Die Grünen bestimmen die Agenda
Mit ihren Zwölf-Punkte-Programmen für die deutsche Wirtschaft leugnen die Union und die FDP ihr ordnungspolitisches Erbe. Anstatt die von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vorangetriebene Transformation des deutschen Wirtschaftssystems unmissverständlich zu verwerfen, machen sie Vorschläge dazu, wie diese Transformation reibungsloser gestaltet werden kann. Sie akzeptieren damit die Deutungshoheit der Grünen, kritisiert Enrico Komning in seinem Kommentar für FREILICH.
Friedrich Merz und Alexander Dobrindt, die Spitzen der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag, haben Bundeskanzler Scholz ein viel beachtetes Sofortprogramm für die deutsche Wirtschaft vorgelegt. Am 21. Februar wurde es im Parlament diskutiert. In ihrem Papier kritisiert die Union die Bundesregierung scheinbar scharf und wirft ihr vor, für die schwache Wirtschaftsleistung Deutschlands verantwortlich zu sein.
Die zwölf Punkte des Programms scheinen bei einer oberflächlichen Lektüre recht brauchbar zu sein. Gefordert werden Steuersenkungen, eine Begrenzung der Sozialabgaben, ein Bürokratiemoratorium und ähnliche Maßnahmen. Natürlich gab es vergleichbare Forderungen auch schon vor Bestehen der Ampelkoalition, und ironischerweise richten sich einige Punkte des Programms gegen Regelungen, die von der CDU-geführten Vorgängerregierung selber eingeführt wurden. Zu nennen ist hier zum Beispiel die Forderung nach einem Stopp des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes.
Gemeinsamkeiten zwischen Grünen und FDP
Inhaltlich ganz ähnlich sind die am 22. April von der FDP beschlossenen zwölf Punkte zur Beschleunigung der Wirtschaftswende einzuschätzen. Auch die Freien Demokraten fordern weniger Steuern, weniger Bürokratie, Begrenzung des überdimensionierten Sozialstaats usw. Man kann nicht behaupten, dass diese Forderungen verkehrt wären. Was aber bei näherem Hinsehen auffällt, ist das, was die beiden Programme nicht enthalten. Sie üben mit keinem Wort Kritik an der grundsätzlichen Ausrichtung der deutschen Wirtschaftspolitik!
Dazu muss man wissen: Der deutsche Wirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) arbeitet derzeit an der „sozial-ökologischen Transformation“ des deutschen Wirtschaftssystems. Die deutsche Wirtschaft – und das meint insbesondere die deutsche Industrie – soll klimaneutral werden. Hierzu ist die klassische Soziale Marktwirtschaft, das deutsche Erfolgsmodell, natürlich nicht geeignet. In einer Sozialen Marktwirtschaft bestimmen im Wesentlichen die Verbraucher, was und wie Unternehmen produzieren, und die Politik sorgt nur für passende Rahmenbedingungen und einen sozialen Ausgleich.
Um das Ziel der Klimaneutralität durchzusetzen, muss der deutsche Staat dagegen an allen Ecken und Enden in die Wirtschaft eingreifen. Wir erleben das derzeit in einem nie dagewesenen Ausmaß. Zunächst einmal wird die gesamte Energieversorgung auf den Kopf gestellt. Nach dem Aus für die Kernkraft sollen Kohle und Erdgas folgen oder wenigstens zurückgebaut werden. Damit Energie dadurch aber andererseits nicht zu teuer wird, werden nicht nur Wind- und Solarenergie massiv subventioniert, sondern auch Kompensationsmaßnahmen für energieintensive Unternehmen getroffen.
Außerdem werden zahlreiche Förderinstrumente, aber auch Verbote und Einschränkungen eingesetzt, um Unternehmen möglichst schnell dazu zu bringen, auf sogenannte klimaneutrale Produktionsmethoden umzusteigen. Durch Presseberichte besonders bekannt ist das Gebäudeenergiegesetz, mit dem die Bundesregierung kurzerhand in die freien Entscheidungen der Verbraucher eingreift und den Absatz für Wärmepumpen in die Höhe treiben will. Noch gravierender ist das Verbrenner-Verbot ab 2035. Damit wird der wichtigen deutschen Autoindustrie der Boden unter den Füßen weggezogen. Was Förderungen betrifft, sind die „Klimaschutzverträge“ und die „Grünen Leitmärkte“ hervorzuheben, mit denen der Staat natürlich nur solche Unternehmen finanziell unterstützen will, die sich seinen „grünen“ Vorstellungen beugen.
Der Umbau des deutschen Wirtschaftssystems
Was wir beobachten, ist eine Transformation der Sozialen Marktwirtschaft in eine staatsinterventionistische Ökoplanwirtschaft mit Restmarktanteilen. Diesen Umbau des deutschen Wirtschaftssystems thematisiert die CDU in ihrem Sofortprogramm nicht einmal ansatzweise, die FDP nur in einem einzigen Punkt und selbst da keineswegs grundsätzlich. In beiden Fällen muss man das als das Aufgeben einer zentralen wirtschaftspolitischen Position werten. Die CDU, die Partei Ludwig Erhards, die Partei der Sozialen Marktwirtschaft und des Mittelstands schweigt zur Vernichtung ihres ordoliberalen Erbes. Mit ihren zwölf Programmpunkten akzeptiert sie offenkundig das von den Grünen vorangetriebene Ende der Sozialen Marktwirtschaft und setzt sich allenfalls dafür ein, dass dieser Prozess etwas abgefedert wird durch weniger Sozialabgaben oder weniger Steuern.
Gleiches gilt für die FDP. Parteichef Lindner sieht sich selber gerne als Ordoliberaler und hat sich mit Prof. Lars Feld sogar einen typischen Ordoliberalen als Berater für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung ins Finanzministerium geholt. In den von der FDP beschlossenen zwölf Punkten zur Beschleunigung der Wirtschaftswende sieht man davon jedoch fast nichts. Zwar wird gefordert, die Förderung Erneuerbarer Energien im Rahmen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) schnellstmöglich zu beenden. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine einzelne Maßnahme. Das interventionistische Projekt des sozial-ökologischen Umbaus der deutschen Wirtschaft wird dadurch noch nicht einmal ansatzweise in Frage gestellt. Es ist schlicht ein Feigenblatt.
Was Merz und Dobrindt mit ihrem Programm aus strategischer Sicht bezwecken, ist natürlich klar: Sie möchten sich als potenzielle Koalitionspartner für die Grünen in Stellung bringen. Bei der FDP ist die Motivation undurchsichtiger. Vermutlich will sie verlorengegangene liberale Wähler wieder einfangen, ohne jedoch den Mut aufzubringen, die „grüne“ Wirtschaftspolitik grundsätzlich in Frage zu stellen. Für Deutschland und die deutschen Unternehmen zeigt sich damit, dass sie selbst in der Wirtschaftspolitik keine Hoffnung mehr auf die klassischen bürgerlichen Parteien setzen können. Auch Union und FDP werden sie mit aller Gewalt in die sogenannte Klimaneutralität zwingen. Die Grünen bestimmen mittlerweile die Agenda sämtlicher Altparteien.
Zur Person:
Enrico Komning ist Mitglied des Bundestages und parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion.