Der Impfzwang bleibt als politisches Druckmittel aufrecht

Die türkis-grüne Regierung hat die Aufhebung fast aller Corona-Maßnahmen innerhalb der nächsten drei Wochen angekündigt. Es ist eine Flucht nach vorne. Eine Rückkehr zur alten Normalität ist das aber nicht. Denn die Impflicht bleibt weiterhin aufrecht.
Werner Reichel
Kommentar von
21.2.2022
/
4 Minuten Lesezeit
Der Impfzwang bleibt als politisches Druckmittel aufrecht

Die türkis-grüne Regierung hat die Aufhebung fast aller Corona-Maßnahmen innerhalb der nächsten drei Wochen angekündigt. Es ist eine Flucht nach vorne. Eine Rückkehr zur alten Normalität ist das aber nicht. Denn die Impflicht bleibt weiterhin aufrecht.

Ab 5. März können die Österreicher wieder ohne Kontrollen und Tests einkaufen, Essen gehen und feiern, die Sperrstunde um 24.00 wird aufgehoben und auch für Veranstaltungen gibt es keine Einschränkungen und Obergrenzen mehr. Die 2- oder 3G-Regeln werden bald Geschichte sein.

Der Alltag der Bürger wird sich weitgehend normalisieren, der Staat sich wieder etwas aus dem Privatleben der Menschen zurückziehen. Alles, was bis vor wenigen Tagen noch als alternativlos, als Frage von Leben und Tod galt, ist über Nacht bedeutungslos geworden. Nicht, weil sich die pandemische, sondern die politische Lage verändert hat.

Impfpflicht als Damoklesschwert

Was ÖVP und Grüne über Monate ignoriert haben, die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen, wird nun frech und ohne jedes Schuldbewusstsein als Hauptgrund für die Lockerungen angegeben. Doch die von der Regierung gewährten Freiheiten haben einen Haken: Die umstrittenste und weitreichendste Maßnahme bleibt aufrecht: die Impfpflicht.

Sie wird nicht ersatzlos gestrichen, sondern bestenfalls auf Eis gelegt bzw. nicht vollzogen. Darüber wird in den nächsten Tagen eine „Experten-Kommission“ entscheiden. Was aber ausgeschlossen wird, ist deren Aufhebung. Sie hängt also weiterhin als Damoklesschwert auf unbestimmte Zeit über den Menschen, über den Bürger- und Freiheitsrechten. Dass man einerseits die meisten Corona-Regeln panikartig über Bord geworfen hat, andererseits die Impflicht unangetastet bleibt, haben die Bürger den internationalen Entwicklungen, den anhaltenden Protesten der Alu-Hüte und Schwurbler, der FPÖ und einer kleinen Stadt in Niederösterreich zu verdanken. In Waidhofen an der Ybbs wurde am 30. Januar der Gemeinderat gewählt. Das Ergebnis war für die ÖVP Schock und Weckruf zugleich. Waidhofen ist ÖVP-Kernland, Heimatgemeinde von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka. Bei der letzten Wahl erreichte die ÖVP dort über 60 Prozent der Stimmen. Davon sind nur 41 Prozent geblieben, die ÖVP verlor rund ein Drittel ihrer Stimmen. Die impfkritische Partei MFG, die mit einem unbekannten und farblosen Kandidaten angetreten ist, erreichte aus dem Stand über 17 Prozent.

Politische Flucht nach vorne

Vielen in der ÖVP wurde an diesem Sonntag schlagartig bewusst, dass die Einführung der völlig überzogenen Impfpflicht keine gute Idee war und für die ohnehin strauchelnde Partei zum Bumerang werden könnte. Die nunmehrigen Lockerungen der Corona-Maßnahmen haben also wenig mit dem Abklingen der Pandemie zu tun, sondern sind eine politische Flucht nach vorne. Sie sollen die Menschen von der unverhältnismäßigen und undemokratischen Impfpflicht, von den Korruptionsvorwürfen, die gegen ÖVP-Leute aktuell erhoben werden, den bedrohlich steigenden Energie- und Konsumgüterreisen ablenken. Das sind zu viele Baustellen für eine Regierungspartei, die seit dem Abgang von Sebastian Kurz wie ein Politzombie kopf- und orientierungslos agiert.

Alles, was die Regierung noch vor wenigen Tagen ins Treffen geführt hat, um die strengen Corona-Maßnahmen zu rechtfertigen, zählt plötzlich nichts mehr. Die „Expertinnen und Experten“, auf die sich die Regierung seit Monaten berufen hat, hat man ausgetauscht. Die Corona-Hardliner unter ihnen haben über Nacht ihren Einfluss und Expertenstatus verloren, weil man sie zur Unterstützung und Rechtfertigung der Regierungslinie nicht mehr benötigt.

Die ÖVP zeigt sich auch in anderen Dingen flexibel. Plötzlich entsinnt man sich, dass auch Freiheit und Selbstbestimmung zu einer Demokratie gehören. Irgendwie. Das hat man im Zuge seines Corona-Machtrausches vergessen, zumal die Pandemie die kommunistische und autoritäre Grundierung der Grünen freigelegt hat. Sie drängten besonders heftig auf jene Zwangsmaßnahme, die den Staat ermächtigt, über den Körper der Menschen verfügen zu können, auch gegen deren Willen.

Zu keinem Zeitpunkt der Corona-Pandemie war sie zu rechtfertigen, sie einzuführen, als Covid-19 längst seinen Schrecken verloren hat, war demokratiepolitisch unverantwortlich und obendrein dumm. Man hat die Impfpflicht beschlossen, als es dafür keine Notwenigkeit mehr gab, da die harmlosere Omikron-Variante zu keiner Zeit eine Gefahr für das Gesundheitssystem darstellte und längst erwiesen war, dass die Impfung eine Ansteckung nicht verhindern kann.

Trotzdem unterschrieb am 5. Februar Bundespräsident Alexander van der Bellen jenes Gesetz, das wenige Tage zuvor 80 Prozent der Abgeordneten im Parlament abgesegnet hatten. Die Bürger sollten nicht vergessen, welche freiheitsfeindlichen Politiker dieses in der westlichen Welt zurzeit einmalige Gesetz unterzeichnet bzw. unterstützt haben.

Schlampige Lösung

Bedenken hatten weder der Bundespräsident noch die sogenannten Volksvertreter im Parlament, mit Ausnahme der FPÖ-Abgeordneten. Das politmediale Establishment des Landes hatte so massiv auf die Einführung der Impflicht gedrängt, alles auf diese Karte gesetzt, dass man, selbst als es aufgrund der epidemiologischen Entwicklungen nicht einmal ansatzweise eine gesundheitspolitische Rechtfertigung mehr gab, nicht davon abrücken wollte. Man führte die Impfflicht ein, als viele andere Länder die Pandemie und die meisten Maßnahmen für beendet erklärt haben.

Der politische und mediale Hype, den Regierung, SPÖ, Neos, Mainstreammedien und staatlich alimentierte Experten mit Hilfe von Propaganda und Angstmache in den vergangenen Wochen erzeugt hatten, war so gewaltig dass man sich einen Rückzieher in letzter Sekunde nicht mehr erlauben konnte. So dachten zumindest der Bundeskanzler und die meisten anderen, die in Corona stets ein Macht- und Unterdrückungsinstrument gesehen haben. Auch deshalb, weil ein solcher Rückzieher ein Triumph für FPÖ-Chef Herbert Kickl gewesen wäre. Diesen Sieg konnten und wollten die Corona-Gewinnler Kickl und der FPÖ nicht gönnen.

Mit einem Aufheben der Impfpflicht würden ÖVP, Grüne und die Medien zugeben, dass Kickl, den man seit Monaten als Gefährder und Spalter, der Blut an seinen Händen habe, beschimpft, recht behalten hätte. Völlig unvorstellbar für ÖVP, Grüne, SPÖ und ihre Medien. Die ÖVP versucht sich aus ihrer selbst geschaufelten Grube zu befreien, indem sie auf eine schlampige Lösung setzt.

Man schafft einerseits die Corona-Regeln ab, anderseits bleibt die Impfpflicht bestehen, damit man nicht eingestehen muss, einen kapitalen Fehler begangen zu haben. Die Impflicht wird vermutlich ausgesetzt respektive nicht vollzogen. Die gesetzliche Verpflichtung, sich impfen zu lassen, bleibt, aber man kontrolliert ihre Einhaltung (vorerst) nicht. Man setzt auf das politische Kurzzeitgedächtnis der Österreicher. Sie werden nicht nur die monatelangen Freiheitseinschränkungen, Schikanen und Bürgerbeschimpfungen, sondern auch die nach wie vor gültige Impfpflicht in wenigen Wochen vergessen haben. So die Überlegung.

Undemokratisch und gefährlich

Diese Vorgangsweise ist undemokratisch und gefährlich. Zumal ein Impfzwang, wenn überhaupt, nur in absoluten Ausnahme- und Notsituationen gerechtfertigt werden kann. So wie es die Regierung plant, wird die Impfpflicht zu einem Blankoscheck, der jederzeit einlösbar ist. Der Gesundheitsminister kann die Impfpflicht jederzeit durchsetzen. Dafür braucht er weder die Zustimmung des Parlaments noch sonst eines demokratisch gewählten Gremiums.

Das widerspricht allen demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien Die einzig saubere Lösung wäre, das Impfpflichtgesetz ersatzlos zu streichen. Dass wird in absehbarer Zeit aber nicht geschehen. So lange die Impflicht aufrecht bleibt, gibt es keine Rückkehr zur alten Normalität. Daran ändern auch die nunmehrigen Lockerungen nichts.


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Über den Autor
Werner Reichel

Werner Reichel

Werner Reichel war rund 20 Jahre im Rundfunk tätig, unter anderem als Programmchef und Geschäftsführer mehrerer Radiosender sowie als Lektor an der FH Wien. Er ist Autor und Verleger.

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