Soziale Frage als Trumpf: Lehren aus der Salzburg-Wahl
Mit Salzburg wird die zweite Landeshauptstadt zur KPÖ-Hochburg, während die FPÖ nur geringfügig vom Einbruch der regierenden ÖVP profitiert. Grund dafür ist die Priorität der sozialen Frage, meint Julian Schernthaner in seiner Analyse.
Nanu, ist die Mozartstadt plötzlich über Nacht zum Kommunistennest geworden? Wer nur auf das Ergebnis schaut, könnte zu diesem verkürzten Schluss kommen. Tatsächlich ist es aber ein Indiz dafür, welches Wählerpotenzial ein bürgernaher Auftritt und ein „Kümmerer-Image“ entfesseln kann. Zugleich offenbart sich in Zeiten der „Politikverdrossenheit“ die Sprengkraft der sozialen Frage, die überzeugte Nichtwähler an die Wahlurne holen kann und jahrelange Anhänger der alten Systemparteien plötzlich zum Wechselwähler macht. Dieses Wählerpotenzial „links liegen“ zu lassen, wäre fatal, wie ich bereits nach einem ähnlichen Ergebnis bei der Graz-Wahl vor zweieinhalb Jahren darlegte.
Unleistbares Stadtleben
Denn Salzburg ist ein teures Pflaster – mit einem Median-Mietpreis von 17,10 Euro je Quadratmeter war der Wohnraum unter allen Landeshauptstädten schon vor einem Jahr nur in Innsbruck (19,10 Euro) noch teurer. Das war noch vor der saftigen Erhöhung der Richtwertmieten im April des Vorjahres – und auch vor der nächsten Anpassung der Betriebskosten infolge der hohen Energiepreise. Eine Kleinfamilie muss für eine 3-Zimmer-Wohnung mit 70 Quadratmetern etwa 1.200 Euro hinblättern – oder mehr als die Hälfte des Mediengehaltes eines unselbstständig Beschäftigten.
Für alleinstehende junge Menschen – Lehrabsolventen, Studenten und Co. – wird’s noch happiger: Auf Immo-Portalen ist kaum eine Garconniere unter 700 Euro zu finden. Obendrein verfehlte die ehemalige schwarz-grün-pinke Landesregierung ihre Wohnbauziele um sagenhafte 40 Prozent – die NEOS, in deren Ressortverantwortung dieses Versagen lag, flogen im April aus dem Landtag. Besonders prekär bleibt die Lage in der Landeshauptstadt, die Warteliste für Gemeindewohnungen ist ellenlang, insbesondere familientaugliche Wohnungen sind Mangelware.
Tiefroter „Erdrutschsieg“
Kay-Michael Dankl, seit fünf Jahren Gemeinderat, erkannte die Sprengkraft des Themas „leistbares Wohnen“ und beackerte es unablässig. Bei der Landtagswahl wurde seine Partei mehr oder weniger aus dem Stand zweistellig, bei der Gemeinderatswahl übersprang die KPÖ als neue Zweitplatzierte die 20-Prozent-Marke deutlich. Dankl darf nun im rot-roten Duell gegen SPÖ-Kandidat Bernhard Auinger in der Stichwahl antreten.
Die ÖVP, die bislang mit dem nicht mehr kandidierenden Harald Preuner den Bürgermeister stellte, ist aus dem Rennen – und halbierte sich in der Wählergunst in Salzburg-Stadt nahezu. Aber auch die FPÖ konnte kaum profitieren – sie landete noch hinter den Grünen auf dem fünften Platz, verfehlt damit auch einen Sitz in der Proporz-Stadtregierung. Es ist ein durchwachsenes Ergebnis in einer Zeit, in der die Freiheitlichen alle bundesweiten Umfragen anführen.
Offene blaue Flanken
Gewiss sind größere Städte für nicht-linke Parteien ein schweres Pflaster, sieht man einmal von der Umfrageführung im grün regierten Innsbruck ab, das im nächsten Monat wählt. Ein sozialer Mix aus Studierten, Fabrikarbeitern und von linken Parteien umgarnten Migranten macht die Sache nicht einfacher. Doch man ließ mehrere Flanken offen. In Stadt und Land opponierte man kaum gegen den Neubau zweier Asylheime in Salzburg-Stadt oder die geplante „Sky Shield“-Ansiedlung. Beides ist Bundesmaterie, wirkt sich aber auf die Stimmung vor Ort aus.
Ohne die eigenen Alleinstellungsmerkmale zu bedienen, überließ man auch beim Thema Wohnen weitgehend der „anderen Feldpostnummer“ das Feld. Es wurde zwar plakatiert, doch in sozialen Medien griff Spitzenkandidat Paul Dürnberger das Thema kaum auf. Bei medialen Fragerunden hob sich seine Antwort kaum von jener der Mitbewerber ab. Dankl – eigentlich kein waschechter Kommunist, sondern ein Ex-Grüner, der bei den großen Krisenthemen linksliberale Gemeinplätze bedient – erklärte es zum Schlüsselthema, trug seine Forderungen geradezu zum Wähler.
Effektives „Kümmerer-Image“
Es wiederholt sich die Erfahrung aus Graz: Dort baute sich die heutige KPÖ-Bürgermeisterin Elke Kahr viel Glaubwürdigkeit im Gemeindebau auf. Als die FPÖ sie entzaubern wollte, indem sie Kahr ins Verkehrsressort drängte und selbst die Wohnbauagenden übernahm, übersah man, dass diese sich weiter per „Mietertelefon“ als Ansprechperson positionierte. Geänderte Vergabekriterien zugunsten Einheimischer entschärften zwar soziale Probleme. Doch so rollte man ihr erst recht den tiefroten Teppich aus. Im Zweifelsfall räumt nämlich derjenige die Stimmen ab, der sich beim Volk blicken lässt.
Gemeinsam ist beiden Städten zudem, dass KPÖ-Mandatare einen Teil ihres Politikergehaltes in einen Sozialfond einzahlen. Da kommt der aus dem „akademischen Mittelstand“ stammende Dankl sogar damit durch, in der Hochpreis-Stadt mit nur 35 Jahren eine Eigentumswohnung zu besitzen, von der Zigtausende Salzburger nur träumen können. Bestenfalls wird der Stehsatz aller Salonbolschewisten, dieses süße Leben auch für alle Arbeiter zu wollen, auf groteske Weise plötzlich glaubwürdig. In der Reaktion auf die „Kommunismuskeule“ zu setzen, wäre aber ein kapitaler Fehler.
Svazek „daheim“ abgewatscht
Man muss vielmehr selbst mit Bürgernähe, mit einem „Kümmerer-Image“ punkten. Das zeigt selbst die „doppelte blauen Ausnahme“ in Wels, wo ein bürgerlicher FPÖ-Ausläufer eine größere, traditionell rote Arbeiterstadt regiert. Nicht der handzahme Auftritt ist's, der dort verfängt. Rabl verkaufte seine Impulse mit dem Slogan „Versprochen – gehalten“, wehrte sich auch gegen ein großes Asylheim. Auf die Idee, das revitalisierte Stadtzentrum für eine potemkinsche Fassade zu halten, konnte der Wähler nicht kommen; er schenkte ihm das Vertrauen, ungelöste Probleme in der zweiten Amtszeit anzugehen.
Auch Vize-Landeshauptfrau Marlene Svazek gefiel sich bislang als Sachpolitikerin: hier ein Bild mit Schulkindern, dort ihr Einsatz im Jagdressort. Bei Themen, welche die Bürger ständig bewegen – Asyl/Migration, Neutralität, Wohnen – war sie allerdings oft auf Tauchstation. Gerade mit der KPÖ im Nacken war auch ihre Opposition gegen die Kickl-Forderung nach einer Nulllohnrunde auf zweifache Weise ungeschickt. In ihrer Heimatgemeinde Großgmain verlor die FPÖ nun über sechs Prozent – mit ihr als Spitzenkandidatin. Anti-Populismus zeitigt in einer Demokratie jetzt mal nicht zwingend Erfolge.
Unausgeschöpftes blaues Potenzial
Ob es daran lag, dass sie dem ÖVP-Bürgermeister üppig Rosen streute oder daran, dass sie von vornherein klarstellte, nicht in die Kommunalpolitik wechseln zu wollen, wissen die Götter. Ein Denkzettel, dass die Bürger sich mehr blaue Handschrift in der Landesregierung wünschen, ist’s aber allemal. Denn Fakt ist: Auch wenn die Ergebnisse im ländlichen Raum teilweise respektabel waren – in Stuhlfelden dreht man den Gemeinderat um, in Unternberg entriss man der ÖVP den Bürgermeistersessel – blieb die FPÖ weit hinter ihrem Potenzial zurück.
Im Bund liegt die FPÖ in Umfragen bei 30 Prozent, trotzdem stellt sie in Salzburg weiter nur 13 Prozent der Gemeinderäte. Damit ist man formell zwar einer der Gewinner der Kommunalwahlen. Dass man in der einstigen „Corona-Sperrzone“ Kuchl nach 30 Prozent bei der Landtagswahl diesmal nur auf sieben Prozent kam, wirft aber Fragen auf. Ebenso kann der Verzicht auf einen Entschädigungsfonds nach niederösterreichischem Beispiel das Ergebnis nicht vollständig erklären. Auch in der nahen Arbeiterstadt Hallein, wo man vor elf Monaten noch stärkste Kraft war, erreichte man nur 11,6 Prozent.
Ergebnis als Weckruf für Svazek?
Das Ergebnis ist kein Rückenwind für den handzahmen Kurs, den sie mit dem bürgerlichen Charakter des Bundeslandes begründet, wie Michael Scharfmüller in seiner Analyse für Info DIREKT feststellt: „Diese angeblich so bürgerlichen Wähler konnte Svazek trotz leisem Kuschelkurs nicht abholen – Auch der ÖVP gelang dies nicht. Die angeblich so konservativ-bürgerliche Stadtbevölkerung ist entweder der Wahl ferngeblieben oder hat mehrheitlich linke bis offen kommunistische Parteien gewählt.“
Monatelang wurde Svazek medial als Gegenpol zu Kickl aufgebaut. Nach den durchwachsenen Ergebnissen der Salzburger Kommunalwahlen geht sich das Narrativ der „sanften FPÖ als Trumpf“ aber nicht mehr aus. Für Svazek ergibt sich dennoch eine Chance, ihren Kurs zu korrigieren und ihr Profil in der Koalition zu schärfen – zumal die anderen Großparteien keine Anstalten machen, aus ihrer eigenen Wahlklatsche zu lernen. Die ÖVP faselt nämlich irgendwas von den „radikalen Kräften an den Rändern“ – und der SPÖ-Bundesparteichef hält das schlechteste historische Ergebnis in Salzburg-Stadt für „beeindruckend“. Womöglich ist’s also am Ende nur ein Schuss vor den Bug und kein Weltuntergang. Noch nicht.