Alice Weidel: „Die links-grüne Politik der Deindustrialisierung macht alle arm!“
Eine Großdemonstration in Berlin am Samstag und eine Landtagswahl in Niedersachsen am Sonntag – für die AfD wird das kommende Wochenende sehr wichtig. Die TAGESSTIMME hat die AfD-Bundessprecherin Alice Weidel zu einem Gespräch über beide Themen eingeladen.
TAGESSTIMME: Die AfD feiert nächstes Jahr das zehnjährige Jubiläum. In den Umfragen ist die AfD aktuell einer der großen Gewinner – ein prima Geburtstagsgeschenk. Aber wird das auch ein langfristiges sein? Was meinen Sie?
Alice Weidel: Der Erfolg kommt ja nicht von ungefähr; wir haben hart dafür gearbeitet. In den knapp zehn Jahren unseres Bestehens haben wir eine aktive Basis und eine solide Wähler- und Anhängerschaft gewonnen, die unsere Politik mit großem Engagement unterstützt und sich auch von Verleumdungen und Diffamierungen nicht einschüchtern lässt. In den Parlamenten haben wir gezeigt, dass wir nicht nur hart und sachlich kritisieren, sondern auch vernünftige Alternativen für eine bessere Politik vorlegen können. Trotz aller verzerrten Darstellungen durch das politische und mediale Establishment wird einer wachsenden Zahl von Bürgern bewusst, dass wir die einzige echte Opposition zu den Etablierten sind. Die Erfolgsgeschichte der AfD ist noch lange nicht zu Ende, sie hat eine neue Stufe erreicht und geht jetzt erst richtig los.
Sie sprachen Anfang September einen Wunsch aus: „Ich wünsche mir eine kompetentere Regierung.“ Wäre angesichts der anscheinenden Untätigkeit der Regierung nicht wenigstens schon eine aktive Regierung wünschenswert?
Verblendeter Aktionismus zieht uns nur noch tiefer ins Chaos, das hat diese Regierung zur Genüge bewiesen. Wir brauchen eine Regierung, die sich aktiv und kompetent um die staatlichen Kernaufgaben kümmert – Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit, Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und Eigentum, Bereitstellung einer funktionierenden Verwaltung und Infrastruktur und eines leistungsorientierten und effektiven Bildungssystems –, die sich aber aus dem Privatleben der Bürger und ihren persönlichen und wirtschaftlichen Entscheidungen heraushält. Diese Regierung ist, wie ihre Vorgänger, schwach bei den Aufgaben, in denen sie stark sein sollte, aber stark dort, wo sie schwach sein sollte – beim Abkassieren, Gängeln und Bevormunden. Das wollen wir als freiheitliche Partei ändern.
Vor einem Monat sprachen Sie auf der Pressekonferenz zur Kampagne von einem „misslungenen Realitätstest“ der grünen Politik und Ideologie. Hat sich Ihr Urteil verfestigt?
Das Tempo, in dem diese Koalition nach nur einem Jahr abgewirtschaftet hat, ist atemberaubend. Reihenweise zerschellen die Dogmen und ideologischen Illusionen der Grünen und ihrer Mitläufer in allen etablierten Parteien an den harten Klippen der Wirklichkeit, von Energiewende und Atomausstieg bis Gender-Gaga und Multikulti. Wie trotzige Kleinkinder weigern sich der Bundeskanzler und seine Minister, das einzusehen und die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, und halten stur an ihrer zerstörerischen Ideologie fest. Deswegen erhöhen wir den Druck – im Parlament, aber auch mit öffentlichen Protestkundgebungen.
Die Regierung hat in der letzten Zeit oftmals ihre Inkompetenz bewiesen – man denke nur an Habecks Ausführungen zur Insolvenz. Wie klingen solche Ausführungen in den Ohren einer promovierten Volkswirtin?
Ludwig Ehrhard würde sich wohl im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass auf seinem Sessel jetzt ein ideologisch vernagelter Märchenbuchautor dilettiert, der nicht einmal die einfachsten Grundbegriffe von Ökonomie, Finanzen und Marktwirtschaft versteht und seine Ignoranz wie eine Monstranz vor sich herträgt. Und es ist ja nicht nur Habeck. Ein Bundeskanzler, der in einen Finanzskandal verwickelt ist und an Amnesie leidet, eine Außenministerin, die moralisierende Weltinnenpolitik betreibt, statt deutsche Interessen zu vertreten, ein FDP-Finanzminister, der jeden grünen Unfug mitträgt und über Haushaltstricks finanziert, eine Innenministerin, die auf dem linken Auge blind ist, ein Gesundheitsminister, der sich wie ein vom Corona-Wahn besessener Pharmalobbyist aufführt, ein Justizminister, der absurde Grundrechtseinschränkungen schönredet, eine Verteidigungsministerin, die einen Panzer nicht von einer Dienstlimousine unterscheiden kann und Militärhubschrauber für Ferienflieger hält – in diesem Gruselkabinett ist jedes Los eine Niete.
In der Jungen Freiheit sprach der Ökonom Christian Seidel von einer Inflation über elf Prozent. Auch der Konsumklimaindex und der Produzentenpreisindex zeigen katastrophale Tendenzen – Deutschlands Wirtschaft fährt mit voller Wucht gegen die Wand. Kurzfristige Lösungen könnten laut Ihnen nicht die Krise beenden. Haben Sie über die auf der PK angesprochenen Punkte wie Streichung der CO2-Steuer und Senkung der Mehrwertsteuer ein langfristiges Konzept vor Augen?
Nur Steuersenkungen sind echte Entlastungen. Was der Staat mit gönnerhafter Geste als „Entlastungspaket“ verteilt, Zuschüsse, Einmalzahlungen, neue oder höhere Sozialleistungen, ist Umverteilung, die die Steuerzahler früher oder später selbst bezahlen müssen. Das ist ein zentraler Bestandteil des Reformpakets, das ich Anfang September im Bundestag vorgestellt habe. Statt astronomische Schuldenberge aufzuhäufen, müssen die Staatsausgaben gesenkt werden, indem sich der Staat auf seine wesentlichen Aufgaben – Infrastruktur, Sicherheit, Recht und Ordnung – beschränkt. Die Inflation muss an der Wurzel bekämpft werden: Schluss mit Schuldenorgien, Euro-Schuldenunion und der expansiven Gelddruck- und Niedrigzinspolitik der EZB. Die illegale Migration in die Sozialsysteme muss abgestellt werden. Damit die horrenden Energiepreise sinken, brauchen wir keine planwirtschaftlichen und dirigistischen Maßnahmen, die nicht funktionieren können, sondern die Bereitstellung von ausreichend sicherer und bezahlbarer Energie. Und das heißt: Energiewende stoppen, Atom- und Kohlekraftwerke weiterlaufen lassen, schädliche Sanktionen beenden, Erdgaslieferungen aus Russland wieder möglich machen – unter anderem durch die Reparatur der Ostsee-Rohrleitungen Nord Stream 1 und 2.
Die AfD begleitet mit ihrer aktuellen Kampagne den „heißen Herbst“. Wie wird es danach weiter gehen? Gibt es mit der AfD einen „Wut-Winter“?
Den „Wut-Winter“ gibt es in jedem Fall. Immer mehr Bürger merken jetzt, dass die katastrophale Politik der etablierten Parteien sie in ihrer Existenzgrundlage und in ihrem hart erarbeiteten Wohlstand bedroht und ihre Arbeitsplätze vernichtet. Die Deutschen haben jedes Recht, gegen eine Politik auf die Straße zu gehen, der es – in den Worten der grünen Außenministerin Baerbock – „egal“ ist, was ihre deutschen Wähler denken. Eine Regierung, die derart dreist und ungeniert die Interessen des eigenen Landes und der eigenen Bürger an die letzte Stelle setzt, hat sich den Zorn der Bürger selbst zuzuschreiben. Die AfD unterstützt diesen Protest, um ihm eine Stimme zu geben, die nicht mehr überhört werden kann.
Nach einer vierwöchigen Mobilisierungsphase wird nun am Wochenende in Berlin demonstriert. Freuen Sie sich schon auf die Demonstration? Was erwarten Sie von diesem Wochenende?
Bundeskanzler Scholz spricht ja gerne vom „Unterhaken“. Das ist in der Tat nötig – aber gegen eine Regierung, die so mitleidlos die eigenen Bürger in die Verarmung treibt und das Land gegen die Wand fährt. Diese Kundgebung wird ein kraftvolles Zeichen setzen: Bürger aller Schichten und Berufsgruppen –Arbeitnehmer, Mittelständler, Handwerker, Bauern, Familien, Rentner – um der Regierung ihre Meinung zu sagen: Bis hierher und nicht weiter. Dafür müssen wir auch keine englischen Phrasen bemühen wie Olaf „you never walk alone“ Scholz. Wir sagen den Leuten, die dieses Land am Laufen halten, ganz einfach und ehrlich: Wir stehen an Eurer Seite.
In Niedersachsen wird am Wochenende auch gewählt. Die AfD hat dort die Chance auf ein zweistelliges Ergebnis – eine Verdoppelung ihres Ergebnisses vom 2017. Mit großen Industriekonzernen wie der Volkswagen AG oder der Salzgitter Gruppe sowie einer großen landwirtschaftlich genutzten Fläche leidet das norddeutsche Bundesland stark unter der Energiekrise. Die von Ihnen auf der Pressekonferenz beschriebene Deindustrialisierung Deutschlands wird Niedersachsen somit besonders heftig betreffen – doch die regierenden Altparteien interessiert das offenbar nicht. Ist die AfD der letzte Vertreter der deutschen Industrie?
Die ökosozialistische Politik der Grünen, die in der Regierungskoalition den Takt vorgeben, zerstört den unternehmerischen Mittelstand und die bürgerliche Mittelschicht. Die links-grüne Politik der Deindustrialisierung macht alle arm: Mit der produktiven Industrie stirbt der Mittelstand, mit Industrie und Mittelstand verschwinden die Jobs, mit den Arbeitsplätzen geht der Wohlstand, von dem alle profitieren, vom Arbeitnehmer bis zum Rentner. Deswegen kämpfen wir dafür, die Grundlagen des deutschen Erfolgsmodells zu bewahren.
Zum Abschluss, wenn Sie möchten, zwei Zahlen: Welches Ergebnis wünschen Sie sich für Niedersachsen, und wie viele Menschen erhoffen sie am Samstag in Berlin zu treffen?
Je höher das Ergebnis für die AfD in Niedersachsen, desto klarer das Signal an die abgewirtschaftete Ampel und für eine politische Wende. Stefan Marzischewski und seine Mitstreiter werden uns am Sonntag mit einem großartigen Ergebnis überraschen. Und am Samstag setzen wir in Berlin ein unübersehbares Zeichen, dass die Bürger sich dieses Kettenversagen und die Ausplünderung durch die etablierten Parteien, die unser Land an die Wand fahren, nicht länger gefallen lassen.
Frau Weidel, vielen Dank für das Gespräch!
Zur Person:
Alice Weidel, Jahrgang 1979, ist promovierte Volkswirtin und führt gemeinsam mit Tino Chrupalla die Bundespartei und Bundestagsfraktion der AfD.
Unter dem Motto „Preisexplosion stoppen!“ ruft die AfD am 8. Oktober zu einer Großkundgebung in Berlin auf.