Nordrhein-Westfalen: Drei junge AfD-Abgeordnete im Gespräch (1)
Die AfD-Fraktion in Nordrhein-Westfalen besteht aus einer jungen, motivierten Truppe. FREILICH hat mit den drei Landtagsabgeordneten Enxhi Seli-Zacharias, Carlo Clemens und Zacharias Schalley über ihre Arbeit und Erfahrungen im Landtag gesprochen.
FREILICH: Fangen wir ganz einfach an: Wer seid ihr, was ist euer Kernthema hier im Landtag und was habt ihr gemacht, bevor ihr in den Landtag gekommen seid?
Enxhi Seli-Zacharias: Mein Name ist Enxhi Seli-Zacharias, ich bin 29 Jahre alt. Seit der letzten Landtagswahl sitze ich für die AfD im Landtag von Nordrhein-Westfalen (NRW). Ich vertrete dort den Wahlkreis Gelsenkirchen und bin ein bisschen stolz darauf, denn ich habe das beste Wahlergebnis im ganzen Land erzielt, aber das liegt nicht an mir, sondern einfach an den Gegebenheiten vor Ort. Da können meine beiden Kollegen, die aus dem Umland kommen, wahrscheinlich nicht ganz mithalten. Meine Fachausschüsse, die ich hier betreue, sind zum einen der Integrationsausschuss und der Ausschuss für Frauen und Gleichstellung. Ansonsten ist eines meiner Hauptanliegen unter anderem eben der politische Islam, der mich sehr beschäftigt.
Carlo Clemens: Ich bin Carlo Clemens, schulpolitischer Sprecher der AfD-Landtagsfraktion und Sprecher für Bauen und Wohnen. Meine beiden Fachausschüsse sind der Bildungsausschuss und der Ausschuss für Bauen, Wohnen und Digitalisierung. Ich komme aus Bergisch Gladbach bei Köln und bin als Direktkandidat im Rheinisch-Bergischen Kreis angetreten. Da ist die Welt überwiegend noch in Ordnung und die Leute sehen noch nicht so sehr die Notwendigkeit, die AfD zu wählen.
Ich war bei den Erststimmen besser als bei den Zweitstimmen, wir haben einen sehr personalisierten Wahlkampf geführt, aber insgesamt holen wir dort eher unterdurchschnittliche Ergebnisse im Landesvergleich. Das liegt auch daran, dass es ein recht ländlicher Wahlkreis ist, wo die CDU noch sehr stark ist. Die Grünen sind hier in den Städten sehr stark – also dieses typische Bio-Bürgertum, das ist in meiner Region sehr ausgeprägt. Rotwein-Speckgürtel von Köln eben. Dementsprechend sind die Herausforderungen bei uns natürlich andere als jetzt zum Beispiel in Ruhrgebietsstädten wie Gelsenkirchen.
Zacharias Schalley: Mein Name ist Zacharias Schalley, ich bin hier in unserer Fraktion Sprecher für Umwelt, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und ländliche Räume sowie Sprecher für Familienpolitik und Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Kindesmissbrauch. Davor war ich wissenschaftlicher Mitarbeiter sowohl bei der AfD-Fraktion hier als auch bei Abgeordneten in Bund und Land. Ich komme aus Meerbusch – wo Carlo das Thema Rotweingürtel angesprochen hat –, das ist der Inbegriff des Rotweingürtels und einer der Orte mit den meisten Einkommensmillionären in Deutschland. Also bei uns holt jetzt nicht die CDU die guten Ergebnisse, sondern die Grünen, weil die ganzen Reichen aus Düsseldorf dorthin ziehen.
Dementsprechend mager sind natürlich die Ergebnisse, aber das hält mich natürlich nicht auf, weil gerade das Thema Umwelt und Landwirtschaft – meine Interessensgebiete – ein großes Potenzial für die AfD darstellt, sowohl bei den Landwirten als auch generell mit dem Politikfeld Umwelt. Das Thema Erhalt der Kulturlandschaft und der Natur – eigentlich ein urkonservatives Thema ist – muss ein bisschen mehr in den Fokus gerückt werden, weil das ein virulentes Thema ist, das jede Wählergruppe umtreibt. Eine trotzige Gegenreaktion, indem man einfach alles ablehnt, was irgendwie grün ist, halte ich für zu kurz gegriffen und versuche, dieses Thema ein bisschen nach vorne zu bringen.
Ich würde gerne ein paar persönliche Erfahrungen hören. Ich weiß, dass ihr alle vorher auch in der Kommunalpolitik aktiv gewesen seid, wie war das eigentlich, plötzlich im Landtag zu sein? Ist das eine ganz andere Ebene oder ist das so ähnlich?
Carlo Clemens: Wir drei kannten den Landtag schon ganz gut, weil wir hier schon gearbeitet haben. Ich habe bereits als Student für einen Landtagsabgeordneten in der ersten Legislaturperiode gearbeitet und bin dann zu einem Bundestagsabgeordneten nach Berlin gewechselt und habe dort meine Erfahrungen gesammelt. In der AfD sind die Hierarchien aufgrund unserer dünnen Personaldecke sehr flach und man kommt sehr schnell in Positionen, für die man in anderen Parteien vielleicht Jahre warten und sich jahrelang hocharbeiten muss. Das geht bei uns manchmal sehr schnell und dadurch kannten wir diesen parlamentarischen Betrieb schon sehr gut als Mitarbeiter, teilweise auch als Fachreferenten. Auch die Ausschussarbeit kannten wir dadurch schon sehr gut.
Ich glaube, ich kann auch beim Thema Kommunalpolitik für uns drei sprechen: Wir haben alle drei vorher schon kommunalpolitische Erfahrung gesammelt. Die Abläufe sind in der Gemeinde fast gleich wie hier im Landtag – also wie eine Ausschusssitzung abläuft. Was hier anders ist, ist das Drumherum. In der Gemeinde ist es noch ein bisschen persönlicher, familiärer, das kommt natürlich auch auf den Stadtrat oder den Gemeinderat an, aber dort sind die Vertreter der anderen Fraktionen auch keine Berufspolitiker, sondern Laien und dadurch ist die Atmosphäre generell ein bisschen kollegialer. Im Landtag ist es schon anders, wenn du als einziger Vertreter der AfD im Ausschuss sitzt, dann bist du auch allein, dann bist du der Einzelkämpfer und da weht dir schon manchmal ein starker Wind entgegen.
Nun – das war eine Antwort für alle drei! Kommen wir zur konkreten Arbeit als Abgeordneter. Ich habe gelesen, dass es auf Landtagsebene keine Zusammenarbeit zwischen der AfD und anderen Parteien gibt, ist der Landtag trotzdem schon eine Art „zweites Zuhause“ geworden?
Enxhi Seli-Zacharias: Der Vorteil ist, Carlo hat das schon sehr gut formuliert, dass wir mit der Verantwortung hier kontinuierlich gewachsen sind. Für viele Vorgänger, die vielleicht auch in einem anderen Alter waren, war es insofern schwieriger, weil sie sich komplett neu in diese Binnenwelt einarbeiten mussten. Damit meine ich diese eigene Welt im parlamentarischen Betrieb und Landtag, da können es auch ganz grundsätzliche Fragen wie zum Beispiel „Wie stelle ich Mitarbeiter ein?“ sein, die man sich stellt. Wenn man das jetzt im Hintergrund sowieso schon lange selbst gemacht hat, dann ist man praktisch völlig eigenständig und kann das alles selbst machen. Das ist gerade für den Beginn eines jeden neuen Mandatsträger bedeutend. Für mich war es wichtig, dass ich das alleine machen konnte, bevor mein Team komplett war und insofern bin ich sehr dankbar für die Erfahrung, die ich in der Vergangenheit sammeln durfte. Als ich in den Landtag gekommen bin, konnte ich relativ selbständig agieren.
Das ist einmal die Verwaltungsebene, aber dann gibt es auch das, was Carlo gerade angesprochen hat, nämlich den großen Unterschied zur kommunalen Ebene. Trotz der Antipathien gegenüber der AfD ist das alles irgendwie ein bisschen vertrauter, also man kennt sich irgendwie über Umwege. Der 60-jährige Kommunalpolitiker ist weniger bissig als vielleicht die Narzissten, die hier im Parlament sitzen. Das ist schon ein Unterschied! Der grüßt einfach, weil es die Höflichkeit gebietet. Das sind natürlich Umgangsformen, die es hier nicht gibt.
Meiner Ansicht nach haben wir alle drei eine gute Kinderstube genossen und ich persönlich würde auch nie an einer Person vorbeigehen, ohne zu grüßen. Es ist schon passiert, dass ich von einer jungen grünen Kollegin aus Gelsenkirchen auf der Toilette nicht gegrüßt wurde. Für mich zeugt das von keiner guten Kinderstube. Das ist für mich jetzt zwar nicht sehr belastend und ich kann abends auch gut einschlafen, man muss mit diesen neuen Situationen aber umgehen können, keine Frage.
Carlo Clemens: Wobei ich sagen muss, man kann nicht von Unhöflichkeit sprechen und man kann es auch nicht an Parteien festmachen. Konkret: Man kann nicht pauschal sagen: „Die CDU ist ein bisschen freundlicher als die SPD, weil die SPD noch linker ist“. Es kommt wirklich auf die Person und die Situation an. Man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, wenn man das Politische mal beiseite lässt, aber diese Größe hat leider nicht jeder.
Zacharias Schalley: Es kommt auch auf die Situation an, also im Ausschuss selbst ist die Abneigung natürlich offensichtlich und die muss man dann auch zeigen, aber wenn man dann mit dem Landwirtschaftsausschuss in Berlin auf der Grünen Woche – einer großen Landwirtschaftsmesse – ist, dann sind auch die Sozialdemokraten freundlich und stoßen auch an, wenn man zusammen ein Bierchen trinkt. Dann kommt es natürlich auf die Person an, aber gerade in den offiziellen Teilen nutzen manche das auch irgendwie aus, um ihre besondere Abneigung, glaube ich, zum Ausdruck zu bringen, aber wir sind alle nicht hergekommen, um Freunde zu finden. Das habe ich bisher sowieso nicht versucht. Es ist der politische Feind und die sehen uns alle genau so, also muss man diese Feindseligkeit einfach akzeptieren. Wir werden von ihnen nicht nett behandelt, wenn wir nett zu ihnen sind.
Welche Kompetenzen braucht man, um im Landtag erfolgreich zu sein?
Zacharias Schalley: Ein dickes Fell! Nicht nur im Sinne von Max Weber, dass Politik das „Bohren dicker Bretter“ ist, sondern man muss es auch aushalten, was man da so zu hören bekommt. Hier werden natürlich auch private Dinge ins Plenum getragen, bei mir war es die letzte Plenarwoche. Es gab ein ein Verfahren gegen mich, weil ich Sportschütze bin. Denn laut einem neuen Erlass des Innenministers sind alle AfD-Mitglied pauschal unzuverlässig. Mir wurden also meine Waffen abgenommen.
Dagegen habe ich geklagt und natürlich kein Recht bekommen. Der Ausgang wurde dann in einer Rede thematisiert, so nach dem Motto: „Es ist richtig, dass er keine Waffen mehr besitzt.“ Ich war 15 Jahre lang Sportschütze und habe mir nie etwas zu Schulden kommen lassen. Da muss man sich dann auch privat einiges anhören. Hinzu kommen dann noch Übergriffe von Linksextremen, die wissen, wo man wohnt, die Scheiben einschlagen, Autos anzünden, Häuser besprühen usw. – also Dinge, mit denen jedes AfD-Mitglied vom Kassenprüfer im Kreisverband bis hin zum Abgeordneten irgendwo rechnen muss. Das ist Teil des Repressionsregimes.
Moment! Aus welchem Grund haben Sie Ihre Schusswaffen verloren?
Zacharias Schalley: Wegen meiner Mitgliedschaft in der AfD.
Carlo Clemens: Wir werden hier schon als politische Feinde angesehen. Man muss sich ganz schnell aus dem Kopf schlagen, dass man hier durch einen gut ausgearbeiteten Antrag Anerkennung bekommt und dieser sogar beschlossen wird, weil die Gegenseite einsieht: „Okay, da habt ihr mal recht!“. Anträge werden pauschal abgelehnt, aber man muss immer ergänzen, nicht nur von der AfD, sondern von jeder Oppositionspartei – da muss man dieses parlamentarische Spiel ein Stück weit mitspielen. Das heißt zum Beispiel, dass sich die Regierung irgendwelche Gründe aus den Fingern saugt, um unsere Anträge abzulehnen, obwohl die sachlich gut ausgearbeitet sind, und das darf man sich eben nicht zu nahe kommen lassen, wenn dann die eine oder andere Ablehnung unverschämt formuliert wurde.
Die Erfolge, die wir erzielen können, liegen zum Beispiel in der Öffentlichkeitsarbeit, also dass wir durch unsere Anträge vor allem Themen in die Öffentlichkeit bringen können, die sonst nicht behandelt worden wären. Im Bereich Schule etwa haben wir sehr viel ans Licht gebracht, was die Kriminalität an Schulen – beispielsweise die Messerkriminalität – betrifft. Diese Zahlen würden nicht an die Öffentlichkeit kommen, wenn wir nicht nachfragen würden und selbst die Zeitungen interessieren sich dann dafür, berichten darüber und zitieren uns dabei auch. Das ist wichtig.
Der zweite Punkt ist das Zwischenmenschliche. Jeder normaler Bürger kann jeden Abgeordneten anschreiben, man kann uns auch hier besuchen. Gerade im Zusammenhang mit der jüngsten Abiturpanne gab es sehr viele engagierte Eltern, Elternvertretungen oder Schulpflegschaften, die meine Kollegen und mich anschreiben. Wenn wir ihnen antworten, sind die Reaktionen immer sehr positiv. Ich hoffe, dass uns solche Interaktionen nahbar und sympathisch machen und sich dadurch auch unser Ruf verbessert, so nach dem Motto: „Guckt mal, die AfD macht eigentlich eine ganz vernünftige Arbeit im Schulausschuss!“ Das könnte auch ein bisschen zur Entdämonisierung der Partei beitragen.
Enxhi Seli-Zacharias: Was in dem Zusammenhang für unsere aktuelle Fraktion jetzt schon gilt: Wir sind, wenn man sich das bundesweit genauer anschaut, eine relativ junge AfD-Fraktion. Das muss man vielleicht auch nochmal betonen. Ich würde sagen, dass wir dadurch letztendlich auch einen gewissen Vorteil haben. Wir alle hatte schon Schulklassen zu Besuch. Zwar war bei manchen Klassen keine Harmonie da, weil zum Beispiel überzeugte Abtreibungsbefürworter anwesend waren und man schnell gemerkt hat, dass dadurch eine Diskussion nicht möglich war. Aber es waren auch wirklich viele Klassen mit Jugendlichen hier, die wirklich ein Gefühl für das reale Leben haben.
Das gibt es also auch und ich bin auch davon überzeugt, dass die Mehrheit der Jugendlichen konservativ ist – Carlo hat in seinen Reden schon oft darauf hingewiesen. Die Mehrheit der Jugendlichen denkt an Familie und an Sesshaftigkeit, sie möchten etwas aufbauen, das Bestand hat. Die Mehrheit ist also nicht transgender, bisexuell oder was man uns sonst noch immer so zu verkaufen versucht. Es entspricht nicht der Realität. Es können noch so viele Plakate mit homosexuellen Paare irgendwo angebracht werden, damit möglichst viele Jugendliche diese sehen. Nur bringen wird es am Ende nichts, weil diese LGBT-Umerziehung einen Kampf gegen die Natur darstellt.
Da können wir also andocken und uns ins Spiel bringen, indem wir sagen: „Ja, es gibt junge Stimmen, die sowas denken und fordern“. Wenn man sich dann manchmal die Kommentare unter unseren Videos anschaut, dann sieht man überwiegend Kommentare von älteren Menschen, die positiv überrascht sind und sich freuen, dass es „noch normale junge Leute“ gibt. Das sind zum Teil wirklich die Hauptkommentare unter unseren Videos. Auch das ist für mich ein Erfolg, auf den man ein bisschen stolz sein kann. Eine Partei, die auch in Zukunft etwas bewegen möchte, sollte mit ihren Positionen also jugendlich und dynamisch auftreten, um so auch jüngere Zielgruppen anzusprechen.
Noch ein Punkt, weil es eben schon angeklungen ist: Alle drei von uns sind zusätzlich auch noch in der Kommunalpolitik tätig. Das kostet unheimlich viel Zeit und Energie. Auch Lebensenergie. Wenn man noch flexibel sein kann, ist so eine Doppelfunktion aber möglich. Darin sehe ich für unsere noch junge Partei aber auch eine Chance, andere jungen Leute in die Kommunalpolitik zu bringen. Ich selbst konnte die meiste Erfahrung in der Kommunalpolitik sammeln und ebendort konnte ich auch die größten Erfolge einfahren. Unter Landespolitik verstehe ich persönlich, dass ich meinen Heimatort Gelsenkirchen pragmatisch vertrete und Dinge durchsetze, die möglich sind.
Der zweite und dritte Teil des Interviews wird in den nächsten Tagen veröffentlicht.
Zu den Personen:
Enxhi Seli-Zacharias ist eine deutsche Politikerin. Sie ist seit 2022 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen.
Carlo Clemens ist Beisitzer im Bundesvorstand der AfD und war von 2021 bis 2022 Bundesvorsitzender der Jungen Alternative für Deutschland. Seit 2022 ist er Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen.
Zacharias Schalley ist ein deutscher Politiker. Er ist seit 2022 Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen.