Die AfD braucht ein Vorfeld ohne Heckenschützentum und Geraune

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk hat mit seiner Rede auf dem Bundesparteitag in Essen für viel Aufregung gesorgt. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt der Politiker noch einmal ausführlich, was er genau will und wie er sich das Vorfeld vorstellt.

Kommentar von
9.7.2024
/
4 Minuten Lesezeit
Die AfD braucht ein Vorfeld ohne Heckenschützentum und Geraune

Kay Gottschalk

© AfD

Mit meiner Rede beim Bundesparteitag habe ich für ein ordentliches Echo gesorgt. Viel Ablehnung, Zuspruch, wüste Beschimpfungen, aber auch sachliche Diskursanfragen prasselten seitdem auf mich herein. Gut so! Denn es ist schon ein Fortschritt, wenn sich alle Seiten in dieser Debatte einmal gründlich hinterfragen müssen, statt einfach so weiterzumachen wie bisher.

Doch was will ich eigentlich? In den Augen der üblichen Kritiker ist die Geschichte schnell erzählt: Der saturierte, westdeutsche AfD-Abgeordnete erkennt die zweifel- und ausnahmslos immer wertvolle Arbeit des Vorfelds nicht an. Wir müssen ihn zur Ordnung rufen! Leider sind es vor allem jene, die immer mit dem Brustton der Überzeugung meinen, jeden Vorgang und jeden Funktionär innerhalb der AfD kritisieren zu können, die selbst wenig bis keine Kritik vertragen beziehungsweise schlichtweg nicht gewohnt sind.

Das „Vorfeld“ ist ein Wieselbegriff. Jeder Blog mit schmissigem Namen gehört dazu – unabhängig von der Qualität und tatsächlichen Reichweite. Dahinter verbergen sich nicht selten Personen, die ihren Lebensunterhalt direkt über die Partei bestreiten, deren Vorfeld sie sein möchten. Das hat schon ein Geschmäckle. Es hat auch ein Geschmäckle, wenn österreichische „Vorfeld“-Medien kurz vor einem wichtigen Landesparteitag eine NRW-Lokalredaktion einrichten und mit Autoren unter Pseudonym plötzlich parteiinterne Konflikte ausschlachten. Zufälligerweise bedient diese Ausschlachtung dann immer die Erzählung einer ganz bestimmten Seite. Das ist nicht unabhängig, das ist nicht anständig, das ist auch nicht Vorfeld – das ist Heckenschützentum und Anscheinerweckung!

Das Vorfeld hat viele Gesichter

Anonyme Dreckwerferei muss jeder AfDler weiß Gott genug über sich ergehen lassen. Als Parteimitglied seit 2013 und Kämpfer der ersten Stunde bin ich nicht bereit, dies auch aus dem eigenen Lager hinzunehmen. Ich brauche auch keine Nachhilfestunden in Sachen Patriotismus oder Haltung von Leuten, deren Parteieintritt oftmals mit einem Jobantritt verbunden war oder sogar erst danach erfolgte. Jeder, der sich offen zur AfD bekennt, hat kein leichtes Leben. Wenn er mal einen Fehler macht, kann er aus dem eigenen Lager so viel Solidarität erwarten, dass man zum Telefonhörer greift und ihn darauf hinweist. Von Mann zu Mann. Das löst viele Strohmänner sicher schneller auf, als ein Profilieren auf Kosten der Person mit einem hochtrabend-theoretisierenden Artikel voller unlauterer Fremdzuschreibungen. Das Vorfeld sollte nämlich nicht die Interessenvertretung eines Lagers und seiner Erzählung zu parteiinternen Vorgängen, sondern tatsächlicher Impulsgeber sein.

Wie stelle ich mir das Vorfeld vor? Genau wie Götz Kubitschek es mit folgendem Zitat sagt: „Ich will keine Almosen für unsere Szene. Ich will umgeben sein von Leuten, die früh aufstehen und spät ins Bett gehen und besser sind als das satte Milieu der Gegner.“ Genau das will ich, Kay Gottschalk, westdeutscher AfD-Abgeordneter, auch! Was ich dagegen oftmals beobachte, sind Menschen, die ausschlafen, satt sind und ihre Rülpser auf X für politische Vorfeldarbeit halten. Leute wie Götz Kubitschek und Dieter Stein dagegen haben – abseits ihrer konkreten Verortung – schon deshalb Respekt verdient, weil sie das Vorfeld beackerten, als es noch kein Vorfeld, sondern schlicht Feld war und der Boden deutlich karger als heutzutage.

Die Partei braucht kluge Köpfe von außerhalb, die mit ihren Projekten Einfluss nehmen. Diese Projekte müssen – so wie jeder von uns auch – am Markt der Ideen bestehen und sich so ihre Daseinsberechtigung verdienen. Dafür braucht es auch Förderung und Bewusstsein aus der Partei. Wenn es beispielsweise die Kehre für besonders naturbewegte Menschen im konservativen Spektrum gibt, ist das genauso wertvoll wie die eher anarchisch und lakonisch auftretende Krautzone. Auch ein ehrlicher Debattenraum, wie FREILICH ihn hier bietet, ist wichtig. Kurzum: Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt. Ich werde mir auch bestimmt nicht anmaßen, wie es mir anhand meines Zitats unterstellt wurde, nun persönlich eine Auslese vornehmen zu wollen. Das „Vorfeld“ ist aber auch keine heilige Kuh, sondern muss genau die gleiche Kritikfähigkeit an den Tag legen, die es der Partei abverlangt.

Was wir wirklich brauchen

Die Partei braucht ein Vorfeld, das Menschen außerhalb unserer Blase für unsere Inhalte und Denkfiguren erreicht – und sich nicht noch innerhalb der Blase einen Elfenbeinturm baut. Die Partei braucht ein Vorfeld, das neue Ideen und komplizierte Gedanken weiterentwickelt in einer Tiefe, die das Tagesgeschäft nicht zulässt – nicht die immergleichen Gedanken in komplizierte Formulierungen fasst oder das Tagesgeschäft mit mehr oder weniger gut verdeckten Auftragsarbeiten von innerhalb der Partei begleitet. Die Partei braucht ein Vorfeld, das auf X unsere Gegner kritisch und unsere eigenen Leute konstruktiv begleitet und nicht aus der Anonymität heraus mit fünf Accounts pro Person erbarmungslos auf jeden Funktionär mit Gesicht und Klarnamen im eigenen Lager schießt, der mit seinen Aussagen (oder daraus interpretierten Fremdzuschreibungen) nicht zu hundert Prozent der eigenen Vorstellung entspricht.

Auf X veröffentlichte jüngst der AfD-Bürgerschaftsabgeordnete und Bundesparteitagsleiter Krzysztof Walczak ein Zitat, das das von mir angesprochene Problem noch einmal sehr gut zusammenfasst, deswegen hier in voller Länge:

„Es würde innerhalb der Partei mehr Wertschätzung für das Vorfeld geben, wenn Teile desselben sich nicht ständig in innerparteiliche Auseinandersetzungen einmischen und zu Parteigängern irgendwelcher innerparteilicher Gruppierungen oder Persönlichkeiten deklarieren würden. Dass beispielsweise jetzt mehrere Vorfeldmedien eine gefühlte NRW-Lokalredaktion eingerichtet haben, ist doch sehr aufschlussreich, genauso wie die enthemmte Hetzjagd bestimmter Leute gegen den AfD-EP-Delegationsleiter. Damit verlassen nämlich Teile (weiß Gott nicht alle, hier ist Differenzierung geboten) des Vorfelds ihre legitime Funktion, auf intellektuell redliche Art und Weise ideologische und methodologische Denkanstöße zu produzieren und führen sich stattdessen wie Akteure in einem Machtkampf auf. Dann muss man sich aber nicht wundern, wenn von den Angegriffenen entsprechend scharf zurückgefeuert wird und man sich dann lieber ein anderes Vorfeld suchen will. Ich interpretiere die Aussage des Kollegen Gottschalk so, dass sich hier eine riesige Frustration der Partei über das Vorfeld Bahn gebrochen hat.

Die Aufgabe eines ernst zu nehmenden Vorfelds ist es, den metapolitischen Raum durch die Kraft des Arguments und der intellektuellen Einsicht und Stärke auszufüllen. Die intellektuelle Stärke des Vorfelds leidet übrigens auch darunter, dass man – wie für einen Machtkampf typisch – stark ergebnisorientiert, und nicht mehr analyseorientiert schreibt. Das Ergebnis ist bereits vorweggenommen. Vieles ist langweilig, vorhersehbar und ehrlich gesagt auch sehr lageabhängig und opportunistisch. Oft ist es auch durch völlige Unkenntnis innerparteilicher Vorgänge geprägt – was man Außenstehenden nicht vorwerfen kann, sehr wohl aber die Apodiktik, mit der sich dann in diese Vorgänge eingemischt wird. Ich kenne zahlreiche Funktionäre, keine Dummköpfe, die sich über diese zum Teil wirklich schlechte Propaganda, in der die vorhersehbaren Signalwörter im Stakkato abgearbeitet werden und die regelmäßig mit einem verleumderischen Angriff auf irgendeinen 'Halben' oder 'Systemling' vermengt werden, nur noch lustig machen können. Das müsste für ein Vorfeld, das ernst genommen werden will, eigentlich alarmierend sein, aber ich sehe nicht, dass bisher irgendjemand hieraus die richtigen Schlussfolgerungen zieht.

Ich jedenfalls habe nicht den Eindruck, dass Weidel und Chrupalla Herrn Kubitschek irgendetwas in den Block diktieren wollen, aber Herr Kubitschek scheint, wie es dieser jüngste Artikel und eigentlich die Mehrheit der Artikel seit 2014 nahelegen, doch ein ausgeprägtes Bedürfnis zu haben, die Geschicke der Partei zu lenken oder sie jedenfalls im Sinne seiner innerparteilichen Verbündeten zu ordnen. Machtkampf also. Nur hat der einen vorhersehbaren Vorgang: Am Ende zählt die Zahl der Delegierten, nicht der Invektiven in Artikelchen.

Dies vorausgeschickt lese ich immer gerne Ihre fundierten Wahlanalysen.“

Wenn man sich auf den zivilisatorischen Konsens unter Rechten einigen kann, den Kubitschek und Walczak hier in ihren Zitaten umreißen, gibt es doch weiß Gott genug Möglichkeiten, sich zu entfalten. Die aber, die in ihrer völligen Hemmungslosigkeit zur jüngsten EU-Wahl sogar auf X offen dazu aufriefen, die „Heimat“ (ehem. NPD) zu wählen, können ihre Bedeutsamkeit ja selbst gut an dem Wahlergebnis dieser Partei ablesen und zukünftig dann deren „Vorfeld“ sein. 


Zur Person:

Kay Gottschalk ist Politiker und sitzt seit 2017 für die AfD im Bundestag. Der Diplom-Kaufmann ist seit 2021 finanzpolitischer Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion. Seit Juni 2024 ist er stellvertretender AfD-Bundessprecher.

 

 

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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