Dirk Alt – „Die Unsrigen“

Romane über den großen Austausch sind inzwischen ein gesondertes Genre rechter Literatur.

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Dirk Alt – „Die Unsrigen“

Schachfiguren

© Pixabay

Es haben sich zwei verschiedene Arten des Aufbaus solcher Romane etabliert. Die pessimistische Variante folgt Jean Raspails Klassiker Das Heerlager der Heiligen. Geschildert wird der Massenansturm einer neuen Migrantenwelle, die mit moralischer Begeisterung in Europa empfangen wird, bis sich die Begeisterung zu spät in Entsetzen wandelt, während die öffentliche Ordnung unter dem Ansturm zusammenbricht und das Abendland unwiederbringlich untergeht.

Die optimistische Variante, von der gerade in den letzten Jahren einige veröffentlicht wurden (zum Beispiel Werner Bräuningers Was wir lieben mussten), folgt einem ebenso vorhersehbaren Schema: Am Anfang eine Schilderung der Missstände der gegenwärtigen Zeit, dagegen bildet sich eine Widerstandsbewegung, die sich schließlich gegen die Repression durchsetzt und die jeweilige Utopie des Autors von einer erneuerten patriotischen Gesellschaft verwirklicht.

Zwei Arten von Romanen

Dirk Alts Die Unsrigen ist ein Schlag ins Gesicht beider zunehmend unerträglichen Stilrichtungen! Die beißendste und feinste Pointe verleiht Alt seinem Buch schon vor der ersten Seite mit dem Untertitel „Utopischer Roman“. Als solcher ist Die Unsrigen nicht nur deshalb disqualifiziert, weil in seinem Verlauf zu viel gefoltert und massakriert wird, sondern weil seine Grundstruktur das exakte Gegenteil derjenigen eines utopischen Romans aufweist. Der utopische Roman führt den Leser auf eine Erklärungsreise durch das utopische Land, welches sich der Autor ausgedacht hat. Alt erklärt wenig, sondern erzählt, und zwar aus der Perspektive von Fritz, den seine zur progressiven Elite gehörenden Eltern eigentlich Yussuf René genannt haben, und Hein, über dessen Hintergrund wir überhaupt nichts erfahren.

Fritz und Hein, gehören beide in etwa der Generation an, die heute im Jahr 2022 in den Windeln liegt. Der große Austausch ist unvermindert weitergegangen und während beide das Erwachsenenalter erreichen, befindet er sich bereits ganz höchstoffiziell im Stadium der „Übergabe“, die geregelt und friedlich verlaufen soll, damit die Reste der alten linken Elite ihren Status und ihr Vermögen wenigstens noch für das eigene Leben – wenn schon nicht das ihrer Kinder – retten können. Im Alter von 17 Jahren schließt sich Fritz einer von dem kaum älteren Hein geleiteten jugendlichen Widerstandsgruppe an, weil ein muslimischer Schulhofbonze seine erste Liebe dazu zwingt, seine Hure zu werden. Bis zu diesem Punkt befinden wir uns im Schema des optimistischen Austauschromans, jetzt müsste der politische Kampf geschildert werden, der schließlich zur Verwirklichung des Ideals des Autors führt.

Schlag ins Gesicht

Die Unsrigen macht an dem Punkt, an dem Fritz von zuhause abhaut, einen harten Schnitt. Man erfährt nur noch, dass den technokratischen Eliten die Kontrolle entgleitet und tatsächlich spielen jene von diesem Zeitpunkt an keine Rolle mehr. Auch literarisch nicht mehr, der Slang aus Deutsch, Englisch und Arabisch, aus dem der erste Romanabschnitt zum guten Teil besteht, kommt nicht wieder vor, seine Zeit ist unwiederbringlich vorbei. Dirk Alt lässt den großen Austausch in seinem Roman nicht durch den Idealismus oder die Klugheit der Besonnenen abbrechen. Er schreitet zur Konsequenz des Zusammenbruchs voran, ohne dass irgendjemand dem Unglück in die Speichen fällt.

Der zweite Teil spielt in der Umgebung der Festung, einer ungenannten deutschen Stadt, die von den Volksdeutschen den Muslimen vor einiger Zeit abgenommen und nun von diesen in einer Gegenoffensive belagert wird. Hein ist inzwischen Verteidigungskommissar in der Festung und muss sich mit den politischen Richtungskämpfen innerhalb der deutschen Führung herumschlagen, während seine Frau aufgrund einer Krankheit im Sterben liegt. Fritz führt eine Kommandoeinheit hinter den feindlichen Linien. Wie lange der Krieg jetzt schon dauert, erfahren wir nicht. Auch diesmal wird die politische Auseinandersetzung zwar ausgiebig behandelt, die Entscheidung aber vor dem Leser verborgen. Der zweite Teil bricht ab, bevor der Richtungsstreit zwischen Völkischen und Slawophilen in der deutschen Führung entschieden ist. Erst im dritten Teil, der schildert, wie grob zwei Jahrzehnte nach Kriegsausbruch die letzten Muslime an der Südküste Siziliens ins Meer getrieben werden, erfahren wir im Rückblick einige Bruchstücke.

Kein typischer Spannungsbogen

Diese Erzählweise ist ein brillanter Einfall des Autors. Anstelle eines politischen Vortrages in Romanform, den fast alle Romane über den großen Austausch beinhalten, erfahren wir als Leser die Personen zwar als handelnde (und keineswegs wie in einem Antikriegsroman als passiv duldende), die jedoch größeren Abläufen unterworfen sind. Sie tun, was sie können und was gerade zu tun ist, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die scharfen Trennlinien zwischen den einzelnen Zeitabschnitten sowie die Auslassung der politisch entscheidenden Momente verhindern, dass wir die Geschichte als von den Protagonisten forciert empfinden. Alt vermeidet gerade das typische Muster des Spannungsbogens, bei dem die Handlung schließlich an einen Entscheidungspunkt kommt, an welchem der Held sich bewährt oder scheitert.

Auch deshalb nicht, weil er den Verlauf des Krieges sehr realistisch einmal an den beiden Weltkriegen, aber auch an langwierigen Bürgerkriegen der jüngeren Zeit angelehnt hat. Es ist ein langes, chaotisches Morden ohne große Entscheidungsschlacht, unter dem die Zivilbevölkerung mindestens so sehr zu leiden hat wie die Truppe. Die diskreten Zeitabschnitte erlauben es weiterhin, jedem von ihnen ein eindeutiges Gepräge zu geben. Der Roman lebt davon, dass der Leser die Hauptpersonen über zwei Jahrzehnte unter verschiedenen Bedingungen und in verschiedenen Rollen erlebt. Alt kann alle drei Zeiträume  – die späte Bundesrepublik, die ungewisse Kriegsmitte sowie schließlich die Aufräumarbeiten bei Kriegsende – aus ihren jeweils eigenen Bedingungen schildern. Sie stehen jede für sich und sind keine Projektionsfläche für die heutigen Gedanken des Autors. Der letztliche Sieg führt dann auch nicht zur Verwirklichung irgendeines politischen Ideals, welches der Autor in unserer jetzigen Zeit hegen mag, sondern hinterlässt ein vom Krieg verwüstetes Deutschland, dessen Zukunft ungewiss ist und ein Volk, das selbst nicht weiß, wohin es nun gehen soll.

Bei allem wird Die Unsrigen trotz aller Brutalität nicht zum Gewaltporno, weil es Alt gelingt, die Wirkung des Krieges auf die Menschen in all ihren Nuancen darzustellen und nicht als bloße Brutalisierung, sondern als Konzentration der Menschen auf das eigene Überleben und die jeweils nahestehende Aufgabe. Das Ende ist brillant abgründig und abgründig brillant. Doch das soll dem Leser hier nicht vorweggenommen werden.


Dirk Alt: Die Unsrigen. Utopischer Roman. Selbstverlang, gebunden, 534 Seiten

Über den Autor

Johannes K. Poensgen

Johannes K. Poensgen, geboren 1992 in Aachen, studierte zwei Semester Rechtswissenschaft in Bayreuth, später Politikwissenschaft und Geschichte in Trier. Erreichte den Abschluss Bachelor of Arts mit einer Arbeit über die Krise der Staatsdogmatik im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Befasste sich vor allem mit den Werken Oswald Spenglers und Carl Schmitts. Er bloggt auf seiner Netzseite „Fragen zur Zeit“.

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