Das politische Sachbuch des Jahres? Mathias Brodkorb über den Verfassungsschutz

Der ehemalige Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, Philosoph und Mitbegründer des linken Watchblogs „Endstation Rechts“, Mathias Brodkorb (SPD), hat bereits im März das politische Sachbuch des Jahres vorgelegt, meint der Politologe Benedikt Kaiser in seiner Rezension für FREILICH.

Benedikt Kaiser
Kommentar von
20.3.2024
/
2 Minuten Lesezeit
Das politische Sachbuch des Jahres? Mathias Brodkorb über den Verfassungsschutz

„Endstation Rechts“ und „Storch Heinar“ sind zwei deutschlandweit viel beachtete linke Projekte, bei denen der nachmalige Bildungs- und Finanzminister (2011–2019) Mecklenburg-Vorpommerns, der Philosoph Mathias Brodkorb, federführend beteiligt war. Diese Projektgründungen sind fast 20 Jahre her. Es ging insbesondere darum, der NPD und ihrem Milieu, das über hartnäckige Bastionen verfügte, „aufklärerische“ und satirische Formate entgegenzustellen: Man nahm den Vormarsch von Rechtsaußen, der freilich massiv überzeichnet wurde, als Bedrohung für die freiheitliche und demokratische Ordnung wahr.

Viel hat sich seitdem getan: Die NPD samt Umfeld verschwand – und zur Bedrohung für Meinungsfreiheit und praktische Demokratie wurde nach Ansicht Brodkorbs mit jedem Jahr mehr der deutsche Inlandsgeheimdienst, der sogenannte Verfassungsschutz (VS). Er eignet sich Befugnisse an, weitet die Überwachung oppositioneller Parteien (wie der AfD) und Strömungen (wie der „Neuen Rechten“) immer weiter aus und schreckt nicht einmal mehr davor zurück, unverhohlen das Denken und die Sprache reglementieren zu wollen – Anmaßung und Grenzüberschreitung zugleich. Das Leitmotiv des vorliegenden Buches kann man daher in den Worten des Vorwortautors Volker Boehme-Neßler, einem renommierten Verfassungsrechtler, so ausdrücken: „Wie kann so etwas im Rechtsstaat möglich sein?“

Ein Plädoyer für die Abschaffung des Verfassungsschutzes

Brodkorb macht klar: In einem funktionierenden Rechtsstaat und in einer intakten Demokratie dürfte es gar nicht möglich sein. Der VS sei „eine für die Demokratie unwürdige Institution“. Deshalb habe auch kein anderes freiheitliches Land dieser Welt diese bundesdeutsche Besonderheit als Vorbild genommen. Wer wünscht sich schon einen Geheimdienst, der über Stellungnahmen und Interventionen eine „Prüfung der politischen Gesinnung“ vornimmt, um Andersdenkende „öffentlich an den Pranger stellen zu können“? (Brodkorb)

Anhand von sechs prägnanten Fallstudien aus der Praxis – von links (Bodo Ramelow) bis rechts (Schnellroda-Komplex) – zeigt der Autor im Anschluss auf, wie sich der dritte deutsche Geheimdienst (neben dem Militärischen Abschirmdienst, MAD, und dem Bundesnachrichtendienst, BND) seine Gegner zurechtlegt. Es gehe darum, die Betroffenen in Verruf zu bringen, ihre Strukturen zu zersetzen und sie aus der freien Willensbildung auszuschließen.

Brodkorbs bahnbrechende Arbeit mündet schließlich in einem Plädoyer dafür, den Verfassungsschutz abzuschaffen. Nicht etwa aus Zuneigung zur AfD – sondern zu einer wahrhaft freiheitlichen Demokratie.

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Zur Person:

Benedikt Kaiser, geboren 1987, ist Politikwissenschaftler, Lektor und Publizist. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der politischen Theoriearbeit und der praktischen Wissensvermittlung. Zuletzt erschien sein viel beachteter Sammelband Die Konvergenz der Krisen.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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