Parteikrach: Droht der AfD in Nordrhein-Westfalen der Ausschluss von der nächsten Bundestagswahl?

Die nordrhein-westfälische AfD sieht sich wegen angeblicher Unregelmäßigkeiten bei der Mitgliederaufnahme und interner Querelen in einer schwierigen Lage, doch ein Sprecher der Partei weist die Vorwürfe zurück und spricht von einer Schmutzkampagne.

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Parteikrach: Droht der AfD in Nordrhein-Westfalen der Ausschluss von der nächsten Bundestagswahl?

Der AfD-Landesvorsitzende Martin Vincentz und der AfD-Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich.

© IMAGO / Panama Pictures / dts Nachrichtenagentur

Düsseldorf. – Die nordrhein-westfälische AfD könnte vor einem ernsthaften Problem stehen. Wie aus Dokumenten hervorgeht, die der Nachrichtenplattform The Pioneer vorliegen, soll mindestens ein Kreisparteitag vermutlich rechtswidrig gewesen sein und werde deshalb nun von der Partei angefochten. Sollte die Partei die Unregelmäßigkeiten nicht aufklären und die erforderlichen Parteitage nicht fristgerecht nachholen, könnte der Wahlleiter die Bundestagsliste des AfD-Landesverbandes zurückweisen, heißt es in dem Bericht.

Interne Unstimmigkeiten

Im Mittelpunkt der Vorwürfe steht ein mutmaßlicher Betrug bei der Aufnahme von Neumitgliedern. Ein hochrangiges AfD-Mitglied soll bereits eine alarmierende Einschätzung abgegeben haben: „Wenn wir in NRW nicht antreten können, fehlen uns im bundesweiten Endergebnis zwischen fünf und sechs Prozent“. Bis zum 21. Oktober sei der Landesvorstand um Martin Vincentz und Kay Gottschalk (MdB) aufgefordert worden, sich gegenüber dem Bundesvorstand zu erklären. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Parteiausschlussverfahren gegen Klaus Esser

Wie es in dem Bericht weiter heißt, wurde gegen den ehemaligen Kreisvorsitzenden und früheren stellvertretenden Landesvorsitzenden Klaus Esser in der vergangenen Woche offenbar auf Druck des Bundesvorstandes ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. Nach FREILICH vorliegenden Informationen aus Parteikreisen stand die Personalie Esser mehrfach auf der Tagesordnung des Bundesvorstandes, auch weil es Versäumnisse seitens des Landesvorstandes gegeben haben soll. Um Esser zu schonen, sei ein Parteiausschlussverfahren zwar beschlossen, aber auf die lange Bank geschoben und nicht dem Landesschiedsgericht vorgelegt worden. Diesem Vorgehen habe sich der Bundesvorstand nicht anschließen können und auf die Umsetzung des Ausschlussverfahrens gedrängt.

Esser selbst, so berichtet der Kölner Stadtanzeiger, habe bis Donnerstag noch keine Unterlagen zum Parteiausschlussverfahren erhalten. Laut Rheinischer Post (RP) soll der formelle Antrag am Freitag, 25. Oktober, beim Landesschiedsgericht eingegangen sein – die Vorwürfe gegen Esser waren bereits im Juli öffentlich geworden, Anfang August hatte er zahlreiche Ämter wie das des stellvertretenden Vorsitzenden niedergelegt. Ende August soll der Landesvorstand nach WDR-Informationen bereits den Ausschluss Essers beschlossen haben. Ein ehemaliges AfD-Bundesvorstandsmitglied bezeichnete dies gegenüber FREILICH als „üblichen Trick“ – ein Ausschluss werde zwar intern beschlossen, dann aber nur schleppend oder gar nicht umgesetzt.

Manipulation bei Neumitgliedern?

Esser, Mitglied der Kölner Burschenschaft Germania, wird vorgeworfen, die Meldeadressen von Neumitgliedern manipuliert zu haben, um die Mitgliederzahl seines Kreisverbandes Düren zu erhöhen. Dadurch habe der Kreisverband mehr Delegierte zum Landesparteitag entsenden können und mehr Parteigelder erhalten. Laut The Pioneer soll es auch in anderen nordrhein-westfälischen Kreisen zu ähnlichen Vorfällen gekommen sein.

Neben der Manipulation bei der Mitgliederaufnahme wird Esser auch vorgeworfen, Teile seines Lebenslaufes gefälscht zu haben, um parteiintern Karriere zu machen. Beides wird in dem Schreiben als Begründung für den Ausschluss angeführt. Demnach habe Esser mit der bewussten Täuschung über seine Qualifikation „im Zusammenhang mit der Bewerbung um eine entsprechend vergütete und für die Parteiorganisation absolut zentrale Arbeitsstelle“ nicht nur schwerwiegend gegen die Ordnung der Partei verstoßen, heißt es. Er habe der AfD auch nach außen „schweren Schaden zugefügt“, nicht nur materieller Art. In diesem Zusammenhang ist von einem „gravierendem Ansehensverlust im Volk“ durch den Fall Esser die Rede, wie die RP berichtet.

Als Jurist ausgegeben

Die RP hatte Anfang August durch Recherchen aufgedeckt, dass Esser parteiintern in Bewerbungsverfahren vorgegeben haben soll, Jurist zu sein. Entsprechende Staatsexamen oder Universitätsabschlüsse seien allerdings nicht bestätigt. Er hatte nachweisbar lediglich ein Studium der Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln aufgenommen und eine Zwischenprüfung nach dem Grundstudium absolviert. Der Betroffene bestritt die Anschuldigungen zunächst und sprach von einer Schmutzkampagne von Dritten, inzwischen soll er Teilen des Vorstandes gegenüber eingeräumt haben, dass die Vorwürfe größtenteils stimmen.  Er hat laut dem Bericht von The Pioneer bestätigt, dass es Unregelmäßigkeiten bei der Mitgliederaufnahme gibt, eigenes Fehlverhalten bestritt er aber.

Der Fall hat im Landesverband Nordrhein-Westfalen für einige Unruhe gesorgt, hinzu kommt seit einigen Tagen eine weitere Personalie. Das AfD-Landesvorstandsmitglied Uwe Detert sieht sich mit Reichsbürger- und Antisemitismusvorwürfen konfrontiert. So soll er sich auf Facebook abfällig über die jüdische Familie Rothschild geäußert haben – „Herr Rothschild“ habe Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel und andere ehemalige europäische Spitzenpolitiker bereits als Jugendliche in seiner „Kaderschmiede“ ausgewählt und ausgebildet, soll Detert geschrieben haben. Zudem habe er die Bundesrepublik als „Deutschland GmbH“ bezeichnet. Der AfD-Landesvorstand habe sich aber hinter Detert gestellt und auf die Meinungsfreiheit verwiesen, so die Welt.

Beobachter ordnen die Kämpfe um Esser und Detert und Co. in eine tiefe Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppierungen in Nordrhein-Westfalen ein. Der AfD-Landesvorstand um den Vorsitzenden Martin Vincentz will den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich, bis vor kurzem selbst noch im Vorstand, aus der Partei werfen. Als Grund wird parteischädigendes Verhalten genannt, so wirft ihm der Landesvorstand unter anderem die aktive Verwendung des Wortes „Remigration“ vor.

NRW-Sprecher sieht Unwahrheiten und Märchen

Heftige Kritik an den Darstellungen des Pioneer-Artikels kommt nun von der AfD aus Nordrhein-Westfalen. Ein Sprecher der Partei erklärte gegenüber FREILICH, dass der Landesvorstand derzeit prüfe, ob er rechtlich gegen den Artikel vorgehen könne, da fast alles in dem Beitrag unwahr sei. Zudem hätten die Journalisten der Nachrichtenplattform nicht beim Landesverband der AfD in Nordrhein-Westfalen nachgefragt. Der Sprecher erklärte weiter, dass die Delegierten für die Aufstellungsversammlung in Düren und den meisten anderen Kreisen noch nicht gewählt worden seien und daher keine Gefahr für die Bundestagsliste der AfD NRW bestehe.

Hinter dem Bericht wird deshalb eine Schmutzkampagne einzelner Akteure vermutet. Der Sprecher nennt in diesem Zusammenhang Roger Beckamp und Mathias Helferich und deren Umfeld, die bewusst solche Märchen verbreiten und diese Unwahrheiten an die politische Konkurrenz und die Presse weitergeben würden. Den Grund vermutet der Sprecher darin, dass sowohl Beckamp noch Helferich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr für den Bundestag aufgestellt werden und der Partei nur noch maximalen Schaden zufügen wollen. Eine Anfrage von FREILICH zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen wollte Helferich nicht beantworten. Die beiden Juristen Helferich und Beckamp haben aber nicht die schlechtesten Karten, im Frühjahr 2025 beim Aufstellungsparteitag erneut für den Bundestag nominiert zu werden. Noch im Frühjahr dieses Jahres wurde Helferich mehrheitlich in den Landesvorstand gewählt.

Aktualisierung: Wie ein Sprecher der AfD NRW bestätigte, wurde eine Abmahnung an Pioneer verschickt.

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