„Je radikaler man ist, desto eher geht man auf die Straße“ (3)

FREILICH sprach mit zwei französischen Patrioten über die Situation der konservativen und rechten Kräfte in Frankreich. Im dritten Teil des Interviews sprechen die Aktivisten über Social Media und die Europawahlen im nächsten Jahr.

Interview von
6.4.2023
/
7 Minuten Lesezeit
„Je radikaler man ist, desto eher geht man auf die Straße“ (3)

Rémy im Wahlkampf

© Twitter

Dies ist der dritte Teil eines dreiteiligen Interviews. Teil 1 und Teil 2 können hier oder hier nachgelesen werden.


FREILICH: Welche parteiinternen Debatten finden in der Zwischenzeit statt?

Quentin (R!): Ich glaube, dass die internen Debatten entlang religiöser Linien verlaufen werden. Die eher radikalen Katholiken werden bei Themen wie Abtreibung, Homoehe und so weiter auf Leute wie mich treffen, die nicht radikal sind.

Rémy (RN): Ah, ja!

Quentin (R!): ... und das sind schon sehr spaltende Themen.

Rémy (RN): Es stimmt, dass es auch innerhalb einer Partei Spaltungsthemen geben kann. Abtreibung, Leihmutterschaft, Sterbehilfe und alles, was mit Bioethik zu tun hat, sind sehr heikle Themen. Und da die Cocarde durch die Vereinigung der Rechten sehr pluralistisch ist, ist es schwierig, zu bestimmten Themen klar Stellung zu beziehen, weil sich am Ende immer bestimmte Lager auf den Schlips getreten fühlen.

Während der Präsidentschaftswahlen haben wir die Jugendvertreter von R! sehr oft in den Medien gesehen. Von RN haben wir nicht viele gesehen. Das gab uns den Eindruck, dass die Jugend der Rechten mehr von R! angetrieben wurde. Aber dann haben wir die Ergebnisse gesehen und es war klar, dass die RN eine massive stille Jugendstimme hatte. Eine, die weniger gebildet war und mehr aus der Arbeiterklasse kam als die Jugendstimme von R!. Welche Versuche gab es, die rechte Jugend aus diesen Arbeitermilieus sichtbarer zu machen?

Quentin (R!): Sowohl die jungen als auch die älteren Wähler der RN waren eher unpolitische Wähler, die sich mehrheitlich um ihre Kaufkraft sorgten und sich nicht zu sehr einmischen wollten. Bei der radikalen Rechten beziehungsweise Linken war das anders.

Im Allgemeinen sind es eher die Radikalen, die sich am meisten engagieren und aktiv sind. Von Pécresse (Valérie Pécresse, Les Républicains, Anm. d. Red.) oder der Sozialistischen Partei haben wir nur wenige Plakate gesehen, weil diese Wählergruppen eher desinteressiert sind. Die Kommunistische Partei, die Nouvelle Parti Anticapitaliste, France Insoumise und Reconquête konnten hingegen junge Menschen und Rentner mobilisieren, die am radikalsten, politischsten und engagiertesten sind.

Rémy (RN): Da stimme ich Quentin zu. Je radikaler man ist, desto eher geht man auf die Straße und wird aktiv. Aber in einem Punkt stimme ich ihm nicht zu: Ich glaube nicht, dass die RNJ-Mitglieder bei Wahlen immer mobilisiert werden konnten. Vielleicht entsteht dieser Eindruck aber auch nur durch ihre Präsenz in den sozialen Medien. Heutzutage machen junge Aktivisten vor allem Social-Media-Arbeit. Vielleicht kippte hier das Gleichgewicht zugunsten von Reconquête, weil die Leute sahen, dass Reconquête sehr stark in den sozialen Medien und in der Kommunikation über diese Kanäle war.

Hier könnte sich die RN vielleicht eine Scheibe abschneiden. Aber in diesem Bereich tut sich ohnehin etwas, dafür sorgt derzeit Pierre-Romain Thionnet, der neue Präsident des RNJ. Es stimmt allerdings, dass die Mainstream-Medien den Mitgliedern des RN in der Vergangenheit nur sehr selten eine Plattform geboten haben, während Stanislas [Rigault, Reconquête, Anm. d. Red.] und anfangs auch Tanguy David Auftritte in „Touche Pas a Mon Poste“ genossen, einer populären französischen Talkshow mit mindestens einer Million Zuschauern pro Abend. Solche Auftritte gab es bei RN nicht.

Quentin (R!): Aber ich glaube, das wird sich jetzt ändern. Der RN hat jetzt viele neue Gesichter, die in die Nationalversammlung einziehen, und gleichzeitig junge Leute, die als parlamentarische Mitarbeiter für die 89 RN-Abgeordneten in der Nationalversammlung rekrutiert wurden. Und nur weil sie weniger präsent sind, heißt das nicht, dass sie nicht existieren. Langfristig wäre es schön, wenn die Medien etwas mehr darüber berichten würden.

Aber es gibt bereits Jordan Bardella [Abgeordneter und neuer Vorsitzender des RN, Anm. d. Red.], der, das möchte ich betonen, erst 27 Jahre alt ist, was für einen Parteivorsitzenden noch sehr jung ist. Und dann ist da noch Pierre-Romain Thionnet, der ehemalige Generalsekretär der Cocarde, der Präsident des RNJ geworden ist, der ein bisschen in der ersten Reihe steht und auch etwas zu bewegen scheint. Es würde mich auch nicht wundern, wenn wir in den nächsten Monaten oder Jahren eine neue Generation im RNJ sehen würden, zumindest was die Auftritte in den Mainstream-Sendungen betrifft.

Wie stehen die Parteien zu Europa? Wie sehen sie die europäische Frage?

Quentin (R!): Eric Zemmour ist der Meinung, dass das europäische System durchaus erhaltenswert sei, dass aber die Art und Weise, wie es funktioniere, geändert werden müsse. Nationale Gesetze sollten beispielsweise Vorrang vor europäischen Gesetzen haben. Wir wollen sicherstellen, dass das Land souverän bleibt und selbst entscheiden kann, ohne dass die EU ihm ihre Regeln aufzwingt. Wie viele andere bin ich für die Währungsfreiheit und die Freizügigkeit im Schengen-Raum.

Ich habe nichts gegen eine gemeinsame Währung, ich kenne nichts anderes und es hat mich nie gestört. Letztendlich glaube ich auch, dass die Franzosen nicht wirklich etwas gegen die EU haben. Vielleicht muss man sich das System genauer anschauen. Schauen wir uns zum Beispiel Großbritannien an - da funktioniert das System auch und ich habe keine großen Auswirkungen des Brexit auf das Land feststellen können.

Rémy (RN): Die Europäische Union ist auf jeden Fall ein Thema, das die Wählerschaft enorm spaltet und verunsichert. Das konnten wir 2017 sehr gut beobachten, als Florian Philippot das Thema „Frexit“ im Rahmen der Wahlkampagne von Marine Le Pen so in den Vordergrund gerückt hat. Heute ist er der Einzige im patriotischen Lager, der sich noch auf dieses Thema konzentriert. Aber es stimmt, dass die Themen EU und „Frexit“ die Wähler zu sehr einschüchtern.

Wir müssen uns jetzt darauf konzentrieren, die Verträge neu zu verhandeln und sicherzustellen, dass die französische Verfassung und unsere nationalen Gesetze Vorrang vor denen der EU haben. Theoretisch ist das bereits der Fall, aber in der Praxis sieht es anders aus. Im Moment ist es noch so, dass alles, was europäisch ist, Vorrang hat, obwohl wir auf nationaler Ebene eigentlich nicht dazu verpflichtet wären. Das muss neu verhandelt werden. Es ist klar, dass das alles nicht von heute auf morgen umgesetzt werden kann. Außerdem würde ein solcher Schnellschuss die Wähler zu sehr verunsichern.

Die nächste große Wahl ist die Europawahl. Wie groß ist die Motivation der Rechten, an diesen Wahlen teilzunehmen? Werden diese Wahlen als strategisch wichtig angesehen?

Quentin (R!): Nein, das glaube ich nicht. Die Franzosen haben sich nie besonders für die Europawahlen interessiert. Die gute Nachricht ist, dass dies für den RN immer gute bis sehr gute Ergebnisse bedeutet hat. Ich hoffe, dass das so bleibt. Die Medien werden dieser Wahl allerdings weniger Aufmerksamkeit schenken. Auch das Engagement der Aktivisten und damit die Wirkung wird geringer sein. Auch die Wahlbeteiligung wird niedriger sein als bei den letzten Wahlen.

Mit den Präsidentschaftswahlen können die Europawahlen jedenfalls nicht mithalten, das halte ich für völlig unmöglich. Aber die Wahlen werden die Politik nach zwei relativ ruhigen Jahren noch einmal wachrütteln, bevor wir wieder in eine zweijährige Flaute geraten. Ich hoffe also auf eine gewisse Mobilisierung, glaube aber nicht, dass sie so groß sein wird wie bei den letzten Präsidentschaftswahlen.

Rémy (RN): Wie Quentin schon gesagt hat, gibt es in Frankreich zwei Wahlen, die sehr genau verfolgt werden. Auf lokaler Ebene sind dies die Kommunalwahlen und auf nationaler Ebene die Präsidentschaftswahlen. Alle anderen Wahlen werden eher vernachlässigt, vor allem die Departements- und Regionalwahlen. Aber die Europawahlen sind eigentlich auch eine Chance für den RN, denn beim letzten Mal sind, glaube ich, 24 Abgeordnete ins Europaparlament eingezogen - ein sehr gutes Ergebnis [der RN ist mit 23 Abgeordneten im Parlament vertreten, Anm. d. Red.]

Aber letztlich müssen wir uns die Frage stellen, wo wir mit der Rechten in Frankreich stehen und ob wir mehr erreichen können als bisher. Ich denke, das werden wir. Ich glaube auch, dass einige Mitglieder von Reconquête bei den nächsten Europawahlen erfolgreich sein werden. Das wird dann auch der Moment sein, wo wir uns positionieren können und uns die Frage stellen sollten: „Was machen wir als Nächstes? Was machen wir bei den Kommunalwahlen? Was machen wir bei den nächsten Präsidentschaftswahlen?

Argumente für die Stimmabgabe bei den Europawahlen: Zum Beispiel „Die Grünen stoppen“, „Frontex verbessern“ und so weiter scheinen die Rechten in Frankreich nicht wirklich zu motivieren ... und in Deutschland auch nicht, wenn wir ehrlich sind.

Rémy (RN): Eigentlich liegt es nicht so sehr an den Aktivisten. Die Europawahlen sind eigentlich sehr angenehm, weil wir ein ausreichendes Budget haben und die Wahlkampfkosten leicht wieder hereinholen können. Diese Wahlen geben uns auch die Möglichkeit, die Aktivisten neu zu motivieren.

Das „Problem“ sind eher die Wähler, die sich einfach nicht für die Europawahlen interessieren und denken: „Ach was, das ist Europa, das ist weit weg und betrifft mich nicht“. In Wirklichkeit betrifft es sie aber sehr wohl. Also müssen wir diese Menschen wirklich wachrütteln und ihnen sagen: „Geht wählen! Wählt die Partei, die am besten zu euch passt. Wählt die Partei, die ihr in der Verantwortung sehen wollt.“ Daran müssen wir bei den nächsten Europawahlen arbeiten.

Quentin (R!): Ich bin auch der Meinung, dass nicht wir Aktivisten über das allgemeine Interesse der Wähler an den Europawahlen diskutieren sollten, denn schließlich sind wir es, die sich in jedem Fall engagieren, sei es durch Wählen oder durch Aktivismus. Ich glaube aber auch, dass es in der Bevölkerung ein generelles Desinteresse an diesen Wahlen gibt.

Das beschränkt sich meiner Meinung nach nicht nur auf die Rechte. Ich denke, es betrifft alle - die Linke, die Rechte, die Mitte, die Liberalen, die Protektionisten... Es betrifft so ziemlich jeden. Der Anteil der Nichtwähler bei den Europawahlen ist sehr hoch, und trotzdem sehen wir, dass der RN gute Ergebnisse erzielt. Deshalb glaube ich nicht, dass die Rechte stärker betroffen ist als andere Parteien.

Rémy, Quentin - vielen Dank für eure Zeit!


Zu den Personen:

La Cocarde, die gegen den Linksruck an den Universitäten kämpft, besteht aus Mitgliedern aller Fraktionen der patriotischen Rechten in Frankreich. Unsere Interviewpartner Rémy und Quentin waren während der Parlamentswahlen 2022 als lokale Wahlkampfleiter für ihre jeweiligen Parteien tätig und haben weiterhin aktive Führungsrollen in ihren Ortsverbänden von La Cocarde Etudiante inne.

Die Übersetzung besorgte Yannick Gregory.


Twitter Rémy: https://twitter.com/RuerRemy

Twitter Quentin: https://twitter.com/Quentin_1er

Twitter La Cocarde Étudiante: https://twitter.com/cocardeetud

Instagram La Cocarde Étudiante: https://www.instagram.com/cocardeetudiante

Über den Autor

Yannick Gregory

Stellenausschreibugn - AfD Sachsen

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