Vom Machtrausch in Türkis zum Kater in Schwarz – Eine Kurz-Geschichte
Drei Bundeskanzler in knapp 50 Tagen. Österreich taumelt im Würgegriff einer orientierungslosen ÖVP, mitten in einer der schwierigsten Phasen der Zweiten Republik, von einer Regierungskrise in die nächste.
Mit Karl Nehammer übernimmt der sechste Kanzler in fünf Jahren (Eintagsfliegen wie Löger und Blümel nicht eingerechnet) die Kanzlerbüros am Ballhausplatz in Wien. Nehammer ist also sozusagen in Coronazeiten die Zeta-Variante der Kanzlerschaft. Während also die Zeta-Variante die Posten neu verteilt, wird das Gezeter auf Österreichs Straßen immer lauter. Schon vor dem Rücktritt von Sebastian Kurz haben nur mehr knapp 35 Prozent der Österreicher die beiden Koalitionsparteien als ihre Wahl erachtet und nur mehr rund ein Fünftel der Bevölkerung beurteilte die Coronapolitik der Regierung als zumindest gut. Umfragewerte, die in der unter Kurz erfolgsverwöhnten ÖVP alle Alarmglocken läuten ließen.
Wer glaubt, dass Sebastian Kurz allein vom Antlitz seines Nachwuchses bewegt, freiwillig zurückgetreten ist, der hält wohl auch das „Kaufhaus Österreich“ noch immer für Österreichs Rache an Amazon, arbeitet entweder in der „Krone“ oder ist Mitglied der Sebastian-Kurz-Gebetsliga. Vielmehr hat sich in den Wochen vor dem Rücktritt eine gefährliche Mischung aus desaströsen Umfragen, katastrophalen Regierungspannen, einem falschaussagetechnisch belastenden aufgetauchten Foto des ehemaligen Finanzministers Löger und Gerüchten über wohl kommende, äußerst unangenehme neue Chat-Protokolle ergeben.
Was von Kurz bleibt
Aber was bleibt von Kurz und was bleibt der ÖVP nach Kurz? Der türkise Messias hatte alle Möglichkeiten einer konservativen Wende, war der neue Superstar Europas christlich-sozialer Volksparteien und Role Model einer funktionierenden Zusammenarbeit mit einer freiheitlichen Partei. Und heute, nach Kurz, steht die ÖVP wieder da, wo sie vor Kurz gestanden ist. Auf dem erbärmlich niedrigen Mitterlehner-Niveau, abhängig vom Wohlwollen Werner Koglers und Alexander Van der Bellens, die beide die ÖVP via Neuwahlen sofort in Wahldesaster und Machtverlust befördern könnten. Hätte Kurz, wie sein Vorbild und Hintergrundberater Schüssel, nicht die erste Chance genutzt, die funktionierende türkis-blaue Koalition zu sprengen und seinen Handschlag nicht gebrochen, Sebastian Kurz wäre wohl noch immer die dominierende Persönlichkeit der österreichischen Innenpolitik und Leitstern der europäischen Volksparteien. Der Fluch der bösen Tat, manche würden auch Karma sagen.
Und die ÖVP? Nach der A-Garnitur Kurz, der B-Garnitur Schallenberg, jetzt die C-Garnitur Nehammer. Das Regierungsteam erinnert an einen Adventkalender. Jeden Tag geht ein neues Türchen auf und ein Minister fliegt raus. Vom Machtrausch in Türkis bleibt nur mehr ein Kater in Schwarz. Und als Konsequenz aus Ibiza und den türkis-grünen Dauerturbulenzen danach, hat sich ein zuvor nie vorstellbares Zeitfenster einer links-liberalen Mehrheit in Österreich gebildet. Zwar hat sich die FPÖ unter Herbert Kickl wieder erholt und die Oppositionsführung übernommen, kann aber die Verluste der ÖVP, auch bedingt durch ihren kompromisslosen Coronakurs, nicht ausreichend kompensieren. Wie bei Schüssel und Gusenbauer hat die Arroganz des ÖVP-Kanzlers in Kombination mit „Unterstützung“ einer linksorientierten, medialen Aktivisten-Blase auch bei Kurz erst die Chance einer Rendi-Wagner als Kanzlerin ermöglicht.
Der Vorhang ist gefallen
Was kommt also? Wer das mit Bestimmtheit beantworten kann, der möge dem Autor dieser Zeilen vertrauensvoll die Lottozahlen vom nächsten Sonntag schicken. Nachdem man derzeit nicht einmal sagen kann, ob die Regierung oder die Regierungsmannschaft die nächsten Monate politisch überlebt, sind Langfristprognosen pure Scharlatanerie. Derzeit kann man nur sagen, dass die ÖVP, neu angeführt vom Mann, der klingt wie Gernot Kulis, die schlechtesten Karten bei Neuwahlen hat, also eher kein Interesse daran haben wird. Alle anderen Parteien hätten gute Argumente zumindest Neuwahlen für Mitte 2022 voranzutreiben. Sebastian Kurz ist mit dem Slogan „Schwarz macht geil“ in seine politische Karriere gestartet, geendet hat sie mit „Schwarz macht machtgeil“-Arroganz und fehlender Demut im Machtrausch einer kleinen türkisen Blase. Kurz hat den Weg geebnet für die Wiedererlangung der Macht durch die Sozialdemokratie, seiner größten politischen Gegnerin. Er hat alle Möglichkeiten gehabt, alle verspielt, vollständig versagt. Der Vorhang für die türkise Show ist gefallen.
Zur Person:
Heimo Lepuschitz ist politischer Kommunikationsspezialist und war Medienkoordinator der letzten ÖVP-FPÖ-Regierung. Er ist auf Strategieberatung, Public Affairs und Krisenkommunikation spezialisiert.