Felix Menzel zur Vier-Tage-Woche: „Tut was für die Fleißigen!“

In Deutschland werden die Rufe nach einer Vier-Tage-Woche immer lauter. Doch wer profitiert von diesem Konzept und welche Prioritäten sollte die patriotische Opposition an dieser Stelle setzen? Diese und weitere Fragen beantwortet Felix Menzel in seinem Kommentar für FREILICH.

Debatte von
27.6.2023
/
3 Minuten Lesezeit
Felix Menzel zur Vier-Tage-Woche: „Tut was für die Fleißigen!“

Büroarbeitsplatz und Felix Menzel

© IMAGO / Blue Jean Images / Felix Menzel

Die Arbeitswelt in den westlichen Industrienationen steht vor einem Dilemma: Krankenhäuser, Schulen und Unternehmen werden von Übereifrigen am Laufen gehalten, die sich in eine „toxische Produktivität“ und Kultur der Hektik (Hustle Culture) hineinsteigern. Das Hamsterrad bietet jedoch keine Erfüllung. Das Resultat ist „Erfolgsleere“ (Michael Andrick) und chronische Erschöpfung. Wer nun wiederum erschöpft ist, kommt nicht mehr in den Modus tiefer Konzentration. Er ist nur noch zu Routinetätigkeiten fähig. Die „Generation Burnout“ macht sich so selbst kaputt, „damit die Wirtschaft wächst“, konstatierte der Arzt Michael Nehls jüngst in einem Buch über das „erschöpfte Gehirn“ und den Verlust mentaler Energie.

„Quiet Quitting“ vs. „Workation“

Das andere Extrem unserer Arbeitswelt wird in den Medien als „große Resignation“ (Great Resignation), „Quiet Quitting“ und „Workation“ bezeichnet. In den USA setzte mit Corona eine überraschende Welle freiwilliger Kündigungen ein. Sie ist inzwischen auch in Deutschland angekommen, wie Gerd Held bei Tichys Einblick schildert. Doch nicht nur die Älteren haben keinen Bock mehr. Rund die Hälfte der jungen Arbeitnehmer bis 34 sehen sich selbst als „Quiet Quitter“, die im besten Fall Dienst nach Vorschrift verrichten und im schlechtesten Fall innerlich schon gekündigt haben. In Sozialen Netzwerken kursieren Videos, mit denen Arbeitnehmer ihre Faulheit auf Arbeit öffentlich zur Schau stellen. Ihr Ziel: Sie wollen austesten, so wenig wie möglich machen zu müssen, um gerade noch so eine Kündigung abzuwenden. Das ist also Nutzenmaximierung mal anders herum.

„Workation“ – die Verbindung aus Arbeit und Urlaub (Vacation) – wirkt da ja fast als ein kluger Mittelweg. Kreative bestehen hierbei auf ungewöhnlichen Arbeitsorten wie dem Strand oder einer abgelegenen Berghütte. Sie behaupten, auf diese Weise bessere Ideen generieren zu können als im schnöden Büro. Währenddessen läuft als Hintergrundgedudel auf allen Kanälen das Klagelied vom „Fachkräftemangel“. Subtil mitgeliefert wird auch gleich die angeblich einzige Lösung: Masseneinwanderung.

Vorteile für mittlere Führungsebene

Wem würde nun in dieser Situation die Vier-Tage-Woche helfen? Wem dürfte sie hingegen schaden? Fakt ist: Wir haben in Behörden und (Groß-)Betrieben eine aufgeblähte Verwaltung mit unzähligen Bullshit-Jobs (David Graeber). Insbesondere die mittlere Führungsebene ist häufig fast ausschließlich mit sinnlosen Besprechungen, nervigen E-Mails und überflüssiger Aufgabenkoordination befasst. Für diese Gruppe wäre die Vier-Tage-Woche die Chance, im großen Stil zu entrümpeln und sich auf sinnvolle Tätigkeiten zu beschränken.

Ebenso ist vermutlich unbestritten, dass die kreative Klasse, die sich bereits zu Corona-Zeiten im Gegensatz zur Kassiererin über das „Home Office“ freuen konnte, von flexibleren Arbeitszeit- und Arbeitsortmodellen profitiert. Sinnstiftende Arbeit lässt sich in der Tat nicht in Stunden messen. Es zählen hier allein die Endergebnisse. Das ist auch bei der Kunst so. Für die Entstehungszeit guter Gedichte, Romane und Bilder hat sich noch nie jemand interessiert. Es dürfte aber ein offenes Geheimnis sein, dass so mancher einen Schluck Wein, abendliche Ruhe, einen Waldgang oder eine ausgedehnte Sporteinheit für seine kreative Produktivität braucht. Dagegen ist nichts einzuwenden.

Es besteht bei der Diskussion um die Vier-Tage-Woche nur die ganz, ganz große Gefahr einer Verallgemeinerung. Die kreative Klasse besitzt in der Öffentlichkeit die Deutungshoheit. Und nur zu häufig missbraucht sie diese Deutungshoheit, um ihren eigenen Maßstab zum Maßstab für alle auszudehnen. Für Lehrer, Krankenschwestern, Pflegekräfte, Busfahrer und all jene, wie die Kassiererin, die mit ihren Routinetätigkeiten für das alltägliche Leben systemrelevant sind, kommt die Vier-Tage-Woche nicht in Betracht. Es fehlen ja schon heute massenhaft Arbeitskräfte, die das Notwendige tun und nicht für ihre Traumtänzerei bezahlt werden wollen.

Vier-Tage-Woche als falsches Signal für kreative Klasse

Wie soll es also unserer Gesellschaft gelingen, diese Konzentration auf das Notwendige einzufordern, lautet die entscheidende Frage. Und wie kann sie zusätzlichen Fleiß belohnen? Zwischen den Quiet Quittern und der digitalen Bohème dürfte es große Schnittmengen geben. Es reichen nicht etwa überlastete Väter und Mütter stille Kündigungen ein, weil sie vom Staat wie wehrlose Zitronen ausgequetscht werden. Vielmehr handelt es sich um junge Leute, denen jeder Sinn fehlt, die an die Katastrophenerzählungen der Gegenwart glauben und somit Opfer des von Igor Schafarewitsch beschriebenen sozialistischen Todestriebs sind. Sigmund Freud sah in diesem Todestrieb eine „Äußerung der Trägheit“.

Diesem Todestrieb ist der Lebenstrieb und eine positive, kollektive Erzählung entgegenzusetzen. Die Vier-Tage-Woche wäre deshalb vermutlich auch für die kreative Klasse das falsche Signal zur falschen Zeit, auch wenn sie unter rein ökonomischen Gesichtspunkten weder Schaden noch Nutzen bringen sollte, wie Studien aus Großbritannien, Irland und den USA nahelegen. Als Anwältin der kleinen Leute sollte die patriotische Opposition folglich andere Prioritäten setzen. Wie wäre es zum Beispiel damit, dass nur die ersten vier Tage der Woche Steuern und Abgaben anfallen? Wer besonders fleißig ist und länger arbeitet, sollte ab dem fünften Tag beziehungsweise ab der 35. Wochenarbeitsstunde seinen gesamten Lohn behalten dürfen. So geht Politik für die Leistungsträger unseres Landes!


Zur Person:

Felix Menzel ist ein politischer Publizist und wurde 1985 in Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) geboren. Er studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik und BWL an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg. 2004 gründete er mit Mitschülern die Jugendzeitschrift „Blaue Narzisse“ (BN) und war an der „konservativ-subversiven-aktion“ (ksa) rund um den Verleger Götz Kubitschek beteiligt. Für die Reihe kaplaken des Antaios-Verlags publizierte Menzel das Band „Medienrituale und politische Ikonen“. Außerdem trat er bei der BN-Anstoß-Reihe in mehreren Bänden als Autor und Herausgeber hervor. Heute ist er der Herausgeber des Wirtschaftsmagazins Recherche D.

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