Exklusiv: Hinter den Kulissen – Was das ZDF wirklich über Reformen denkt
Ende Oktober planten führende ZDF-Mitarbeiter das Vorgehen gegen die angekündigte Rundfunkreform. FREILICH erhielt einen Mitschnitt der internen Veranstaltung.
Von links nach rechts: Karin Brieden, Dr. Nadine Bilke, Bettina Schausten (verdeckt), Dr. Michael Rombach, Peter Weber, im Vordergrund: Dr. Norbert Himmler.
© Screenshot ZDF-Treffen, Bildmontage FREILICH„Bitte, das muss auch unter uns bleiben“, beschwört ZDF-Intendant Norbert Himmler an die 200 Mitarbeiter, die sich am 30. Oktober 2024 in einer spärlich beleuchteten Halle versammelt haben. Die nichtöffentliche Veranstaltung, in die sich per Videoübertragung auch Kollegen über Microsoft Teams einschalten, ist gut besucht. Die Stimmung gespannt. Es geht um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Am 26. September 2024 hatten die Ministerpräsidenten den Entwurf eines Rundfunkreformstaatsvertrags vorgelegt. Darin ist von weitreichenden Umstrukturierungen und Programmkürzungen die Rede. ZDF-Boss Himmler, der ein Monatsgehalt von 31.500 Euro bezieht, behauptet: Schuld an der drohenden Reform sei der erstarkende Populismus. Der habe bereits in anderen Ländern Europas dem staatsfinanzierten Rundfunk schwer zugesetzt. Himmler verrät: Die Mehrfachstrukturen beim Ersten und Zweiten Fernsehen sowie den neun Landesrundfunkanstalten böten viel Angriffsfläche. Doch der ZDF-Boss ist skeptisch, ob ein radikaler Bürokratieabbau die Gegner seiner Anstalt überhaupt zufriedenstellen würde: „Ob das dann die andere Seite, also den bösen Willen, den Populismus, […] das System ausreichend befriedigt hätte, Nicola [Mitarbeiterin und Fragestellerin, Anm. d. Red.] das wissen wir alle nicht“, sagt Himmler ins Publikum.
Rundfunkbeitrag: „Wir sind noch liquide“
Die Verwaltungsdirektorin Karin Brieden spricht neben Norbert Himmler und vier weiteren Geschäftsleitern zur aufgewühlten Menge und versichert mit einem Augenzwinkern: „Wir sind noch liquide.“ Obwohl es schon Ende des Monats sei, bestehe kein Grund zur Sorge: Die Gehälter würden sicher bald auf die Konten der Mitarbeiter eintreffen. Briedens Monatsgehalt? 23.000 Euro. Weitere Privilegien der ZDF-Geschäftsleitung: Aufwandsentschädigungen, Sachbezüge, die Erstattung von Reise- und Übernachtungskosten, die Bereitstellung eines Dienstwagens und weitere Gratifikationen.
Auch ZDF-Boss Himmler redet die Lage schön: Viel schlimmer sehe es doch in den europäischen Nachbarländern aus: „Also schauen wir nach Holland, schauen wir nach Belgien, schauen wir in die Schweiz, die ja mit dem Referendum zurzeit zu kämpfen haben. Überall sind Kürzungen des Budgets vorgesehen von zwischen 10 und 15 Prozent in den nächsten Jahren.“ Dem pflichtet Karin Brieden bei: Der ÖRR stehe in Deutschland noch gut da.
Denn von Kürzungen ist in der Bundesrepublik keine Rede: Nach Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Länder an die Empfehlungen der Gebührenkommission KEF halten. Und die hat für die Periode von 2025 bis 2028 sogar eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags von derzeit 18,36 auf 18,94 Euro empfohlen.
Aber die Länder wollen nicht mehr. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verkündete am 25. Oktober 2024 im heute journal: In den nächsten zwei Jahren werde der Rundfunkbeitrag nicht weiter steigen. In seiner Funktion als Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz sprach Kretschmer von „großen Einsparungen“. Diese wolle Kretschmer durch Programmkürzungen erreichen. Auch die „Qualität des Journalismus“ müsse sich beim ÖRR „deutlich erhöhen“.
ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten wittert dahinter den Versuch, ihre Anstalt mit Sparmaßnahmen auf Linie zu bringen: „Das klang sowohl bei Ministerpräsident Söder mal durch als auch bei Ministerpräsident Kretschmer aus Sachsen, der ja im heute journal war“, behauptet Schausten. „Und wenn es dann plötzlich sozusagen um die Art und die Qualität, in Anführungsstrichen, der journalistischen Berichterstattung geht, dann werde ich echt hellhörig. Denn da müssen wir uns natürlich auch mit allem, was wir haben, gegen wehren.“
Der medienpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt, Markus Kurze, weist diesen Vorwurf gegenüber FREILICH zurück. Der ÖRR müsse sich auf „das Wesentliche konzentrieren“. Nur so könne er in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage für die Beitragszahler „akzeptabel und bezahlbar“ bleiben. „Das mittelfristige Ziel müssen weitere deutliche Einsparungen bei Personal, Verwaltung und Strukturen sein,“ so Kurze. „Doppelstrukturen und überbordende Verwaltung können wir uns auch beim ÖRR zukünftig nicht mehr leisten.“
Doch von Sparplänen will ZDF-Boss Himmler nichts wissen. Seiner Belegschaft versichert er: „Diese Streichung der Kanäle ist symbolisch, da muss was wegfallen“. Wirkliche Einsparungen könne er, auch nach Rücksprache mit dem ZDF-Verwaltungsrat, allerdings nicht erkennen.
„Rundfunkgebühr nicht mehr zeitgemäß“
Die sächsische AfD-Landtagsfraktion fordert dagegen die komplette Abschaffung des ÖRR: „Eine Rundfunkzwangsgebühr passt nicht zu einer freiheitlichen Demokratie und sie passt auch nicht ins 21. Jahrhundert“, so der medienpolitische Sprecher Torsten Gahler. Die Nähe des Thüringer Verfassungsschutzpräsidenten Stephan Kramer zum MDR habe gezeigt, dass der ÖRR das Gebot der Staatsferne verletzt habe.
Eine Idee, wie seine Anstalt die Sparpläne der Länder unterlaufen könnte, hat Himmler schon in petto: Im Entwurf zum Rundfunkreformstaatsvertrag haben die Ministerpräsidenten nämlich festgeschrieben, dass der ÖRR den Dialog mit Nutzern in den Sozialen Medien ausbauen soll. In dem Moment, wo die Landtage dem Reformentwurf zustimmen, wäre das ZDF hierzu „staatsvertraglich beauftragt“, konkludiert Himmler. Und dann werde man bei der Gebührenkommission KEF erforderliche Mittel für diese Aufgabe beantragen.
Am 12. Dezember haben die Ministerpräsidenten jedoch entschieden, dass der Rundfunkbeitrag in den nächsten zwei Jahren nicht weiter steigen soll. Ab 2027 solle der Rundfunkbeitrag dann automatisch auf Vorschlag der KEF angepasst werden. Je nach Ausmaß der Erhöhung kann die KEF-Empfehlung von ein, zwei oder drei Ländern per Widerspruch gestoppt werden. Die Widerspruchregelung soll der Verfassungsbeschwerde des ÖRR den Wind aus den Segeln nehmen. ARD und ZDF hatten am 19. November in Karlsruhe darauf geklagt, den monatlichen Rundfunkbeitrag ab 2025 um 58 Cent auf 18,94 Euro anzuheben.
Die Landesregierungen wollen nicht nur die Kosten des ÖRR in den Griff bekommen. Auch das Angebot soll drastisch reduziert werden. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) forderte am 25. Oktober die Zusammenlegung zahlreicher TV-Kanäle. Einen Monat zuvor hatte Schweitzer mit seinen Kollegen einen Entwurf für eine Rundfunkreform lanciert. Darin ist von Einsparungen durch den „Abbau von Mehrfachstrukturen“ die Rede. In § 28a des Rundfunkreformstaatsvertrag wird angeregt, das Kulturprogramm 3sat zu zerschlagen und dem Konkurrenten Arte einzuverleiben. Die Infokanäle Phoenix, Tagesschau24, ZDFinfo und ARD-alpha sollen zu höchstens zwei Angeboten zusammengelegt werden. Von den Programmen für junge Menschen funk, ZDFneo, ARD One und KiKA sollen ein bis zwei Angebote eingestellt werden.
Programmreduzierung: „Was für ein Irrwitz!“
ZDF-Boss Norbert Himmler findet die Kürzungen bei den Kinder- und Jugendprogrammen besonders problematisch: „Was für ein Irrwitz in einer Zeit, wo gerade junge Leute mit Filterblasen und Fake-News ja überhäuft werden.“ Himmlers Versuch, junge Zuschauer mit Fakten-Checks zu erreichen, dürfte schwierig werden. Einer Insa-Umfrage vom 29. Oktober 2024 zufolge misstrauen 37 Prozent der 18- bis 29-Jährigen dem ÖRR. Nur 33 Prozent in dieser Altersgruppe halten Himmlers Anstalt für verlässlich. Dagegen vertrauen 65 Prozent der über 70-Jährigen dem ÖRR.
Von der Zuschauerbühne spricht ZDFneo-Chef Matthias Rode ein heikles Thema an: Der „Change-Prozess“ um ZDFneo sei eine große „Belastung“ für die Kollegen. Denn im nächsten Jahr werde der Sender für junge Erwachsene seine Eigenständigkeit verlieren. Dabei sei die Arbeit des ZDFneo-Teams „großartig“ und verdiene „allen Respekt“. Dem widerspricht Himmler nicht. Schließlich hat er ZDFneo vor 15 Jahren selber aus der Taufe gehoben. ZDFneo erreiche nur fünf Prozent seiner Zuschauer über das Internet, heißt es bei dem Treffen. Nach § 28a des Rundfunkreformstaatsvertrags soll ZDFneo aber Anfang 2027 ganz aus dem TV-Geschäft aussteigen und ein reiner Internetsender werden. Der Politik habe Himmler „gebetsmühlenartig“ gesagt: Der Sender erreiche jeden Monat unglaubliche 8,5 Millionen Zuschauer unter 50 Jahren über das Fernsehen. „Und wenn ihr das jetzt abdreht“, beschwört Himmler aus der ZDF-Halle die Ministerpräsidenten, „sind die von heute auf morgen weg.“
Ein erbitterter Machtkampf
ZDF-Chefredakteurin Bettina Schausten richtet besonders drastische Worte an die Ministerpräsidenten: „Es gab ja immer die Forderung auch aus der Politik: Beschränkt euch, entscheidet euch doch, ob ihr euch ein Bein abhacken möchtet oder einen Arm, am liebsten beides. Und das ist so dieser Ansatz gewesen, mit dem natürlich schwer umzugehen ist.“ Als Chefredakteurin beschränkt sich Schausten auf ein Monatsgehalt von 21.300 Euro.
Der Politik wirft Schausten Inkonsequenz vor. Und sie teilt auch ordentlich gegen die Kollegen vom ARD aus. Denn mit ZDFneo und ZDFinfo verfüge ihre Anstalt über ungemein erfolgreiche Digitalkanäle. „Dass die jetzt dann mal eben zur Disposition gestellt werden und in das gleiche Töpfchen kommen wie die unerfolgreichen der ARD, das ist zum Beispiel sowas, wo man nur den Kopf schüttelt.“
Die Diskussion um die geplante Zusammenlegung von ARD- und ZDF-Programmen macht deutlich: Zwischen dem Ersten und dem Zweiten Fernsehen tobt ein erbitterter Machtkampf. Ein Kampf, das geht aus Äußerungen beim Treffen hervor, den die ZDF-Bosse mit einem enormen Sendungsbewusstsein ausfechten. Bettina Schausten stellt klar: Das gemeinsam geführte Nachrichtenprogramm Phoenix werde auf keinen Fall an Tagesschau24 abgetreten. Das gelte auch für ZDFinfo, von dem alle wüssten, wie „erfolgreich“ und „essentiell“ es für ihre Anstalt sei.
ARD will sich nicht äußern
ZDF-Redakteur Hubert Krech steuert von der Zuschauertribüne einen besonders bizarren Einblick in die Beziehungen zwischen den Anstalten bei. Wenige Tage vor der Konferenz habe unter seinem Vorsitz die Arbeitsgemeinschaft der Redakteursausschüsse von ARD und ZDF getagt. Krech zufolge hätten die ARD-Redakteure ihre eigenen Info-Kanäle ARD-alpha und Tagesschau24 zur Disposition gestellt. Die Redakteure vom Ersten hätten „mit der Schulter gezuckt“ und „hysterisch gelacht“, als das Thema Programmkürzungen zur Sprache gekommen sei. Schließlich hätten Krechs Gesprächspartner erklärt, die ARD-Programme zusammenzulegen, um die Eigenständigkeit von ZDFneo und von ZDFinfo zu erhalten.
Eine ARD-Sprecherin wollte sich auf Anfrage nicht dazu äußern, ob tatsächlich die Absicht bestehe, die Eigenständigkeit von ARD-Programmen aufzugeben, um ZDFneo und ZDFinfo in der jetzigen Form zu erhalten. Zunächst müsse die Zustimmung der Landesparlamente zum Rundfunkreformstaatsvertrag abgewartet werden, so die Sprecherin.
Presseähnlichkeit: „Wie auf der mittelalterlichen Folterbank“
Nicht nur die Beitragszahler, sondern auch die Interessen der Zeitungsverlage sollen durch die Rundfunkreform geschützt werden. Der Verlegerverband BDZV moniert seit längerem, dass der ÖRR mit presseähnlichen Online-Texten die Meinungsvielfalt gefährde. Denn der gebührenfinanzierte ÖRR müsse nicht auf dem freien Markt um die Gunst von Lesern und Inserenten buhlen. Und verdränge so die Meinung der Zivilgesellschaft aus dem öffentlichen Diskurs.
Nach § 30 Absatz 7 des Rundfunkreformstaatsvertrags darf der ÖRR nur noch in Ausnahmefällen presseähnliche Texte im Netz veröffentlichen. Ausnahmen gelten etwa für Faktenchecks und Texte, die sich auf eine zuvor ausgestrahlte Sendung beziehen. ZDF-Justiziar Peter Weber, dessen Monatsgehalt bei 20.300 Euro liegt, vergleicht die Einschränkungen mit einer „mittelalterlichen Folterbank“. Die Diskussion um die Presseähnlichkeit sei rückwärtsgewandt.
Ein besorgter Mitarbeiter fragt von der Zuschauertribüne, ob der Netz-Auftritt des Nachrichtenprogramms ZDF heute von der Rundfunkreform betroffen sein könne. Die ZDF-Verwaltungsdirektorin Karin Brieden beschwichtigt: Bislang habe man über ZDFheute „keine einzige Beschwerde“ seitens der Zeitungsverleger erhalten. Die Anstalt werde ZDF heute auch in Zukunft „im Netz stark machen.“
Wie der ÖRR X zurückerobern will
ZDF-Redakteur Hubert Krech empfiehlt, in den Sozialen Medien den Fokus von Textbeiträgen auf Kurzvideos zu verlagern: „Und müssen wir nicht dann im Hauptprogramm und in dem verbleibenden Info oder so Sendungen erfinden, dass wir über den ganzen Tag hinweg Content haben für Online? Wir machen so was wie die heute live, bohren wir auf, senden die sechsmal am Tag und machen lauter Clips, die dann in Social gehen. (…) Weil was auf Twitter und so los ist, ist eine Katastrophe. Da schreit es ja danach.“
Krech verkündet nicht nur vollmundige Pläne, wie der ÖRR das verhasste Musk-Medium X (früher Twitter) zurückerobern kann. Der Redakteur hat auch eine Theorie, warum die Länder seiner Anstalt das Leben mit Regeln über presseähnliche Nachrichten so schwer machen. Hinter diesen Restriktionen stecke noch viel mehr als wir „uns ausdenken können“, raunt Krech ins Mikrofon. Für diesen „Kniefall vor den Verlegern“ sei möglicherweise NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) verantwortlich, mutmaßt Krech. Denn Wüst habe früher als Lobbyist für den Zeitungsverlegerverband BDZV gearbeitet. Unstrittig ist für Krech, dass es sich bei der Einschränkung presseähnlicher Nachrichten um eine „bewusste, mutwillige Schwächung“ des ÖRR handle.
Dieser Vorwurf der mutmaßlichen Vorteilsannahme konnte im Rahmen dieser Recherche nicht abschließend geklärt werden, denn die nordrhein-westfälische Landesregierung reagierte zur gesetzten Frist nicht auf eine Anfrage, wie sie die Mutmaßungen des ZDF-Redakteurs Krech gegenüber Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) beurteilt.