Gegenrede: Die Gefahr hinter der Formulierung „Klimaneutralität bis 2045“ im Grundgesetz
Die neue Klimaneutralität im Grundgesetz könne zu einer Deindustrialisierung führen, so Christian Wirth. Er kritisiert die politische Steuerbarkeit der Maßnahme und warnt vor den Folgen einer Verfassungsänderung durch die Hintertür.
Amthor weist die Deutung zurück, dass durch die Formulierung „Klimaneutralität bis 2045“ ein einklagbares Staatsziel entstehen könnte.
© IMAGO / dts NachrichtenagenturPhilipp Amthor (CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag) schreibt in einem Gastbeitrag in der Welt, dass die neue Formel in dem Gesetzesentwurf des Art. 143h GG „Klimaneutralität“ mitnichten als neue „Staatszielbestimmung“ anzusehen sei. Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube …
Klimaneutralität bleibt politische Frage
Es ist schön, dass Amthor die „reine“ Staatsrechtslehre anspricht, wenn er schreibt: „Die Frage, wie 'Klimaneutralität bis 2045' zu erreichen ist, bleibt eine genuin politische Frage, aber keine zwingende Vorgabe des Verfassungsrechts. Wer seriös über verfassungsverbindliche Staatsziele reden will, muss diese von Kompetenznormen unterscheiden. Während erstere eine objektiv-rechtliche Handlungspflicht des Staates begründen könne, begründet letztere lediglich eine Handlungsmöglichkeit des Staates.“ Rechtstheoretisch gut und schön.
Stutzig wird man, wenn man den letzten Absatz liest, frei nach dem Credo Merkels, alles vom Ende her zu denken. Amthor: „Die Legitimation für etwaige weitreichende Klimaschutzmaßnahmen müssen zuallererst die Wählerinnen und Wähler erteilen und nicht die Gerichte. Der Souverän hat dazu am 23. Februar 2025 gesprochen. Die vorgeschlagene Grundgesetzänderung hält sich an diesen Rahmen.“
Aha. Der Verfasser kennt jedenfalls niemanden, der von der Neuregelung „Klimaneutralität bis 2045“ und diesbezüglichen Verschuldungen wusste oder diese bewusst gewählt hat. Wohl nicht einmal die Grünen, die ihr Glück kaum fassen können, dass sie trotz Abstrafung durch die Wähler ein solches Geschenk erhalten.
BVerfG und die politische Steuerbarkeit von Klimaneutralität
Ob das Bundesverfassungsgericht zukünftig die Neuregelung des Art 143h GG als reine (politisch steuerbare) Handlungsmöglichkeit des Staates (so Amthor) oder Staatsziel interpretiert, dürfte zumindest fraglich sein. Der Verfasser neigt zu letzterem. Das BVerfG gefällt sich zunehmend in der Rolle des politischen Gestalters. Künftig sind aufgrund der Neuregelungen des Art. 143h GG, sollten sie am 18.03.2025 den Bundestag passieren, mit vermehrten Klimaschutzklagen durch NGOs zu rechnen. Betätigungsfelder gibt es genug, Heizung, Verbrennermotoren, Industrie, insbesondere Stahl- und Chemieindustrie.
Mögliche Auslegung durch das BVerfG und ihre Folgen
Art. 143h GG könnte vom BVerfG ebenso als Konkretisierung des Umweltschutzzieles gemäß Art. 20a GG gesehen werden wie das einfache (!) Gesetz – Klimaschutzgesetz – im berühmten Klimaschutz-Beschluss vom 24. März 2021. Wie soll man Investitionen, die der Vermeidung von CO2-Emissionen dienen, von Investitionen unterscheiden, die der „Erreichung der Klimaneutralität bis 2045“ dienen?
Diese mögliche Auslegung durch das BVerfG würde bedeuten, solange Deutschland nicht vollständig CO2-neutral wirtschaftet, muss jede Investition unter dem Gesichtspunkt erfolgen, CO2-Emissionen zu verringern, bis die „Erreichung der Klimaneutralität 2045“ erfüllt ist. In dieser Interpretation ist die Aufnahme der Klimaneutralität genau das, was Amthor verneint, die Schaffung eines neuen Staatszieles im Grundgesetz durch die Hintertür.
Diese Vorgaben sind jedoch nur mit einer völligen Deindustrialisierung Deutschlands möglich, und vielleicht auch gewollt. Es darf lebhaft bestritten werden, dass dies der Wählerwille am 23. Februar war, wie Amthor glaubt oder jetzt glauben möchte.