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„Risikobericht 2023 – Krieg um Europa“

In seinem Kommentar fasst Gert Bachmann die jüngsten Bedrohungen für Österreich und Europa zusammen. Dabei stehen der Ukraine-Krieg und die Gefahr eines Blackouts klar im Vordergrund.

Kommentar von
17.2.2023
/
3 Minuten Lesezeit
„Risikobericht 2023 – Krieg um Europa“

Gert Bachmann

„Wer alles verteidigt, verteidigt nichts“, lautete einer der theoretischen Lehrsätze Friedrichs des Großen. Niemand zweifelt an den zahllosen Gelegenheiten der Praxis, welche den „Alten Fritz“ zu entsprechend plausiblen Schlussfolgerungen befähigten. Generalfeldmarschall Gerd von Rundstedt wählte dieses Zitat des Hohenzollers, um die Ursache der raschen Niederlage polnischer Streitkräfte im Jahre 1939 zu erklären. Mangelnde Schwerpunktsetzung sowie fehlende Kräftekonzentration.

Nun legen die Offiziere des österreichischen Bundesheeres, die Experten des Landesverteidigungsministerium und externe Fachleute ein umfassendes Lagebild zur Risikobeurteilung vor. Die Dokumentation trägt den Namen „Risikobericht 2023 – Krieg um Europa.“

Niemand stellt die Treffsicherheit der Risiko- wie Gefahrenanalysen der Verfasser in Frage. Es reicht, sich die Abfolge der Krisen der letzten eineinhalb Dekaden grob in Erinnerung zu rufen. Versehen mit unterschiedlichen „Pränomen“ von Euro- bis Virus-. Ähnlich den Corona-Varianten.

„Die Welt ist ohne Zweifel instabiler geworden“, konstatierte Verteidigungsministerin Klaudia Tanner bei der Präsentation des Berichts Ende Jänner in Wien. Krieg um Europa deswegen, da Russland auf drei Ebenen Krieg führe. „Gegen die Ukraine. Gegen die westlichen Werte. Gegen die europäische Wirtschaft.“

Die Militärexperten, in Uniform wie in Zivil, stoßen ins gleiche Horn. „Alle Megatrends weisen auf eine Verschlechterung hin“, erklärt Brigadier Peter Vorhofer, Leiter der Direktion für Verteidigungspolitik. Nunmehr zähle man 73 Bedrohungen anstatt von 25, wie es vor fünf Jahren noch der Fall gewesen ist. „Europäischen Zivilgesellschaften ist es nicht bewusst, dass sie Teil eines Konfliktes sind, auch wenn sie keine Uniform tragen.“

Im Zentrum steht der Ukraine-Krieg und dessen mögliche Eskalation. Eine Ausweitung Richtung Westen und Europäische Union, vor allem gegen das Baltikum, Polen, Moldawien und Rumänien, könnte zur Auslösung der Beistandspflicht innerhalb der EU führen. Zunächst hybrid und anschließend konventionell. Vergleichbar dem Vorgehen in der Ukraine.

Sein Kamerad Generalmajor Bruno Günter Hofbauer, Leiter der Gruppe Grundsatzplanung, spann den Faden weiter zur Frage, ob Europa ausreichend vorbereitet sei. Fazit: „Wir sind es nicht.“

Was wäre notwendig, um vorbereitet zu sein? Laut dem gebürtigen Steirer Franz-Stefan Gady, Experte am renommierten Internationalen Institut für Strategische Studien, IISS, in London, müssten aus den bisherigen Erfahrungen des Ukraine-Krieges zwei Lehren gezogen werden. Die Befähigung zum „Kampf der Verbundenen Waffen“, Gady spricht auch gerne vom militärischen Ballett beziehungsweise Schere-Stein-Papier. Also die Zusammenarbeit zwischen mechanisierten Kräften, Artillerie, Pionieren, Luftabwehr und Luftunterstützung. Sowie die Möglichkeit, im Ernstfall auch regenerieren zu können. Hierzu sind Reservisten und verpflichtende Milizübungen unabdingbar. „Konventionelle Abschreckung ist die wirksamste Versicherungspolizze.“ Wobei die „nukleare Dimension“ nicht vernachlässigt werden dürfe.

Schließlich handelt es sich bei Russland um eine Atommacht. Und die EU kann lediglich auf die „Force de Frappe“ Frankreichs zugreifen. Sofern der französische Präsident die entsprechende Entscheidung trifft. Somit ist die NATO unabdingbar und Überlegungen für eine engere Zusammenarbeit der EU-Staaten in Verteidigungs- und Sicherheitsfragen ohne Einbeziehung der NATO scheinen obsolet.

Infrastruktur ausreichend geschützt?

Wie steht es um die Resilienz der österreichischen Infrastruktur? Gerhard Christiner, Vorstand der Austrian Power Grid AG, meldete ernsthafte Bedenken an. „Wenn wir so fahrlässig weiterfahren, ist das Risiko da, dass es irgendwann einen Blackout gibt.“ Österreich benötige einen Plan für die Energiewende. Man könne nicht weiterhin Windparks errichten, ohne zuvor die Netze sicherzustellen.

Der Blackout ist eine reale Gefahr. Die Warnungen ebenso inflationär wie der Warenkorb. „Ein Blackout ist aus der Sicht der technischen Experten dennoch ein unwahrscheinlicher Extremfall.“ Definiert als großflächiger und überregionaler Stromausfall, unabhängig von der Dauer, wird der Bericht zitiert. Dagegen sollen nationale und internationale Sicherheitsmechanismen und Prozesse greifen. Immerhin kommen die Analysen zu dem Schluss, dass Österreich bei weiteren Verknappungen auf Stromimporte angewiesen ist. Und dies bei der Grundannahme einer fortgesetzten Verfügbarkeit von Gas. Unter anderem auch für die Gaskraftwerke, welche 4.000 Megawatt Strom erzeugen. Importe aus Staaten, deren Versorgung jedoch ebenso angegriffen werden kann beziehungsweise über Verknappungen klagen. Zudem ist die Kapazität des österreichischen Stromübertragungsnetzes limitiert.

Zu möglichen Maßnahmen zählen unter anderem „Leistungsbeschränkungen für Kundengruppen bis hin zum vorübergehenden Ausschluss vom Bezug elektrischer Energie.“ Sprich: Gezielte Stromabschaltungen. „Im Falle von Flächenabschaltungen ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit oberstes Gebot.“

Hierbei auch noch den Systemkonflikt zwischen den USA und China, neue Virus-Varianten und die Auswirkungen des Klimawandels für die harte Probe der österreichischen Resilienz im Auge zu behalten, wird bei 55.000 Mann tatsächlich zu einer Verzettelung der Kräfte führen.

Austria, quo vadis? Neutral, EU, NATO?

Wohin soll man sich wenden, angesichts eines vielfältigen Straußes von Bedrohungen. „Österreich muss sich sehr, sehr rasch bezüglich Solidarität und Beistandspflicht Gedanken machen“, mahnt Brigadier Vorhofer. Auch die Expertin Ulrike Franke vom European Council on Foreign Relations, ECFR, sprach davon, dass die „Neutralitätsfrage in den nächsten Jahren viel mehr aufs Parkett kommt.“ Österreich sieht Franke viel stärker unter Druck als etwa die Schweiz. „Das hat mit der EU-Mitgliedschaft zu tun.“ Und hinsichtlich der NATO-Frage ist Österreich stärker involviert als Irland, Malta oder Zypern. Ob der geostrategischen Lage in Mitteleuropa. Somit würde auch die „irische Klausel“ als Alternative ausscheiden. Also die Möglichkeit der Enthaltung bei Schlagendwerden der EU-Beistandspflicht.

Konkret wird die Frage bei der Teilnahme am „European Sky Shield“, ESS, dem Europäischen Schutzschirm. Hierbei hat man ein Auge auf das israelische System „Iron Dome“, Eisenkuppel, geworfen. Einerseits wird sich Frankreich nicht daran beteiligen, andererseits das Vereinigte Königreich sehr wohl. Also eine Überschneidung der EU/NATO-Frage.

Militärisch würde Österreich keinen substanziellen Beitrag leisten können. Mehr einen geostrategischen wie Ungarn oder die Slowakei und einen ökonomischen wie Belgien oder Dänemark. Oder Konzentration auf Territorialverteidigung und Souveränitätssicherung.


Zur Person:

Gert Bachmann, 42-jähriger Historiker mit Interesse an Geo- und Sicherheitspolitik. Trotz Studiums in Wien hat ihn die Heimatstadt Villach nie losgelassen. Das Herz des dreifachen Vaters und ehemaligen FPÖ-Landesparteisekretärs von Oberösterreich schlägt für ein freiheitliches Österreich und ein vitales, freies Europa der Vaterländer.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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