange (mindestens bis zu den nächsten Landtagswahlen im Osten) beschäftigen wird. Es ist daher nicht spekulativ zu vermuten, dass das BSW auf dem großen bundesrepublikanischen Parteienfriedhof landen wird.