Matthias Helferich: Wie ein junger Anwalt aus Dortmund den Bundestag aufmischt

Dem AfD-Politiker Matthias Helferich wurde von der grünen Bundestagsabgeordneten Lamya Kaddor Rassismus vorgeworfen. Der Grund: Er hat sie aufgefordert, nicht mit vollem Mund zu sprechen. Bruno Wolters hat sich den Politiker, der mit seiner Art die unterschiedlichsten Reaktionen provoziert, einmal genauer unter die Lupe genommen.

Kommentar von
19.5.2023
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7 Minuten Lesezeit
Matthias Helferich: Wie ein junger Anwalt aus Dortmund den Bundestag aufmischt

Matthias Helferich bei einer Sitzung des Deutschen Bundestages

© IMAGO / Future Image

Es gehört zum guten Ton, jemanden, der gerade kaut, aus Rücksicht nicht zu fragen oder anzusprechen, um ihn nicht in eine unangenehme Situation zu bringen. Es ist kein schöner Anblick, wenn jemand am Tisch ständig mit vollem Mund spricht, besonders wenn dabei laut geschmatzt, geschluckt oder andere undefinierbare Geräusche gemacht werden. Wenn jemandem beim Sprechen das Essen aus dem Mund fällt, ist das noch unappetitlicher. Diese Regel gilt in unserem Kulturkreis als selbstverständlich. „Nicht mit vollem Mund reden!“ – ein Spruch, den manches Kind möglicherweise oft von seinen Eltern am Tisch hören musste.

Diese Beobachtung ist inzwischen nicht mehr auf Kinder beschränkt. Zu dem unübersehbaren Verfall der politischen Kultur im Deutschen Bundestag gesellt sich seit geraumer Zeit auch ein Verfall der Sitten und Umgangsformen, der sich in einem „Rassismus-Skandal“ der letzten Tage unübersehbar manifestiert. Was war geschehen? Die grüne Bundestagsabgeordnete Lamya Kaddor – natürlich als grüne Politikerin mit zweifelhafter Biografie, so sollen sich Schüler der Lehrerin dem IS angeschlossen haben, obwohl Frau Kaddor genau das verhindern sollte – raunte mehrmals mit vollem Mund in einer Ausschusssitzung dem AfD-Abgeordneten Baumann zu, während dieser zum Inhalt sprach. Genüsslich knabberte sie an einem Joghurt mit Müsli.

Eine gescheiterte Lehrerin

Als der junge Anwalt, offenbar aus gutem Hause, die junge Frau daraufhin ermahnte, nicht mit vollem Mund zu sprechen, kam es zum „Eklat“ – nicht etwa, weil Frau Kaddor sich nicht an die üblichen Anstandsregeln gehalten hätte, sondern weil Helferich – wieder einmal! – sein wahres Gesicht gezeigt habe. Hinter dem Appell, sich an Tischregeln und Manieren zu halten, verberge sich ein hinterhältiger rassistischer Angriff, so Kaddor. Helferich, der für die AfD 2021 in den Bundestag einzog, aber noch nicht in die Fraktion aufgenommen wurde, versetzte die Berliner Politikszene in Aufruhr. Wieder einmal – Spötter könnten meinen, der 1988 in Dortmund geborene Rechtsanwalt sei ein echter Teufelskerl. Manche bezeichnen ihn als „Nazi“. Aber warum?

Zu Beginn der Spurensuche erst einmal die biografischen Details des Verdächtigen: Aufgewachsen in Dortmund, begann Helferich nach dem Wehrdienst das Studium der Rechtswissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, wo er Mitglied der Burschenschaft Frankonia wurde. Seit 2020 ist er als Rechtsanwalt in Dortmund tätig. Helferich ist Ratsherr und Bezirksvertreter in der Bezirksvertretung Dortmund-Scharnhorst, nach eigenen Angaben ledig und evangelisch. Ein normaler Lebenslauf – bis auf ein Detail. Helferich war Mitglied und zeitweise Vorsitzender der CDU-nahen Schüler Union NRW.

Joghurt mit Müsli, Bananen, Apfelstücken und Honig

Sein Lebenslauf ist also eine Sackgasse. Einen Hinweis liefert die linke Plattform Wikipedia. Unter der Überschrift „Kontroversen“ werden einige angebliche Verfehlungen des jungen Mannes aufgelistet. So soll Helferich in einem privaten Chat mit einem ehemaligen AfD-Funktionär über seine düsteren Verbindungen zur Dortmunder Neonazi-Szene gesprochen haben. Auch soll er sich als „freundliches Gesicht des Nationalsozialismus“ bezeichnet haben – weitere Schandtaten sollen hier nicht aufgezählt werden, um die Aufmerksamkeitsspanne des Lesers nicht zu überfordern. Die Frage ist vielmehr: Hat Helferich mit seinem „rassistischen Übergriff“ auf Kaddor wieder einmal seine „wahre Gesinnung“ gezeigt? Ist er sogar ein Joghurthasser?

Diese Frage verneinte Helferich im Gespräch mit FREILICH. Er habe sogar jeden Morgen einen „Joghurt mit Müsli, Bananen, Apfelstücken und Honig“ gegessen, gab er zu und ergänzte: „Vor dem Ausschuss, nicht währenddessen“. Die Frage, ob sich hinter dem morgendlichen Joghurt ein möglicher Nazi-Code verbergen könnte, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden – ob auch der ehemalige Reichskanzler Adolf Hitler gerne „Joghurt mit Müsli, Bananen, Apfelstücken und Honig“ aß, ist nicht überliefert. Findige und gewiefte Rechtsextremismus-Experten könnten jedoch in der Abkürzung von „Joghurt mit Müsli, Bananen, Apfelstücken und Honig“ – also JMBAH – etwas erkennen. Die letzten beiden Buchstaben könnten ein Akronym für Adolf Hitler sein – als seriöses journalistisches Medium will sich FREILICH an dieser Stelle aber nicht an Spekulationen beteiligen.

Ein moderner Auftritt

Für die Untersuchung müssen daher weitere Belege und Indizien herangezogen werden. Betrachtet man seine Arbeit im Bundestag, so fällt auf, dass Helferich außerordentlich aktiv ist. Vor allem in den sozialen Medien ist Helferich ein Gegenbeispiel zu den oft eher behäbigen Auftritten seiner Parteikollegen. Der YouTube-Kanal präsentiert alle Reden aus dem Plenum sowie Kurzvideos, in denen Helferich selbst wichtige Themen wie den sogenannten Verfassungsschutz aufgreift und anschaulich erklärt. Helferich und sein Team spielen dabei hervorragend auf den sensiblen Saiten der modernen Netzkultur.

Die Vorschaubilder seiner Videos sind gut gemacht – hier scheint ein echter Profi am Werk zu sein. So werden die Reden nicht mit rosa Farbe und einer Comicschrift sowie einem verpixelten Bild von Helferich illustriert, um Aufmerksamkeit zu erregen – das ist man als junger Netznutzer eigentlich von der AfD gewohnt –, sondern mit eingängigen und oft auch witzigen Bildern und prägnanten Titeln. Ein Beispiel: Seine Rede zum „Demokratiefördergesetz“, also dem geplanten Gesetz, den oben erwähnten Rechtsextremismus-Experten Millionen an Steuergeldern zukommen zu lassen, betitelte Helferich in seinem Vorschaubild mit „Flirttipps von der Bundesregierung“ und roten Herzen.

Humor und harte Kante

Die Videos kommen gut an, die meisten haben oft vierstellige Aufrufszahlen. Aber auch andere Plattformen wie Instagram oder Facebook lässt der Dortmunder nicht links liegen. Schaut man auf sein Instagram-Profil, sieht man Helferich oft in seiner Heimat im Ruhrpott. Graswurzelarbeit ist für ihn kein Fremdwort. Überhaupt macht der Rechtsanwalt einen aufgeweckten Eindruck, der sich auch auf seine politischen Aussagen überträgt. Wer Reden in Form und Sprache eines Goebbels erwartet – schließlich soll Helferich das freundliche Gesicht des Nationalsozialismus sein – wird enttäuscht.

Er nimmt zwar kein Blatt vor den Mund und argumentiert scharf und provokativ – so sprach er in einer Rede zum Thema „Schnelleinbürgerung“ explizit das Thema Volk und Bevölkerungsaustausch an – ohne jedoch die Nerven der Zuhörer mit Plattitüden und Provokationen zu strapazieren. Hart und direkt, aber immer mit Humor und einem gewissen Lächeln, so könnte man seine Auftritte beschreiben. Es ist dabei vor allem der Humor, der Helferich auszeichnet. Neben den genannten Beispielen hat er nach dem Joghurt-Skandal ein Video aufgenommen, in dem er sich leicht ironisch, aber dennoch ernsthaft an Frau Kaddor wendete und ihr einen Knigge schenkte.

Ein Dortmunder in Berlin

Hier scheint man nicht weiter zu kommen, so dass zur endgültigen Überführung des vermeintlichen Nazis das direkte Gespräch mit Helferich gesucht wurde. Während in linken Medien oft über Personen berichtet wird, wagt sich FREILICH in investigativer Manier in die Höhle des Löwen. Um Helferich in die Irre zu führen, versuchte FREILICH ihn mit gewöhnlichen Fragen aus der Reserve zu locken. Ob er sich als gebürtiger Dortmunder in Berlin wohlfühle, lautete die erste Frage. „Berlin und insbesondere das Regierungsviertel mit all seiner Macht und Symbolkraft hat mich zunächst beeindruckt“, so Helferich, doch nach zwei Jahren sei Ernüchterung eingetreten. „Ob Neukölln oder Nordstadt – es gibt noch viel zu tun, wenn wir unsere Heimat retten wollen.“

Auf die Frage, wie sein Fazit nach zwei Jahren Arbeit im Bundestag aussehe, antwortete Helferich differenziert und entwaffnend. „Unsere Möglichkeiten im Bundestag als Vertreter der AfD sind begrenzt. Man muss aufpassen, dass man sich nicht im „Parlamentarischen“ verliert, sagte er und sprach später vom Begriff des „organischen Politikers“, der Parlament und Vorfeld zusammenbringen müsse – eine Arbeit als Mandatsträger, die sich auf das Produzieren von Kleinen Anfragen reduziere, wäre für ihn daher zu kurz gegriffen.

Bei der Ampel sieht Helferich Rot

Auf die Frage nach Motivation und Antrieb nannte Helferich sein „mutiges und kluges Team“ und „eine gewisse Lust am politischen Rock'n'Roll“ – „Rechtspopulisten müssen sich als Rockstars des Bundestages verstehen, nicht als biedere Spießer“. Man dürfe sich, wie andere Konservative manchmal auch, nicht zu ernst nehmen, meinte Helferich und sprach auch von „Galgenhumor“. Trübsinn und Pessimismus seien für ihn aber kein Thema: „Solange die Aussicht besteht, dass wir unser Land noch retten können, sollten wir nicht Trübsal blasen“. Er verwies auch auf sein Wahlkreisbüro in seiner Heimatstadt Dortmund – ein „patriotisches Nest“ und „Ort der Selbstvergewisserung“.

Helferich zeigte sich im Gespräch aber auch nachdenklich, vor allem über das, was in Zukunft zu tun sei und über die Verantwortung, die er trage. „Man wählt uns, weil man große Hoffnungen in uns setzt. Meine Sorge ist, dass wir diese Hoffnungen nicht erfüllen können.“ Er wolle sich nicht auf steigenden Umfragewerten ausruhen, sondern in die Offensive gehen. „Man will uns öffentlich stigmatisieren, dem müssen wir auch viel stärker öffentlich entgegentreten. Vor allem die jetzige Regierung würde das verlangen: Ich hätte nicht gedacht, dass es nach der Ära Merkel noch schlimmer werden könnte. Die Ampel hat mich vom Gegenteil überzeugt.“

Weißwein darf nicht fehlen

Auch hier scheint man in einer Sackgasse gelandet zu sein. Von einem Nationalsozialisten oder Rassisten ist nichts zu sehen. Vielmehr scheint Helferich ein anständiger Deutscher zu sein, der sich authentisch und ernsthaft, aber immer mit einem gewissen Humor, für sein Vaterland einsetzen will. Dass ein so überzeugender Mann auch intern Hass und Neid hervorruft, kann nicht verwundern – hinter vorgehaltener Hand wird im Buschfunk sogar davon gesprochen, dass Helferich in eine politische Falle von parteiinternen Gegnern getappt sei, die ihm seinen Listenplatz für die Bundestagswahl streitig machen wollten.

Politik ist eben schmutzig. Gut genug, dass mit Matthias Helferich ein Talent im Bundestag sitzt, das Humor und politischen Ernst miteinander verbinden kann. Eines seiner Erfolgsrezepte für gute Arbeit? „Weißwein“, gibt er zu. Das scheint der endgültige Beweis für seine demokratische Gesinnung zu sein, denn bekanntlich lehnte Hitler Alkohol und Zigaretten ab. Wie kann er jetzt noch ein freundliches Gesicht des Nationalsozialismus sein? Am Ende des Berichts bleibt nichts anderes übrig, als Helferich wieder in Amt und Würden zu bringen. Der Verdächtige wird von allen Vorwürfen freigesprochen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Bruno Wolters

Bruno Wolters wurde 1994 in Deutschland geboren und studierte Philosophie und Geschichte in Norddeutschland. Seit 2022 ist Wolters Redakteur bei Freilich. Seine Interessengebiete sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

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