Estland: Keine Studienplätze für russische und weißrussische Studenten
Von der Entscheidung sind jene Studenten betroffen, die keine Aufenthaltsgenehmigung für Estland oder einen anderes EU-Staat vorweisen können.
Tallinn. – Die prestigeträchtige Universität Tartu befürchet die Unterwanderung durch russische und weißrussische Studenten. Für das kommende Studienjahr will sie deshalb keine Plätze an Interessenten aus diesen Ländern vergeben. Derzeit sind insgesamt 440 russische und 59 weißrussische Studenten an Universitäten in ganz Estland eingeschrieben.
Veränderte Sicherheitslage als Grund
Aune Valk, Vizerektorin der Universität Tartu für den akademischen Bereich, erklärte gegenüber der estnischen Tageszeitung ERR, dass die Entscheidung im Zuge des russischen Einmarsches in die Ukraine getroffen worden sei. „Wir sind der festen Überzeugung, dass es sich um einen Krieg Russlands gegen die demokratische Ukraine handelt, der von Wladimir Putin angeführt wird, und nicht um einen Konflikt zwischen zwei Völkern“. Aufgrund der veränderten Sicherheitslage hätten sie aber die genannte Entscheidung treffen müssen.
„Zwar gibt es keine verlässlichen Angaben darüber, was russische Bürger denken, aber deutliche Anzeichen, dass es in der Bevölkerung einige Unterstützung für diesen Krieg gibt“, schrieb Aune Valk vor einigen Tagen in einer Mitteilung, die vom estnischen Rundfunk verbreitet wurde. „Wir können nicht sicher sein, dass russische und weißrussische Behörden nicht versuchen, Personen an estnische Universitäten zu schicken, deren Aufenthalt andere Ziele hat als freie akademische Betätigung“, so Valk weiter. Der Schritt stünde auch im Einklang mit den Sanktionen, die generell gegen Russland und Weißrussland verhängt werden.
Weitere Universitäten schließen sich an
Der Krieg wirke sich auf die akademische Welt genauso aus wie auf jeden anderen Lebensbereich auch, so Valk. Erst unlängst hat sich die russische Rektorenkonferenz in einer öffentlichen Erklärung klar hinter Putin und seinen Kriegskurs gestellt. Daraufhin hat die Europäische Universitätsvereinigung (EUA) die Mitgliedschaft jener Universitäten, deren Rektoren die Erklärung unterzeichnet hatten, ausgesetzt.
Inzwischen gaben auch andere estnische Universitäten, darunter die Universität Tallinn und die Universität für Biowissenschaften in Tartu, bekannt, dass sie ähnliche Beschränkungen für russische und weißrussische Studenten einführen wollen. Auch sie begründeten den Schritt mit Sicherheitsbedenken. Laut Hendrik Voll, Vizerektor für Studium und Lehre an der Technischen Universität Tallinn (TalTech), werden die übrigen Universitäten in Estland ähnlich verfahren. Man habe die geplanten Beschränkungen sowohl mit Vertretern aus dem Bildungswesen als auch mit Sicherheitsexperten diskutiert. „Die Universität ist nicht in der Lage, die russischen und weißrussischen Studenten, die Putins Regime loyal gegenüberstehen, von denjenigen zu unterscheiden, die das nicht tun“, so Voll.
Beschränkung sind „kontrovers“
Die ursprünglich von der Universität Tartu angekündigte Entscheidung betrifft allerdings nur jene Studenten, die keine Aufenthaltsgenehmigung für Estland oder einen anderen EU-Staat vorweisen können. Die 257 russischen und 25 weißrussischen Studenten der Universität Tartu können indes bleiben und ihr Studium beenden, fügte Valk hinzu. „Alle Studenten, die bereits an der Universität Tartu immatrukliert sind, sind Mitglieder der Universitätsfamilie, und die ihnen erteilten Aufenthaltsgenehmigungen sind gültig und sie können ihr Studium fortsetzen“. Ebenso können russische und weißrussische Staatsbürger mit Aufenthaltserlaubnis für einen der 27 EU-Staaten bleiben oder kommen, um dort zu studieren.
Die Entscheidungen der Universitäten könnten allerdings rückgängig gemacht werden. Der estnische Präsident Alar Karis, der von 2007 bis 2012 Rektor der Universität Tartu gewesen war, hat die geplanten Beschränkungen bereits als kontrovers bezeichnet und gemeint, dass sie wahrscheinlich noch einmal überdacht werden müssen. Er wies auch darauf hin, dass einige russische Staatsbürger eine doppelte Staatsbürgerschaft besitzen und das als Schlupfloch nutzen könnten, um sich doch noch an einer Universiät in Estland zu bewerben.