Beschaffungspolitik: Verteidigungsministerium vernachlässigt deutsche Interessen
Ende Mai brachte die Bundesregierung unter dem Eindruck des Ukraine-Krieges ein gigantisches Aufrüstungsprogramm für die Bundeswehr auf den Weg: 100 Milliarden Euro sind demzufolge für die Modernisierung und Beschaffung neuen Geräts eingeplant.
Doch das Füllhorn für das Bundesverteidigungsministerium hat einen Haken: erkleckliche Teile des 100-Milliarden-Brockens kommen nicht etwa der heimischen Rüstungsindustrie zugute (die weltweit nach wie vor eine leistungsfähigsten ist), sondern der amerikanischen. Und, schlimmer noch: die Prioritäten des Verteidigungsministeriums drohen die Bundeswehr in eine verhängnisvolle Abhängigkeit von amerikanischen Rüstungskonzernen zu bringen.
Der Bundesverband der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI) schlägt Alarm: allein mehr als 16 Milliarden Euro will das Verteidigungsministerium unter Ministerin Lambrecht (SPD) für neue Kampfflugzeuge und Hubschrauber ausgeben. Profitieren sollen davon allein US-Anbieter. Sie sollen nicht nur die Lieferung, sondern auch gleich noch die auf viele Jahre ausgelegte Wartung des neuen Geräts übernehmen.
Wie das Magazin Europäische Sicherheit und Technik berichtet, geht es konkret um die Anschaffung von F-35-Kampfflugzeugen und schweren Kampfhubschraubern des Typs CH-47. Die F-35 wird vom US-Rüstungsgiganten Lockheed Martin produziert, der Hubschrauber CH-47 von Boeing. Die F-35 sollen die inzwischen in die Jahre gekommenen „Tornados“ der Bundeswehr ersetzen, die Schwerlasthubschrauber die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr insgesamt verbreitern. Im letzteren Bereich gibt es angeblich kein vergleichbares europäisches Modell.
Neue Jets aus den USA
Aber: bei alledem sollen deutsche Firmen laut BDLI nicht einmal an Wartung und Instandhaltung beteiligt sein. Die deutschen Rüstungsanbieter sehen sich übergangen – und kritisieren, dass die Bundesregierung bei den Verhandlungen mit den Amerikanern offenbar nicht einmal den Versuch unternommen hat, die Interessen deutscher Firmen ins Spiel zu bringen.
BDLI-Vorstandsmitglied Martin Kroell: „Vonseiten der Bundesregierung gibt es keinerlei Forderungen in Richtung der Vertragspartner, dass die deutsche Industrie beteiligt wird. Weder im Rahmen von Produktion, aber auch nicht im Hinblick auf Betreuungsaufgaben.“
Zwar soll es noch einen zweiten Vertrag geben, der auch sogenannte nationale Betreuungsaufgaben umfasst. Der BDLI befürchtet aber nicht ohne Grund, dass es sich dabei nur um die Brosamen des großen Geschäfts handelt. Und: „Geld, das wir für die USA ausgeben, kommt nicht zurück“, kritisiert Kroell.
Es gehe schließlich um „strategische Industriepolitik“. Die heimische Industrie zu beteiligen, bringe Rückflüsse, schaffe Arbeitsplätze und ermögliche eine Anpassung an den heimischen Bedarf. Nun drängt sich beim BDLI der Verdacht auf, die Bundesregierung setze bei der Beschaffung auf Schnelligkeit vor Gründlichkeit. Zudem sehe es das Bundesverteidigungsministerium gar nicht als seine Aufgabe, Industriepolitik zu betreiben. Überdies habe das Ministerium wenig Erfahrung im Umgang mit internationalen Rüstungskonzernen.
Deutsche Interessen schützen
Noch eine weitere Achillesferse der Berliner Beschaffungspolitik bringen die deutschen Rüstungshersteller ins Gespräch: die drohende Abhängigkeit von den US-Anbietern. Schon in der Vergangenheit hätten diese demonstriert, dass im Zweifelsfall „America First“ gelte. Steige der Materialbedarf, würde die US-Rüstungsindustrie die eigenen Streitkräfte vorrangig bedienen – und ausländische Kunden womöglich gar nicht mehr. Der BDLI verweist auf die Türkei, die im Streit um die Anschaffung amerikanischer „Patriot“-Flugabwehrsysteme und ebenfalls der F-35 äußerst schlechte Erfahrungen mit den USA gemacht habe.
Alles in allem drängt sich der böse Verdacht auf, dass das Bundesverteidigungsministerium alles, nur keine nationalen Interessen verfolgt. Dabei kommt die Bundeswehr schon jetzt am Zahnfleisch daher. Es dürfte kaum zu ihrem Vorteil sein, wenn sie künftig auch noch vom Wohlwollen des amerikanischen Hegemons abhängig ist.