Höckes genialer Schachzug: Alles schäumt nach Ramelow-Sturz über

Angesichts der Reaktionen auf die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen weiß man gar nicht, worüber man sich als patriotischer Kommentator am meisten amüsieren soll: die Umstände oder die folgende allumfassende Kernschmelze.
Julian Schernthaner
Kommentar von
5.2.2020
/
3 Minuten Lesezeit
Höckes genialer Schachzug: Alles schäumt nach Ramelow-Sturz über

Björn Höcke

© Vincent Eisfeld, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons (Bild zugeschnitten)

Angesichts der Reaktionen auf die Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen weiß man gar nicht, worüber man sich als patriotischer Kommentator am meisten amüsieren soll: die Umstände oder die folgende allumfassende Kernschmelze.

Kolumne von Julian Schernthaner.

In Deutschland ist wieder einmal ein dunkles Zeitalter angebrochen. In allen Städten Thüringens marschieren die braunen Bataillonen auf und schlagen alles kurz und klein, was ihnen nicht zu Gesichte steht. Das könnte man zumindest meinen, wenn man sich durch den Blätterwald kämpft oder sich zwischen den zarten Blumen der Twitteria bewegt. Irgendwann stellt man da fest: Das, was die kollektive Hysterie auslöst, ist die Wahl des Chefs der örtlichen liberalen Kleinpartei zum Ministerpräsidenten.

Ganz Thüringen ist heute Weimar

Thüringen ist eigentlich ein zutiefst wertkonservatives Land, mindestens seit Menschengedenken. Trotzdem regierte in den vergangenen fünf Jahren im grünen Herzen Deutschlands eine rot-rot-grüne Koalition, die keine Probleme hatte, am harten linken Rand anzustreifen. Der für Verhältnisse der Linkspartei vergleichsweise bürgerliche Ramelow wurde in diesem Zeitraum durchaus zum Sympathieträger des Establishments, war er doch das seriöse Gesicht vor den latent bis offen linksradikalen Hinterleuten.

Nun verzockte sich der rechnerische Wahlgewinner, dessen Bündnis über keine Mehrheit mehr verfügte. Er stürzte unsanft, die letzte Konsequenz einer zerklüfteten Parteienlandschaft, bei der seit der Wahl im Oktober klar war: Sowohl Linkspartei als auch AfD ausgrenzen war rechnerisch nicht möglich. Und so wurde die Ministerpräsidentenwahl zur Nagelprobe für geduldete Minderheitsexperimente mit bürgerlicher Duldung – und lieferte. Es sind quasi Weimarer Verhältnisse – im Bundesland rund um Weimar.

Auch Bürgerliche verzocken sich

Denn auch der bürgerliche Teil des Establishments verzockte sich. Nach zwei Wahlgängen, in denen ein Parteiloser auf AfD-Vorschlag und Ramelow in einem Patt verharrten, schickte die FDP just im dritten Wahlgang, in dem einfache Mehrheiten reichen, ihren Spitzenkandidaten ins Rennen. Nun kam der Auftritt der AfD, denn sie schwenkte um, wurde Königsmacher für den Mann einer Partei, die nur äußerst knapp überhaupt im Landtag sitzt.

Es ist ein grenzgenialer Schachzug der AfD. Den eigenen Wählern zeigt sie die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Dem bürgerlichen Lager vermittelt sie eine Konsensbereitschaft. Und dem linken Lager sagt sie den Kampf an. Gleichzeitig weigern sich CDU und FDP weiter, mit der AfD gemeinsame Sache zu machen. Höcke & Co können so mit harter Oppositionspolitik punkten – und sich trotzdem ohne Risiko staatstragend präsentieren. Es ist die sprichwörtliche eierlegende Wollmilchsau.

Alle Etablierten drehen am Rad

Vielleicht ist es auch gerade diese stille Machtdemonstration, quasi formelle Absprachen zu sprengen, welche dutzende Politiker und Journalisten aus dem linken Lager völlig aus der Fassung bringt. Denn da wird nichts ausgelassen: Eine Journalistin spricht etwa von einer „durchtriebenen, einer Demokratie unwürdigen Drecksnummer“, findet es „krank„, sich als Chef einer 5%-Partei aufstellen zu lassen.

Andernorts spielt das Kopfkino längst wieder 1933. Außenminister Maas (SPD) meint, man habe „aus der Geschichte nichts gelernt“, auch die Grünen-Abgeordnete Henfling sieht „willfährige Gehilfen“ und einen Amtsantritt mit Hilfe von „Faschisten“. Den Vogel der Vergleiche schießt der äußerst linke WDR-Mitarbeiter Georg Restle ab. Beim Aushängeschild des „Umweltsau“-Senders geht heute wieder einmal nichts unter Auschwitz.

Immer diese geistige Brandstiftung…

Aber auch bei der Union halten keine Dämme. Vergleichsweise harmlos aber originell ist der Vorschlag von CSU-Chef Söder: nämlich Neuwahlen! Freilich hat man auch selber dem liberalen Kollegen ins Amt geholfen. Paul Ziemiak wirft der FDP mit ihren fünf Abgeordneten trotzdem vor, „mit dem Feuer gespielt“ zu haben und das „Land in Brand gesetzt“ zu haben“. Der langjährige Juniorpartner im Bund ist also plötzlich selbst der Brandstifter.

Liberale schreien nach liberalen Köpfen

Nicht einmal in der eigenen Partei ist man sicher: Denn Joachim Stamp, immerhin Vize-Ministerpräsident in Nordrhein-Westfalen, missgönnt dem Kollegen im Osten wegen des Zustandekommens die höhere Sprosse auf der Karriereleiter. Er fordert seinen Parteifreund beinhart zum Rücktritt auf. Damit ist er aber noch immer weniger radikal als der Mitbewerber: Denn Grünen-Chef Robert Habeck empfiehlt CDU und FDP den Ausschluss der jeweiligen Landesverbände.

Eine interessante Interpretation der Geschehnisse hat übrigens auch ein anderer prominenter der liberalen EU-Parteienfamilie ALDE. Guy Verhofstadt, dort immerhin ehemaliger Fraktionschef, twitterte in Bildform über vermeintliche Parallelen zur NS-Machtergreifung. Wir sprechen übrigens immer noch von einer demokratischen Partei, die einem Liberalen ins Amt hilft. Andererseits war er ja selber schon Ziel von Nazivergleichen

Höckes grandiose Eröffnung

Bei all der um sich greifenden Hysterie, mit deren Stilblüten man ganze Wälzer füllen könnte, kann sich einer weiter zurücklehnen und den Spaß erste Reihe fußfrei genießen: Björn Höcke. Der prominente Vertreter des nationalkonservativen Flügels war in der Vergangenheit auch in seiner eigenen AfD immer wieder Ziel von Anfeindungen. Schon im Herbst strafte er seine Kritiker mit dem fulminanten Wahlergebnis Lügen.

Denn während viele liberal-konservative Parteikollegen im Westen weiter nach einem Platz am Boden unter dem Katzentisch hecheln, hat Höcke gezeigt, welch genialer Stratege er ist. Mit Besonnenheit hat er die Klaviatur des politischen Spiels kommandiert wie ein Vollprofi. Nun bestimmte er als erster AfD-Politiker die Geschicke eines Bundeslandes. Die Unterhaltung kriegt er frei Haus: Während er seinen grandiosen Eröffnungszug genießen kann, flattern Medien und Politik wie eine Taube am Schachbrett umher und versuchen, wahllos irgendwelche Figuren umzuwerfen. Chapeau!


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Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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