Exklusiv: Kontroverses Weidel-Interview mit US-Magazin in deutscher Übersetzung
Kürzlich gab die Bundesvorsitzende der AfD, Alice Weidel, dem amerikanischen Magazin The American Conservative ein Interview. FREILICH hat es mit freundlicher Genehmigung des Magazins ins Deutsche übersetzt. Das Interview im Original kann hier nachgelesen werden.
Frau Weidel, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für ein Gespräch mit The American Conservative genommen haben. In einem kürzlichen Interview mit Bloomberg haben Sie erwähnt, dass Sie in Bezug auf Steuerpolitik und den Krieg in der Ukraine eine libertäre Haltung vertreten. Gleichzeitig gelten Sie in Deutschland aufgrund Ihrer Haltung zur Einwanderung und zur EU als politisch weit rechts stehend. Zur Klarstellung für die Öffentlichkeit: Befürworten Sie den Verbleib in der EU oder einen Austritt, da diese immer weniger reformierbar ist?
Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, mit Ihnen über diese Dinge sprechen zu können. Um klar zu sein: Weder ich noch meine Partei sind rechtsextrem. Sie müssen wissen, dass dieser Vorwurf in Deutschland ein Kampfbegriff der Linken ist, die den öffentlichen Diskurs dominiert. Die Linken halten es nicht einmal für nötig, diesen Vorwurf zu belegen. Egal was, in ihren Augen ist alles, was nicht so sein will wie sie, „rechtsextrem“.
Was Ihre Frage zum Austritt aus der EU betrifft: Es ist eigentlich eine einfache Rechnung. Deutschland braucht die EU nicht, um zu überleben; das Gegenteil ist aber sehr wohl der Fall. Trotzdem verhält sich die EU so, als wäre es genau umgekehrt. Sie tut so, als müssten wir Deutschen unsere wesentlichen Interessen zurückstellen, um das „europäische Projekt“ nicht zu gefährden. Das ist ein groteskes Zerrbild. Entweder die EU lernt, auf unsere nationalen Interessen Rücksicht zu nehmen, oder sie wird verschwinden.
Die Entscheidung, wie sich Deutschland verhalten wird, liegt also ganz im Ermessen der EU. Eines ist jedoch sicher: Die EU muss sich gründlich von dem Credo der Vergangenheit verabschieden, dass ein starkes Deutschland ein schwaches Europa bedeutet und die Deutschen deshalb zum Wohle aller kein Bewusstsein für ihre nationalen Interessen entwickeln sollten. Das ist nämlich geschichtlicher Unfug. Wir sind und bleiben für immer das Herz Europas. An dem Tag, an dem dieses Herz aufhört zu schlagen, wird Europa sterben.
Ihr Co-Vorsitzender Tino Chrupalla hat kürzlich gesagt, dass Deutschland gezwungen werde, den Willen Amerikas zu erfüllen, und dass die NATO kein Bündnis im Interesse Europas sei. In Wirklichkeit haben wir jedoch einerseits gesehen, dass die meisten Amerikaner nicht bereit sind, die USA weiter einzubeziehen oder den Krieg in der Ukraine zu finanzieren, und andererseits, dass die meisten Europäer, von den baltischen Staaten über Polen bis hin zu Großbritannien und Frankreich, sowie der EU-Überbau, mehr Unterstützung für die Ukraine wollen. Wie begegnen Sie diesem Widerspruch?
Die Dinge sind etwas komplex, also entschuldigen Sie bitte, wenn ich ein wenig abschweife. Die Vereinigten Staaten sind zweifelsohne eine einzigartige globale Supermacht, die ihren enormen Einfluss weltweit verbreitet hat. Das ist es, was wir gewöhnlich ein Imperium nennen. Es ist jedoch ein seltsames Imperium: ein Imperium, das die Welt von Montag bis Mittwoch beherrscht, dies aber von Donnerstag bis Sonntag nicht mehr tun will. Das ist der ewige Kampf zwischen Expansionisten und Isolationisten, der wahrscheinlich schon seit der Unabhängigkeit der USA tobt.
Das macht es für andere Nationen, vor allem für uns Deutsche, ein bisschen schwierig. Auf der einen Seite beschwert sich die amerikanische Führung zum Beispiel über die deutsche Energiepolitik, die sich – geopolitisch gesehen, versteht sich – mit Russland einigen will. Was für eine wilde Wut hat der Bau von Nord Stream auf amerikanischer Seite ausgelöst? Wie können wir es wagen? Wir alle haben noch die Bilder im Kopf, wie Präsident Joe Biden Bundeskanzler Olaf Scholz wegen Nord Stream öffentlich auf unsägliche Weise demütigte. Nun, dann wurde Nord Stream in einem kriegerischen Akt zerstört. Die Angst der jetzigen Bundesregierung, unter keinen Umständen mit dem Finger auf den Angreifer zu zeigen, sagt alles. Ist es das, was die USA wollen? Deutschland als Kolonie? Eine Kolonie, die nicht das Recht hat, über ihre eigene Energiepolitik zu entscheiden? Eine Nation, die nicht das Recht hat, ihren eigenen Weg zu gehen, wohin er auch führen mag? All das können die USA als strahlender Sieger der Geschichte tun. Aber dann müssen sie es auch wollen, sie müssen es auch sagen, damit wir uns darauf einstellen können.
Denn wir Deutschen sind ein besiegtes Volk. „Wer seine Selbständigkeit verloren hat, hat zugleich die Fähigkeit verloren, in den Lauf der Zeit einzugreifen und ihren Inhalt frei zu bestimmen“, beschreibt der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte. Solche Menschen „haben von nun an keine eigene Zeit mehr, sondern zählen ihre Jahre nach den Ereignissen und Zeiten fremder Nationen und Reiche“. Wir Deutschen haben lange in dieser Situation gelebt, durchaus zum Vorteil der USA. Aber auch wir als Individuen haben davon profitiert, das will ich nicht bestreiten
Ein Sklave zu sein hat auch Vorteile. Es ist das vornehmste Recht eines Dieners, nicht an den Kämpfen seines Herrn teilnehmen zu müssen, sondern den Frieden zu genießen. Aber auch das gefällt der US-Führung nicht. Bei den vielen Kriegen der letzten 30 Jahre, in Europa, im Nahen Osten, wurde von uns erwartet, dass wir uns auf Wunsch der USA an all diesen Kriegen beteiligen. Aber warum sollten wir das tun? Wir brauchen keine Kriege mehr zu führen, wir haben uns bereits aus der Geschichte verabschiedet. Infolgedessen haben wir unser Militär bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet.
Aber jetzt, wo wir den Punkt der absoluten Nichtigkeit erreicht haben, haben unsere politischen Führer die Begeisterung für den Krieg entdeckt. Kriegstreiberei ist zu einem staatlich verordneten Wahnsinn geworden, wie es ihn seit dem Ende des letzten Weltkriegs nicht mehr gegeben hat. Die CDU, die die Opposition anführt, übertrumpft derzeit die Regierungsparteien darin, wer das lauteste und vulgärste Kriegsgeschrei ausstoßen kann. Und das alles trotz völliger militärischer Inkompetenz. Was wir hier sehen, sind wirklich und wahrhaftig die wilden sexuellen Phantasien von impotenten Menschen. Wir werden dieser grotesken Farce so schnell wie möglich ein Ende setzen.
Dabei werden wir uns mit den USA abstimmen. Aber dafür müssen die USA wissen, in welcher Welt sie leben wollen. Denn wenn es ein Imperium sein soll, dann müsst ihr selbst dafür kämpfen, euer Blut und eure Güter opfern. Erwarten Sie nicht, dass die Unfreien diesen Kampf für Sie übernehmen. Das ist nicht möglich. So etwas wird es nicht geben. Ein Sklave, der kämpft, wird unweigerlich die Freiheit als Belohnung fordern. Freiheit bedeutet aber auch, dass die Menschen ihren eigenen Weg gehen und ihr eigenes Glück suchen werden. Wenn sie das nicht tun, sind sie Sklaven. Und Sklaven kämpfen nicht. Werfen Sie ihnen das nicht vor.
Wenn Präsident Donald Trump also fordert, dass Deutschland in Zukunft die Verantwortung für seine eigene Sicherheit übernehmen muss, sollte er sich auch über die Konsequenzen im Klaren sein. Dass wir seine Bedenken bezüglich Nord Stream und unserer Energieversorgung wohlwollend zur Kenntnis nehmen werden, aber dass wir unsere eigenen Entscheidungen treffen werden und er sie akzeptieren muss, ob sie ihm gefallen oder nicht. Wir Deutschen haben diesen Geist der Freiheit verloren; andere Nationen haben dafür gekämpft und ihn bewahrt, wie die baltischen Staaten, die Sie erwähnt haben.
Sichern wir diesen baltischen Staaten Ihre volle Unterstützung zu. Aber sagen Sie ihnen, dass sie die Kontrolle über ihre Energieversorgung aufgeben müssen; darüber werden in Zukunft amerikanische Konzerne entscheiden. Sagen Sie ihnen, dass sie ihre Grenzen aufgeben müssen; wer auch immer in ihr Land einreist und sich niederlässt, würde in Zukunft von der EU reguliert werden. Sie können sich sicher sein, dass diese freiheitsliebenden Völker unter solchen Bedingungen ihre Aufrufe zur Unterstützung sofort einstellen würden. Der Widerspruch, den Sie zu erkennen glauben, hat viel mit dem widersprüchlichen Selbstverständnis der USA zu tun.
Elon Musk hat Ihnen seine Unterstützung zugesagt, ebenso wie Nigel Farage in Großbritannien. Zeichnet sich eine europaweite Tech-Rechte ab? Wenn ja, was sind die kommenden Herausforderungen?
Wir sind sehr dankbar für diese Unterstützung. Als das Entstehen einer „europaweiten Tech-Rechten“ würde ich das nicht bezeichnen. In Wirklichkeit hat die politische Linke seit vielen Jahrzehnten ein enormes Meinungsmonopol aufgebaut. Das ist hier in Deutschland noch stärker der Fall als in den USA, vor allem weil es hier viel mehr staatlich kontrollierte Institutionen gibt, die von Linken dominiert werden. Wir haben zum Beispiel einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der mit acht Milliarden Euro pro Jahr finanziert wird. Das ist weltweit einmalig. Deshalb sollten wir von einer „Tech-Linken“ sprechen. Aber dieses Monopol bröckelt.
Heutzutage kann jeder mit wenig Aufwand eigene Programme produzieren und sie einem potenziellen Millionenpublikum zugänglich machen. Wenn man dann noch ein unternehmerisches Genie wie Elon Musk mit seiner glühenden Leidenschaft für die freie Meinungsäußerung hinzunimmt, dann kann Goliaths Geldbeutel mit acht Milliarden Euro die Öffentlichkeit nicht mehr so prägen, wie die Linken es gerne hätten. Das hat weniger mit einem „Tech-Rechten“ zu tun als mit der schlichten Meinungsfreiheit. Linke haben selten Argumente, sie beschimpfen ihre Gegner nur. Bislang hat das gereicht. Aber der inspirierende Sieg von Präsident Donald Trump hat gezeigt, dass das Monopol bricht.
Das ist die Ursache für die unverschämte Wut der EU-Eliten gegen Musk. Sie fürchten uns, sie fürchten die Freiheit. Vor allem fürchten sie die Redefreiheit.
Von Giorgia Meloni in Italien bis zu den Le Pens in Frankreich haben wir gesehen, wie man sich bei den Positionen mäßigt, um in die Regierung zu kommen. Wenn Sie in Deutschland eine Koalition bilden müssten, so unwahrscheinlich das auch sein mag, bei welchen Positionen Ihrer Partei wären Sie bereit, Kompromisse einzugehen, und welche wären unverrückbar?
Wir müssen keine Kompromisse eingehen. Die einzige deutsche Partei, die in den Umfragen noch vor uns liegt, ist die CDU. Und warum? Weil die CDU unser Parteiprogramm einfach als ihre eigenen Forderungen für den Wahlkampf kopiert. Das ist wirklich unglaublich, aber es stimmt tatsächlich bis in die einzelnen Formulierungen hinein. Natürlich wollen sie das alles nicht umsetzen. Das ist einfach eine Lüge. Die CDU hat eine Koalition mit uns ausgeschlossen, also bleiben nur noch die Linken. Vielleicht verrät die CDU wieder einmal ihre Wähler, wie sie es schon oft getan hat. Aber ich glaube, dieses Mal wird es der letzte Verrat sein. Denn jetzt gibt es eine Alternative für Deutschland, egal ob wir die Mehrheit bekommen oder nicht. Vielleicht ergreift die CDU ihre allerletzte Chance, indem sie mit uns eine Koalition eingeht. Dann werden wir einfach das umsetzen, was die CDU selbst im Wahlkampf gefordert hat. So oder so, wir werden unseren Willen durchsetzen.
Es gibt auch Diskussionen über die deutsche Wiederbewaffnung und Reformen der NATO. Können Sie Ihre Positionen und die Ihrer Partei zu diesen Themen für das amerikanische Publikum klar darlegen?
Der Bedarf an Reformen ist immens. Sie müssen wissen, dass wir wahrscheinlich die ineffizientesten Streitkräfte der Welt haben. Es ist fast egal, welches Land uns angreifen würde, wir würden von fast allen besiegt werden. Als die Ukraine nach dem Einmarsch der Russen Waffen von Deutschland forderte, haben wir zunächst nur Helme zur Verfügung gestellt. Die ukrainischen Behörden dachten, wir wollten sie verhöhnen. Dabei konnten wir ihnen gar nichts anderes geben. Was wir seither an die Ukraine geliefert haben, waren die noch funktionsfähigen Waffensysteme aus unseren Depots. Aber jetzt können wir nicht mehr. Es ist fast alles weg.
Erstaunlicherweise geben wir bereits jetzt jedes Jahr über 50 Milliarden Euro für den Verteidigungshaushalt aus. Das sind mindestens zwei Drittel des russischen Verteidigungshaushalts. Diese Situation ist wirklich surreal. Wir können es uns nicht mehr leisten, so viel Geld für so wenig auszugeben. Ja, eine AfD-geführte Regierung wird den Verteidigungshaushalt deutlich erhöhen, aber wir werden das Geld auch sinnvoller einsetzen. Diese völlige Ineffizienz ist das eigentliche Problem. Dabei ist die Bundeswehr nicht unser einziges Sorgenkind. Das Gleiche gilt zum Beispiel für das Bildungssystem. Wir ersticken in allen Lebensbereichen an einer lähmenden, Geld verschlingenden Bürokratie.
Die NATO ist derzeit dabei, sich neu zu definieren. Wir sind gespannt, welche Richtung der neue amerikanische Präsident einschlagen wird. Wir können selbst nicht viel dazu sagen; das wird sich in den nächsten Jahren herausstellen. Eines ist jedoch schon jetzt sicher: Die bisherige NATO hatte eine sehr starke Arbeitsteilung. Verschiedene Nationen übernahmen verschiedene Aufgaben, wobei wir Deutschen uns einen Platz auf der Bühne sicherten. Das hat, wie gesagt, so lange gut funktioniert, wie die USA bereit waren, ihre Führungsrolle in Europa zu behaupten. Wenn sich die USA jetzt zum Beispiel mehr auf den Pazifik konzentrieren, wird sich das ändern müssen.
Eigenverantwortung wird dann das Gebot der Stunde sein. Aber unsere Streitkräfte sind darauf nicht vorbereitet. Wir haben der Logistik ein völlig ungesundes Übergewicht gegenüber der Streitkraft gegeben. Die Folge: Wir sind nicht in der Lage, größere militärische Operationen eigenständig durchzuführen. Deutsche Politiker verkaufen dies dem Ausland gerne als Pazifismus. Aber in meinen Augen ist ein Pazifist jemand, der Krieg führen könnte, es aber nicht tut und stattdessen verzweifelt den Frieden sucht, weil er ihn liebt. Andererseits ist jemand, der auf Frieden hofft, weil er sich nicht verteidigen kann, kein Pazifist. Er ist nur ein Schneemann, der auf einen möglichst langen Winter hofft.