Nehammer angelobt: Protest und Rücktrittsforderung folgen auf dem Fuß
Wien. – Nach dem endgültigen Kurz-Abgang blieb kein Stein auf dem anderen. Kurzzeit-Kanzler Alexander Schallenberg rückt zurück ins zweite Glied und wird wieder Außenminister. Nehammer ist neuer ÖVP-Chef und Bundeskanzler, mit Gerhard Karner besetzt die mächtige ÖVP Niederösterreich erneut das Innenministerium. Magnus Brunner macht nach dem Blümel-Rückzug einen Karrieresprung und ist neuer Finanzminister. Der umstrittene Bildungsminister Heinz Faßmann räumt das Feld für den bisherigen Grazer Uni-Rektor Martin Polaschek. Neu als Staatssekretärin im Kanzleramt ist JVP-Chefin Claudia Plakolm. Trotz heftiger Kritik an einigen dieser Personalien folgte am Montag die Angelobung. Die neuen Regierungsmitglieder wurden vom Volk am Weg zum Formalakt übrigens von Unmutsrufen empfangen: „Buh“ und „Volksverräter“ riefen Demonstranten am Ballhausplatz.
Kickl: Nur Nehammer-Rücktritt beendet die Spaltung
Nehammer will nicht den üblichen Interviewreigen abhalten, sondern sich gleich an die Arbeit machen. In seiner Antrittsrede stellte er das Coronavirus als „Feind der Freiheit“ heraus und gelobte, die Spaltung im Land bekämpfen zu wollen. Nach teils intensiven Ausritten gegen Regierungskritiker kaufen ihm das viele nicht Zeitgenossen ab. Erst am Wochenende bezeichnete Nehammer die weitgehend friedlichen Großproteste in Wien als „demokratiefeindlich“.
Auch FPÖ-Chef Herbert Kickl traut dem Frieden nicht. Er wiederholte seine Forderung nach Neuwahlen und einem Rücktritt des Neo-Kanzlers und seiner Entourage: „Der einzig richtige Weg, um die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, wäre der sofortige Rücktritt Nehammers und seines gesamten Kabinetts und damit verbunden das Ende des Projekts ‚Impfzwang‘ – statt der Neuformation eines ‚letzten Aufgebots‘.“
„Immer brutaleres Zwangsregime“ gegen Bürger droht
Kritik übte Kickl auch am Verhalten des Bundespräsidenten. Wenn Van der Bellen es mit seinen Worten, das verlorene Vertrauen zurückgewinnen zu wollen, hätte er Nehammer und Co. gar nicht angeloben dürfen. So könne der neue Kanzler die Gesellschaft „weiter systematisch bis tief hinein in die Familien, in Freundeskreise oder Arbeitskollegen auseinanderdividieren“.
Unter dem Vorwand, die Pandemie zu bekämpfen, wolle jener ein „immer brutaleres Zwangsregime gegen die eigenen Bürger ausrollen.“ Insofern sei die heutige Angelobung ein „tiefschwarzer Tag für die Grund- und Freiheitsrechte in Österreich“, so Kickls Warnung. Das Staatsoberhaupt hätte besser die gesamte Regierung entlassen und sich für baldige Neuwahlen aussprechen sollen.
SPÖ & NEOS: Neuwahlen erst zu späterem Zeitpunkt
Auch die übrigen Oppositionsparteien stehender Personalrochade an der türkisen Spitze kritisch gegenüber. SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried betonte, dass „Kurz und die ÖVP […] aus einer Partei- eine Regierungskrise“ gemacht hätten. Es brauche in der gesamten Volkspartei eine Aufarbeitung des türkisen Systems, das „die persönliche Karriere, den eigenen politischen Erfolg und den Machterhalt über die Interessen der Bevölkerung über die Interessen der Bevölkerung und des Landes gestellt hat.
Ob die Sozialdemokratie ebenfalls baldige Neuwahlen wünscht, darüber ist sich deren Spitzenpersonal vorerst noch uneins. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner kann sich diese erst zu einem späteren Zeitpunkt vorstellen, ähnlich NEOS-Chefin Beate Meinl-Reisinger. Diese kritisierte die Bestellung von Nehammer zum Kanzler als „nicht das beste Zeichen“. Dieser hätte etwa rund um den Terroranschlag in Wien bereits als Innenminister einige Fragen offengelassen.
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