Moderner Krieg: Drohnen-Schwadronen der 1.000 Nadelstiche
Neben dem Stellungskrieg tobt in der Ukraine der erste echte Drohnenkrieg – von Marke Eigenbau bis zum High-Tech-Gerät. Militäranalysten suchen fieberhaft nach Lösungen, um zu verhindern, dass millionenschweres Material durch billige 750-Euro-Drohnen verloren geht.
Man fühlt sich an die „Taktik der 1.000 Nadelstiche“ erinnert. Das Raumverteidigungskonzept des österreichischen Generals Emil Spannocchi, der durch hinhaltenden Widerstand die massiven Kräfte des Warschauer Paktes „auszubremsen“ beabsichtigte. Glücklicherweise musste die Spannocchi-Doktrin nie eine Feuerprobe durchlaufen, im Unterschied zu den Tausenden Drohnenpiloten und ihren „Zielen“ auf beiden Seiten der russisch-ukrainischen Frontlinie.
Der größte konventionelle Konflikt in Europa seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat bislang eine Vielzahl von Neuerungen, aber auch die Wiederkehr von Altbekanntem gesehen. Der Bewegungskrieg zu Beginn sah eine rasche Niederwerfung des Gegners vor, vergleichbar mit der anglo-amerikanischen Kampagne im Irak 2003. Jedoch waren die Offensivkräfte zu gering und die Bataillonstaktischen Gruppen beziehungsweise Bataillonskampfgruppen erwiesen sich – im Unterschied zu den amerikanischen Task Forces auf Brigade- und Divisionsebene – als ungeeignet für den Kampf gegen einen beinahe ebenbürtigen Gegner. Anders als in Syrien oder Afrika.
Im nunmehrigen Stellungskrieg kommen die aus dem Ersten Weltkrieg bekannten Phänomene zum Tragen. Massiver Einsatz von Artillerie, tief gestaffelte Anlagen von Schützengräben, Zermürbung und Sturmtrupps, gestützt durch taktischen Panzereinsatz. Erfolge werden entweder in eroberten Kilometern gemessen oder in höheren Verlusten des Gegners. Die Seite mit der größeren Zahl an Mitteln und Reserven trägt früher oder später den teuer erkauften Erfolg davon. Makabre Mathematik der Knochenmühle.
Unterdessen können Militärbeobachter parallel hierzu den ersten echten Drohnenkrieg oder „War of Drones“ analysieren. Und sie erstellen fieberhaft Konzepte zur Abwehr und Gegenabwehr einer Vielzahl von „Unmanned Airal Vehicles“ (UAV) unterschiedlichster Typen für die eigenen Streitkräfte. Das rüstungstechnische „Challenge and Response“. Galten diese Waffen bislang als Aufklärungselement oder als Instrument zur gezielten Tötung, so haben sie sich im Ukrainekrieg zu einer regulären Kampfunterstützungs- aber auch eigenen autonomen Kampfeinheit entwickelt.
Spendensammelaktionen für die „Drohnen-Kollekte“
Ihr Einsatz stellt an Quantität alles bisher Dagewesene in den Schatten. Laut Schätzungen von Oberst Markus Reisner werden 10.000 Drohnen im Monat alleine von der ukrainischen Seite eingesetzt. Auf ein Jahr hochgerechnet kommt man schnell auf eine sechsstellige Zahl. Die russische Seite hat diesbezüglich nachgezogen und steht quantitativ nurmehr im geringen Maße nach. Beide Seiten nutzen Videos erfolgreicher Einsätze auf Social-Media-Kanälen und rufen zu „Spendensammlungsaktionen“ auf. Bei den Ukrainern entstanden so die Kampagnen „Army of Drones“ – beworben durch den Schauspieler Mark Hamill (bekannt durch die Rolle des Luke Skywalker in Star Wars) – oder auch „Birds of Magyar“. Erstere soll 100 Millionen Euro für 1.400 Drohnen in die „Kollekte“ gebracht haben. Daneben verfügen die ukrainischen Streitkräfte über ein 500 Millionen Euro starkes Drohnenbudget. In einer geheim gehaltenen „Waffenschule“ wurden bislang 10.000 Drohnenpiloten ausgebildet. Mit 3D-Druckern wird die Hardware ziviler Drohnen für militärische Zwecke angepasst (Halterungen und Auslösemechanismen ebenso wie Stabilisierungsflossen und Zünder für Granaten). Software-Experten umgehen die Schutzmechanismen wie automatische Standortmeldung oder „Geofencing“. So wird aus einer 750-Euro-Drohne eine gefährliche taktische Waffe.
Es braucht nicht viel Phantasie, um sich die weiteren potenziellen Gefahren auszumalen, die einer Hydra gleich hieraus erwachsen. Das Sammelsurium von privaten Militärfirmen, Söldnern und Schattenkriegern könnte sich das System der „Spendensammelaktionen“ aneignen, um losgelöst von der regulären militärischen Führung auf eigene Faust zu handeln. Ein möglicher Waffenstillstand könnte so unterlaufen werden: durch politischen Druck oder auch durch einen gezielten massiven Schlag, der den Gegner als Bruch der Waffenruhe durch die Führung des Feindes erscheint. Wallensteins Grundsatz „Der Krieg muss sich aus dem Krieg heraus nähren“ würde ebendiesen unnötig verlängern.
Wir erleben gerade eine digitale Revolution und die Folgen sind noch nicht abzusehen. Gerade die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz bereitet vielen Menschen Sorgen um ihre Zukunft. In der neuen FREILICH-Ausgabe zeigen wir, wie die neuen Technologien unser Leben und unsere Welt verändern werden. Mehr zum Thema Drohnenkrieg lesen Sie in dieser Ausgabe.
Jetzt abonnieren
Wenn Sie jetzt abonnieren, erhalten Sie die aktuelle FREILICH-Ausgabe „Die digitale Revolution“ mit diesen und vielen weiteren Themen schon in Kürze direkt nach Hause! Hier abonnieren: www.freilich-magazin.com/abonnieren
Weiterverbreitung durch Organisierte Kriminalität an Terroristen?
Hinzu kommt die Verfügbarkeit des „Know-How“ für Terroristen. Internet-Anleitungen zur Adaptierung von Software und Hardware von handelsüblichen Drohnen, welche für Kameraden gedacht waren, könnten von Al-Qaida, IS, Taliban oder anderen radikalen Islamisten missbraucht werden. Parallel zu der Gefahr der Weiterverbreitung von modernen schultergestützten Panzer- und Flugabwehrwaffen. Organisierte Kriminalität und Terroristen werden Mittel und Wege finden, entsprechendes Material „vom Laster fallen“ zu lassen. Mittlerweile zählt die Ukraine drei autonome Angriffsdrohnen-Kompanien. Zudem verfügt jede Brigade von Kompanie- über Bataillons- bis zur Brigadeebene selbst über Drohneneinheiten. Diese überwachen in ihrem jeweiligen Frontabschnitt die Lage und reagieren entsprechend. So an der 700 Kilometer langen Linie zu Weißrussland, der 700 Kilometer langen vergleichsweise „ruhigen“ Linie gegenüber Russland und entlang des „heißen“ 700 Kilometer Frontabschnitts. FPV („First Person View“)- und DJI („Da-Jiang Innovation Science“)-Drohnen, also handelsübliche zivile Drohnen, die zu taktischen Waffen umgebaut werden, verfügen über eine Reichweite von zwei bis drei Kilometern und eine Flugdauer von 30 Minuten beziehungsweise fünf Kilometern. Die nächste Ebene stellen Flächendrohnen für Entfernungen von einigen Dutzend Kilometern und einer Einsatzdauer von einigen Stunden dar. Im obersten Leistungsspektrum rangieren Drohnen mit Thermaloptik, Laserentfernungsmessern, Laserzielmarkierung, präzisem militärischen GPS und verschlüsseltem Datalink. Die Reichweite beträgt einige Hundert Kilometer bis zur Rückkehr aufs eigene Flugfeld. Das Einsatzspektrum reicht von Echtzeitluftüberwachung für reguläre Truppen auf Kompanie- oder gar Zugs- und Gruppenebene bis hin zu Luftnahunterstützung und Zielmarkierung für Artillerie.
China hat begonnen, den Markt für seine DJI-Drohnen trockenzulegen. Zudem sollen die Beschränkungen zum Schutz vor militärischen Einsatz verbessert werden. Die Ukrainer antworten mittels Steigerung der Eigenproduktion. Skyassist, eine von 20 Unternehmen zur Entwicklung und Produktion von UAVs, möchte die „Sirko“-Drohne an die Front werfen. Mit einem Einsatzradius von 50 Kilometern und einer Einsatzdauer von 50 bis 70 Minuten. Stückpreis: 3.000 Euro.
Riesiger Drohnenmarkt mit „Dual-Use-Potential“
Russland kann neben FBVs und DJIs die Aufklärungsdrohne „Zala“ mit Zielmarkierung und die Angriffsdrohne „Lancet“ mit Hohlladungssprengkopf aufbieten. Im Verband richten diese schwere Schäden unter hochwertigen Zielen an. Zudem kommt noch der Deltaflügler KuB mit 40 Kilometern Reichweite und drei Kilogramm Splittergefechtskopf.
Martin Rosenkranz, Luftfahrtexperte für das Magazin Militär Aktuell, prognostiziert für das Jahr 2030 einen zivilen Drohnenmarkt – mit „Dual-Use-Potential“ – mit einem Umsatz von 50 bis 70 Milliarden Euro. Lösungen zum Schutz millionenschweren Geräts, kritischer Infrastruktur etc. stehen somit auf der Agenda der Militärs ganz oben. Der taktische wie der strategische Impakt lässt sich noch nicht quantifizieren. So analysierte die US Army nach dem Zweiten Weltkrieg, dass die Mehrzahl der Gegner durch Artilleriefeuer ums Leben kam. Dadurch bestärkt wurde die Einsatzdoktrin der überlegenen Feuerkraft durch Fernwaffen geboren. Irakische Kommandanten berichteten nach „Desert Storm“, dass sie zehn bis 20 Prozent ihrer Panzer im fünfwöchigen Luftkrieg eingebüßt hatten. Den Rest im 100-stündigen Bodenkampf.