„Wir sind die Partei der deutschen Souveränität!“

In seinem Kommentar antwortet der AfD-Landtagsabgeordnete Hans-Thomas Tillschneider auf ein Video seines Parteikollegen Norbert Kleinwächters, der die AfD in der Tradition der westlichen Welt sieht. Tillschneider sieht Kleinwächter die Partei falsch einordnen.

Kommentar von
9.3.2023
/
5 Minuten Lesezeit
„Wir sind die Partei der deutschen Souveränität!“

Hans-Thomas Tillschneider

© Metropolico

Anmerkung der Redaktion: Dieser Text erschien zuerst auf der Facebook-Seite von Herrn Tillschneider.


„Wir sind nicht die Partei der westlichen Werte, wir sind die Partei der deutschen Souveränität!“

Eine Replik auf Norbert Kleinwächters falsche Standortbestimmung der AfD.

Was soll man noch erwarten, wenn einer schon so anfängt? Kleinwächter sucht dermaßen plump Anschluss an die Phrasen, in denen die Altparteien über den Ukraine-Krieg sprechen, dass ihn darin nichts mehr von den Grünen oder der CDU unterscheidet.

Und gerade so geht’s weiter.

Nach der politisch korrekten Verfluchung Russlands kommt Kleinwächter auf die Sprengung der Ostseepipelines durch die USA zu sprechen, was wohl eine Art Ausgewogenheit der Perspektive andeuten soll. So sehr er aber den Ukraine-Konflikt antirussisch überzeichnet, so sehr spielt er die Sprengung der Ostseepipelines – immerhin der erste kriegerische Angriff auf deutsche Infrastruktur seit Ende des 2. Weltkriegs – mit pro-amerikanischer Absicht herunter. Er stellt eine „Unsicherheit wegen der Sprengung“ fest. Und das war’s. Schon nach den ersten zwei Sätzen wird so klar: Hier ist einer angetreten, sich brav dem US-Hegemon zu unterwerfen und diese Haltung der AfD-Mitgliedschaft und dem AfD-Elektorat irgendwie unterzujubeln.

Es ist nicht so, dass der Krieg in der Ukraine mich nicht auch etwas verunsichert hätte, aber angesichts der grauenhaften, völkerrechtswidrigen Sprengung des Ostseepipelines weiß ich dann doch wieder, wie ich mich zu orientieren habe. Das nur nebenbei bemerkt. Zurück zu Kleinwächter.

Ziel des circa zehnminütigen Videos ist der Versuch, eine transatlantische Standortbestimmung philosophisch-geistesgeschichtlich zu untermauern. Kleinwächter argumentiert in etwa so: Die AfD ist für Ordnung, Demokratie und Rechtsstaat. Als Begründer von Ordnung, Demokratie und Rechtsstaat zitiert Kleinwächter dann die Philosophen Hobbes, Locke und Rousseau. Ordnung, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit hätten sich zwar auch mit Kant, Hegel und den deutschen Hobbes-Interpreten von Carl Schmitt bis Bernard Willms belegen lassen, aber darum geht es Kleinwächter ja gerade nicht. Ein paar billige Erwähnungen englischer und französischer Philosophen sollen erstens einen „bürgerlichen“ Bildungshintergrund suggerieren und zweitens den Eindruck erwecken, die geistigen Grundlagen unserer Politik lägen in der angelsächsisch-französischen Sphäre, mithin im Westen. Billig. Sehr billig, das Ganze.

Und falsch. Rousseau? Der Urvater der linken 68er-Pädagogik, die bekanntlich von der Fehlannahme ausgeht, der Mensch sei von Natur aus gut und die beste Erziehung bestünde darin, jede kulturelle Zumutung zurückzunehmen, auf dass sich die an sich gute Natur des Kindes frei entfalte? Seltsame AfD-Traditionen sollen das sein.

Das eigentliche Übel freilich bestünde darin, so Kleinwächter weiter, dass im Westen ein Kampf des Postmodernismus gegen den Modernismus entbrannt sei. Der Postmodernismus der Grünen und Linken löse alles auf: Traditionen, Werte, Normen, letztlich auch die Demokratie. Wir, die AfD, würden zwar gegen den Postmodernismus kämpfen, dieser Kampf aber dürfe einen nicht dazu bringen, „das Kind mit dem Bade auszuschütten“, sich also gegen westliche Werte zu wenden und – oh Schreck! - das westliche Bündnis zu hinterfragen. Nein, wir müssen, so Kleinwächters Schluss, fein artig innerhalb des westlichen Bündnisses, also im Klartext: der NATO, bleiben und dort mit Hobbes und Locke gegen Grüne und Linke und die Krankheit des Postmodernismus streiten. Von Russland, das uns kulturell fern stehe und undemokratisch sei, irgendwie wohl doch modern, aber eben nicht westlich, sollten wir uns ja fernhalten.

Richtig an Kleinwächters Argumentation ist nur, dass der Postmodernismus ein Problem darstellt. Ansonsten ist alles verkehrt. Wirklich alles. Allein schon die Unterscheidung zwischen Modernismus und Postmodernismus zur Hauptachse der Auseinandersetzung zu machen, ist falsch und wohl bewusst irreführend. Der geistige Kampf unserer Zeit wird nicht zwischen Modernismus und Postmodernismus geführt. Das, was Kleinwächter „Modernismus“ nennt, ist tot und wird abgesehen von solch skurrilen und blutleeren Veranstaltung wie der „Bibliothek des Konservatismus“ in Berlin nirgendwo mehr verteidigt.

Der Weltkampf, in dem wir stehen, wird zwischen Universalismus und Partikularismus ausgetragen. Der Universalismus ist ein Kind der Aufklärung („Modernismus“) und hält sich von der Moderne bis zur Postmoderne ungebrochen durch. Auch und gerade die Postmoderne bleibt bei allem, was sie an der Aufklärung kritisiert, doch diesem einen Anspruch verpflichtet, auf aller Welt für alle Kulturen zu gelten. Das Regenbogenimperium ist für alle da!

Die Universalität von „Werten“, die sich in postmoderner Beliebigkeit postulieren, negieren oder umwerten lassen, wie es eben gerade benötigt wird, dient als Standardbegründung für imperiale Eingriffe in jedem Winkel dieser Welt. Der Postmodernismus konnte sich auch deshalb gegen den Modernismus durchsetzen, weil die postmoderne Beliebigkeit mit den Widersprüchen, in die sich der Modernismus verstrickt, besser zurechtkommt. Das Selbstbestimmungsrecht der Kosovaren in Jugoslawien? Heilig! Das Selbstbestimmungsrecht der Russen in der Ukraine? Existiert nicht!

„Westliche Werte“ beanspruchen, über der Souveränität der Nationalstaaten zu stehen und sie bei „Menschenrechtsverletzungen“ jederzeit aufheben zu können. „Westliche Werte“ sind ein Gegenbegriff zu „Souveränität“. „Westliche Werte“ sind die Ideologie des US-geführten Regenbogenweltstaates. Und dann versucht Kleinwächter, uns zu erklären, die deutsche Souveränität sei doch genau einer der „westlichen Werte“, die von der AfD verteidigt werden sollen. Es fällt schwer, so etwas noch Ernst zu nehmen.

Die AfD als einzige patriotische Partei in Deutschland kann nicht die Partei der „westlichen Werte“ sein. Wir sind die Partei der deutschen Souveränität, der deutschen Werte und des deutschen Wesens. Nicht der moderne-postmoderne Universalismus, sondern der Gegenentwurf zum Universalismus, der Partikularismus, ist unsere Sache. Der Partikularismus betont, dass alle kulturellen Hervorbringungen relativ zu der Kultur sind, die sie hervorgebracht hat. Der Partikularismus ist die Weltsicht der Bodenständigen und Verwurzelten, die nicht überall auf der Welt zuhause sind und sich die überhebliche Einmischung in ihre Länder im Namen angeblich höherer Wert verbitten.

Die AfD steht für ein souveränes Deutschland in einem souveränen Europa, das sich gegen die Einflussnahme raumfremder Mächte verteidigt. Ein wahrhaft souveränes Europa, das mehr sein will als der Brückenkopf der einzigen Weltmacht USA, muss sich als Pol einer multipolaren Weltordnung verstehen. Dieses Europa reicht geographisch von der iberischen Halbinsel bis zum Ural, von Island bis Ostthrakien. Religiös ist es die Wiege des Christentums im vollen Sinne als Rahmen, der Westrom und Ostrom, Katholizismus und Orthodoxie, umspannt. Kulturell wiederum wird dieses Europa aus drei großen Strömen gebildet, dem germanischen, dem romanischen und dem slawischen Strom. Über die Urgeschichte des Christentums reicht es bis nach Kleinasien, Syrien und Ägypten hinein. Die Geschichte des römischen Reiches bindet Nordafrika an unser Europa. Mannigfach sind die historisch-geographischen Einbettungen dieses Großraums.

Kleinwächter behauptet, wir hätten mit dem US-Bundesstaat Texas mehr gemeinsam als mit Russland. Das Gegenteil ist richtig. Mit Russland, das so gut zu Europa gehört wie Frankreich oder Italien, verbindet uns der Charakter, eben kein aus aller Herren Länder zusammengewürfeltes Einwanderungsland zu sein, keine multikulturelle Kolonie in der neuen Welt, sondern ein gewachsener Nationalstaat und Teil Europas, Teil der Alten Welt, Teil des christlichen Abendlandes. Wie viel an intensiven gemeinsamen Erfahrungen verbindet nicht Russland und Deutschland, wenn wir auch nur die jüngste Geschichte seit den napoleonischen Kriegen betrachten? Kleinwächter weiß das natürlich. Wenn er trotzdem behauptet, wir hätten mehr mit irgendeinem Bundestaat im Süden der USA gemeinsam, dann verzerrt er die Geschichte für sein politisches Argumentationsziel.

Es geht ihm darum, uns Russland, so gut er eben kann, abspenstig zu machen, weil er weiß, dass er sich damit beim US-Hegemon beliebt macht. Diese Haltung hat wenig mit Souveränität zu tun. Souveränität zeigt sich darin, Bündnisse und Partnerschaften nach der Maßgabe des eigenen Interesses zu wählen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass ein Bündnis mit den USA nicht in unserem Interesse liegt, wäre er durch die Sprengung der Pipelines erbracht worden. Wir hätten von Anfang an die Versuche der USA, das Projekt der Ostsee-Pipelines zu verhindern, zurückweisen müssen. Das wäre souverän gewesen. Hier müsste eine Selbstverortung der AfD ansetzen. Kleinwächters Versuch, mit Hobbes und Rousseau für eine einseitige Westbindung zu argumentieren, ist untauglich für eine Selbstverortung der AfD.


 Zur Person:

Dr. Hans-Thomas Tillschneider ist Islamwissenschaftler und sitzt seit 2016 für die AfD im Landtag Sachsen-Anhalt. Dort ist er der kulturpolitische Sprecher der AfD-Fraktion.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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