Mehr Macht für Kocher: Kritik an neuem „Super-Ministerium“
Nach den Rücktritten der beiden ÖVP-Ministerinnen Elisabeth Köstinger und Margarete Schramböck kam es zum wiederholten Mal zu größeren Rochaden bei Zuständigkeiten innerhalb der schwarzen Regierungsmannschaft. Besonders starke Kritik äußerte die Opposition an der Zusammenlegung der Arbeits- und Wirtschaftsagenden im Ressort von Martin Kocher.
Wien. – Noch bei seiner Angelobung vor 18 Monaten wurden die Familienagenden aus seinem Ressort heraus verschoben, weil die Beschäftigung mit dem Arbeitsmarkt genug abverlangen würden. Nun, inmitten einer riesigen Teuerungswelle mit der höchsten Inflation seit über 40 Jahren, wagt man die Zusammenlegung von Wirtschafts- und Arbeitsministerium in einer Position. Die von Schramböck ebenfalls vertretenen Agenden für Digitalisierung, Tourismus und Zivildienst fallen unterschiedlichen Staatssekretären zu. Dafür gibt es künftig wieder ein eigenes Landwirtschaftsministerium, das dem gebürtigen Tiroler Norbert Totschnig zufällt.
Corona-„Scharfrichter“ bekleidet zwei Kernressorts
Die „Aufwertung“ von IHS-Direktor Martin Kocher stößt den Freiheitlichen sauer auf. Die Vereinigung der beiden Ministerien bezeichnete FPÖ-Vize-Klubchefin Dagmar Belakowitsch als „Super-GAU“, bei dem sich der Minister künftig noch weniger um den Arbeitsmarkt kümmere. Kocher sei bislang in erster Linie durch seine Wünsche nach einer Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes kürzen wollte.
In der Corona-Krise sei er als „Scharfrichter“ aufgefallen: Wäre es nach ihm gegangen, so hätten sich wohl alle Arbeitnehmer impfen müssen, um weiterhin ihre Beschäftigung ausüben zu dürfen, erinnert die blaue Sozialsprecherin. Die meisten Österreicher würden ihn bislang vor allem davon kennen, dass er einst das Hinterteil seiner Ministerkollegin Edtstadler abfotografierte, was „befremdlich“ sei.
Ressort-Vereinigung als „ÖVP-Klientelpolitik“
Scharfe Kritik kam auch von SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch. Bereits als die Agenden für Arbeit und Wirtschaft unter Martin Bartenstein (ÖVP) in Personalunion vereint waren, habe sich die Situation der Arbeitnehmer nachhaltig verschlechtert, Sozialabbau und „reine Lobbypolitik für Konzerne und Großunternehmer“ inklusive. Es handle sich um die Umsetzung von „reiner ÖVP-Klientelpolitik“.
Gerade der Ausgleich zwischen Interessen von Unternehmen und Arbeitnehmern, so der Gewerkschafter, habe den Erfolg Österreichs in der zweiten Republik ausgemacht und dem Land und der Bevölkerung Wohlstand und soziale Sicherheit gebracht. Die Vereinigung der Ministerium , gerade wo „diese Regierung ohnehin schon in den letzten Zügen liegt“, lasse nichts Gutes erwarten, so Muchitsch.
Muchitsch wiederholte zudem einmal mehr die Forderung nach raschen Neuwahlen, die neben seiner Partei auch von den Freiheitlichen verfochten wird.
Landwirtschaftsminister mit schwarzer Bilderbuchkarriere
Der neue Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig war zuletzt fünf Jahre lang Direktor des ÖVP-Bauernbundes. Er weist eine schwarze Bilderbuchkarriere auf und war Kabinettsmitglied der beiden Vizekanzler Michael Spindelegger und Reinhold Mitterlehner.
Er ist nicht der einzige Tiroler, der in die erweiterte Regierungsmannschaft nachrückt: Die Digitalisierungsagenden fallen Florian Tursky zu, bislang Büroleiter von ÖVP-Landeshauptmann Günther Platter. Er leitete zuvor unter anderem auch für ein Unternehmen, das Kunden anbot, sich 3D-Abbilder von sich drucken zu lassen. Angesiedelt wird er als Staatssekretär im Finanzministerium von Magnus Brunner. Gratulationen kamen auch vom ÖVP-nahen Österreichischen Cartellverband (ÖVP).
Angelobung der „Neuen“ bereits am Mittwoch
Für den Tourismus zuständig ist fortan die bisherige Obfrau der Hotellerie-Fachgruppe in der Wirtschaftskammer Österreich, Susanne Kraus-Winkler. Die Wienerin kommt aus dem Wirtschaftsbund der ÖVP. Die Zivildienstagenden, bislang ebenfalls unter Köstinger, wandern zu Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm, seit dem Vorjahr für die ÖVP Oberösterreich in der Regierung. Die Angelobung des neuen Ministers sowie der beiden neuen Staatssekretäre soll bereits am Mittwoch geschehen.
Damit geht Kanzler Karl Nehammer auch offiziell mit einer frisch umgebildeten Mannschaft in den schwarzen Parteitag am Wochenende. Vorgänger Sebastian Kurz hat sein Kommen angekündigt. Dort gilt es auch die „politische Stabilität“ zu demonstrieren, die Wirtschaftskammerchef Harald Mahrer (ÖVP) als „höchstes Gebot“ bezeichnete.