Wahlen in Serbien 2023: Warum die Rechte scheitern musste
Das rechte und patriotische Lager in Serbien ist bei den nationalen Parlamentswahlen am vergangenen Sonntag gescheitert. Für den serbischen Politikwissenschaftler Dr. Dušan Dostanić ist das keine Überraschung, wie er in seiner Analyse für FREILICH erklärt. Die serbische Rechte ist chronisch zerstritten, lethargisch und führungslos.
Wie ist es möglich, dass es in einem konservativen und patriotischen Land keine starke konservative Partei gibt? Genau das ist in Serbien geschehen. Obwohl überall in Europa rechte Parteien stark geworden sind und trotz der patriotisch orientierten Mehrheit des Volkes, wählt das Land immer wieder eine nicht-konservative Partei (SNS, Serbische Fortschrittspartei), während die stärkste Oppositionskraft eine links-liberale Koalition ist (SPN, Serbien gegen Gewalt). Die letzten Wahlen vom 17. Dezember haben die Schwäche der serbischen Rechten erneut deutlich gemacht.
Die Resultate sind folgende: Die Koalition um SNS von Präsident Vučić mit dem Namen „Serbien darf nicht stoppen“ bekam 46 Prozent der Stimmen. An zweiter Stelle folgt die links-liberale Koalition SNP mit 23 Prozent und an dritter Stelle die Sozialistische Partei Serbiens (SPS) mit 6,6 Prozent. Eine konservative Koalition mit dem Namen „Hoffnung“ erhielt nur fünf Prozent der Stimmen. Die eigentliche Überraschung ist die neu gegründete Bewegung „Wir – die Stimme aus dem Volk“, die am vergangenen Sonntag 4,6 Prozent erreichte. Diese Bewegung ist ideologisch und politisch indifferent, vertritt aber klare coronakritische und prorussische Positionen. Alle anderen konservativen Parteien blieben unter der Drei-Prozent-Hürde. Damit ist die Rechte der größte Verlierer, denn eine geeinte Rechte könnte zusammen ein Potenzial von 20 Prozent erreichen.
Geringe Wählermobilisierung und fehlende Medien
Offensichtlich waren die konservativen Parteien nicht in der Lage, ihr eigenes Potenzial auszuschöpfen. Das gilt vor allem für die Jugend, die in Serbien mehrheitlich konservativ und patriotisch eingestellt ist. Dennoch gingen mehr als 70 Prozent der Jugendlichen nicht zur Wahl. Auch bei den Älteren sind viele rechte Wähler zu Hause geblieben. Mit anderen Worten: Die konservativen Parteien konnten ihre eigenen Lager nicht mobilisieren. Zudem waren die konservativen Parteien nicht in der Lage, eine eigene Infrastruktur aufzubauen und Kommunalpolitik zu betreiben. Die unerfahrenen und oft unbekannten Kader auf lokaler Ebene konnten die Wähler nicht mobilisieren.
Die konservativen Medien sind nach wie vor ein Problem für die Rechte. Abgesehen von einigen Websites verfügt das konservative Lager in Serbien über keine eigenen Medien- und Kommunikationskanäle. Es gibt keine theoretischen Organe, keine Zeitschriften, keine Verlage. Das bedeutet, dass konservative Politiker von linken oder regierungsnahen Medien abhängig sind. Dies hat auch zur Folge, dass die allgemeine konservative und patriotische Stimmung in der Bevölkerung politisch keinen Ausdruck findet. Dies ist auch ein Grund, warum manche Patrioten immer noch die Regierungspartei wählen. Ohne eine konservative mediale Gegenkraft ist es für die SNS immer noch relativ einfach, die patriotischen Gefühle des Volkes mithilfe der großen Medien zu manipulieren.
Klare Kante und organisierendes Zentrum notwendig
Präsident Aleksandar Vučić und seine Partei missbrauchen vor allem das Fernsehen, um sich als Patrioten oder zumindest als kleineres Übel im Vergleich zur pro-europäischen Opposition darzustellen. Nur so ist es zu erklären, dass in einem Land, in dem laut Umfragen für bis zu 80 Prozent der Menschen der Kosovo wichtiger ist als die EU, seit über zehn Jahren eine Partei an der Macht ist, die eine Politik betreibt, die nicht im nationalen Interesse liegt. Auf der anderen Seite sind die Menschen, die normalerweise patriotische Parteien wählen würden, stark oppositionell orientiert und fordern einen klaren, konsequenten und kompromisslosen Oppositionskurs. Das bedeutet, dass die konservativen Parteien beweisen müssen, dass sie jede mögliche Zusammenarbeit mit Vučić ablehnen. Leider war das für einige nicht so klar. Deshalb hat ein Teil der konservativen Wähler ihre Stimme der linksliberalen Opposition gegeben, was nichts mit Ideologie zu tun hat, sondern mit Oppositionshaltung. Im Klartext: Auch die Linksliberalen können von der desorganisierten Rechten profitieren.
Auffällig ist auch, dass die rechten Parteien in den letzten Jahren relativ inaktiv waren. Während die linksliberale Opposition sehr oft verschiedene Proteste organisierte, geriet die patriotische Opposition zwischen die Fronten. Eigene Themen wurden nicht gesetzt. Ohne eine proaktive und offensive Politik ist es für die Parteien unmöglich, die Jugend zu mobilisieren. An diesem Beispiel wird auch deutlich, warum das Vorfeld wichtig ist.
Keine charismatische Führungspersönlichkeit
Eine wichtige Rolle spielten auch die Zerstrittenheit und die enorme Eitelkeit. Nach der Vereinigung der linken Opposition erwartete man das Gleiche auf der rechten Seite. Zu Recht. Bemerkenswert ist, dass die ideologischen Unterschiede gar nicht so groß waren und es leicht gewesen wäre, gemeinsame Positionen zu finden: Kosovo, Außenpolitik und so weiter. Einmal sah es so aus, als wäre ein Verhandlungserfolg möglich, aber das hat sich nicht bewahrheitet. Man kann den Eindruck gewinnen, dass es um persönliche Ambitionen und Eitelkeiten ging, was besonders problematisch ist, wenn die Ambitionen nicht mit dem persönlichen Charisma und Talent übereinstimmen. Mit anderen Worten: Die Rechte in Serbien hat keine Führungspersönlichkeit mit eigener Autorität. Die Ergebnisse von Sonntag sind eine Strafe für die Rechte insgesamt. Von einem Potenzial von 20 Prozent sind wir bei weniger als zehn Prozent gelandet. Die Führer sollten jetzt die Verantwortung dafür übernehmen.
Dies ist einer der Gründe, warum die Wähler der Rechten den Parteien gegenüber skeptisch eingestellt sind. Ohne Parteibindung kann diese Masse mal die eine, mal die andere Partei wählen. Das erklärt, warum „Wir“ als neu gegründete und politisch indifferente Bewegung plötzlich so viele Stimmen bekommen konnte. Die Frage ist aber auch, wohin diese schwimmende Masse später gehen könnte, vor allem dann, wenn es zu einer Spaltung kommen sollte. Bekanntlich hat es in der Geschichte der serbischen konservativen Parteien zu viele Spaltungen und Abspaltungen gegeben. Nach jeder Spaltung wurden die Parteien kleiner und unbedeutender und die Wähler enttäuschter.
Die ganze Kampagne war nicht überzeugend. Sie war sehr oft zu dilettantisch und langweilig. Vor allem die Videos waren einfach und unprofessionell. Von Entschlossenheit und Enthusiasmus war nichts zu spüren.
Wahlbetrug delegitimiert Demokratie
Schließlich muss man auch die gesamte Atmosphäre erwähnen. Die Wahlen waren in keiner Weise demokratisch, und das ist nichts Neues. Es ist sehr gut dokumentiert, dass die SNS ihre Stimmen verkauft hat oder dass Wähler erpresst wurden. In einer solchen Situation und ohne eigene Medien wäre es für die serbische Rechte sehr schwierig gewesen, ein gutes Ergebnis zu erzielen. Das ist wohl klar. Aber man muss sich auch die Frage stellen, warum man überhaupt an den Wahlen teilnehmen will. Wenn die Fälschung der Wahlen absehbar war, warum haben die Politiker nicht zum Boykott aufgerufen? Aber wenn die Parteiorganisation zu schwach ist und es keine Kontrolle gibt, bleiben Manipulationen und Fälschungen immer eine Möglichkeit.
Die serbischen Konservativen haben jahrelang alles falsch gemacht.
Die Wahlen in Serbien zeigen, dass eine allgemeine patriotische Stimmung für eine starke Rechte nicht ausreicht. Das Volk kann konservativ sein. Die Regierung kann trotzdem eine links-liberale Politik machen. Auch wenn die allgemeine Stimmung positiv ist, haben die konservativen Politiker noch viel Arbeit vor sich. Die Arbeit in der Partei ist nur die letzte Phase, die kommt, wenn die Voraussetzungen schon gegeben sind. Politik ist mehr als Umfragen. Aber wenn das so ist, dann gilt das auch umgekehrt. Auch unter ungünstigen Umständen kann eine rechte Partei erfolgreich sein.
Zur Person:
Dr. Dušan Dostanić ist serbischer Politikwissenschaftler und arbeitet am Institut für politische Studien in Belgrad. Er hält regelmäßig Vorträge in Deutschland und Österreich, wie im April 2023 bei der FAV-Frühjahrsakademie 2023 zur geopolitischen Lage im Balkan.