„Teil der österreichischen Identität“ – Plädoyer für die Neutralität

Die österreichische Neutralität steht oft im Mittelpunkt politischer Debatten – besonders am 26. Oktober. Viele Kritiker sehen in ihr ein Relikt des Kalten Krieges. Ein Großteil der Österreicher will aber weiterhin daran festhalten, so auch der Ökonom und Politikwissenschaftler Bernhard Dohr.

Kommentar von
26.10.2024
/
3 Minuten Lesezeit
„Teil der österreichischen Identität“ – Plädoyer für die Neutralität

Drei von vier Österreichern sind der Meinung, dass die Neutralität weiterhin bestehen bleiben soll.

© Metropolico

Die Neutralität ist Teil der österreichischen Identität. Selten ist sich die öffentliche Meinung so einig. Aktuelle Umfragen bescheinigen der Neutralität rund 75 Prozent an Zustimmung. Drei von vier Österreichern sind somit der Meinung, dass die Neutralität weiterhin bestehen bleiben soll. Damit wäre die Diskussion an sich beendet. Vox Populi, vox Dei!

Neutralität im Zentrum der Debatte

Ungeachtet dieser klaren gesamtgesellschaftlichen Perzeption verbleibt die Neutralität jedoch weiterhin im Zentrum der öffentlichen Debatte. Im Unterschied zur öffentlichen Meinung zeigt sich die veröffentliche Meinung zum einen unbeeindruckt von der Meinung der Österreicher, und zum anderen sehr kritisch über die Sinnhaftigkeit der Neutralität überhaupt. Sie sei ein „Relikt“ aus dem Kalten Krieg, heutzutage alles andere als zeitgemäß und ohnehin von den „Sowjets aufgezwungen“.

Und weiters: Das österreichische Verhalten sei nichts anderes, als das eines sicherheitspolitischen Trittbettfahrers. Wir sind von NATO-Ländern umgeben, die ohnehin unsere Sicherheit gewährleisten. Daher brauchen wir zu einer präsumtiven Verteidigung auch nichts beitragen und schon gar keinem Militärbündnis beitreten. Wo bleibt hier die sicherheitspolitische Solidarität?

Niemand drängt uns zum NATO-Beitritt

Eine Allianz der Sicherheitspolitiker aus der Neigungsgruppe NATO-Beitritt, Neoliberalen und Linken EU-Zentralisten sind sich unisono einig: Österreichs Souveränität wäre weitaus besser in der starken Hand einer globalen Großmacht aufgehoben.

Dabei sind wir in Österreich in einer geopolitisch durchaus privilegierten Position, die diese Überlegungen – egal wie eloquent sie auch vorgetragen werden – tatsächlich obsolet machen. Wir sind umgeben von NATO-Ländern und der Schweiz, wodurch die Souveränität Österreichs in keiner Art und Weise direkt bedroht wird. Das Österreichische Bundesheer kann sich dadurch, trotz jahrelanger chronischer Unterfinanzierung, auf Kernaufgaben – wie den Katastrophenschutz – konzentrieren. Besonders absurd an der Diskussion: Niemand drängt uns tatsächlich zu einem NATO-Beitritt.


Ein Foto zur Bebilderung

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Die Gefahr politischer Verwerfungen

Aufgrund all dieser Gründe liegt die Beweislast für eine Abschaffung der Neutralität auf der Seite ihrer Gegner. Warum sollte man ein bestehendes System verändern, das Österreich in der Vergangenheit gut gedient hat und in naher Zukunft vor schlimmeren geopolitischen Abenteuern bewahren kann?

Wir erleben derzeit eine globale Erosion der bestehenden Ordnung. Die unipolare Weltordnung – getragen von den USA – geht sukzessive zu Ende und wird mittelfristig in eine multipolare Weltordnung transferiert. Dabei sind es genau solche Transformationen der globalen Ordnung, die zu geopolitischen Verwerfungen führen.

Für Großmächte in den Tod

Am Ende werden es Großmächte mit ihren „Verbündeten“ sein, die um ihre globale Vormachtstellung kämpfen müssen. Was sich in der Theorie noch durchaus unaufgeregt und emotionslos liest, bedeutet in der Realität, dass junge Österreicher für die geopolitischen Interessen einer Großmacht sterben werden – nicht für die Verteidigung ihrer Heimat oder ihrer Familie, sondern für die legitimen oder auch illegitimen Interessen einer neuen Weltordnung.

Keine einzige abstrakte akademische sicherheitspolitische Diskussion ist es Wert, dass ein einziger Österreicher in Afghanistan oder Irak stirbt. Und es ist dabei auch vollkommen egal, ob wir dort „den globalen Terror“ bekämpfen oder die „westliche Lebensweise verteidigen“.

Österreich hat drängendere Probleme

Wir stehen in Österreich kurz vor einem demografischen und kulturellen Kollaps. Wir haben wirklich Besseres zu tun, als auch nur ein einziges Menschenleben in Konflikten zu verlieren, die nicht unsere sind. Verteidigen wir doch unsere Lebensweise hier im eigenen Land, bevor wir ohne Notwendigkeit einem globalen Militärbündnis beitreten.

Eine Möglichkeit gäbe es für alle Gegner der Neutralität ja immer noch: Wer die „westliche Lebensweise“ auch außerhalb Österreichs verteidigen will, kann sich jederzeit bei der französischen (oder spanischen) Fremdenlegion einschreiben. Dort steht es dann jedem frei, für die „westlichen Werte“ zu kämpfen und gegebenenfalls zu sterben. Es wird zwar im großen Lauf der Geschichte keinen großen Unterschied machen – würde ein NATO-Beitritt Österreichs natürlich auch nicht – aber es geht ja den Neutralitätsgegnern angeblich ums Prinzip.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor

Bernhard Dohr

Bernhard Dohr ist freiheitlicher Ökonom und Politikwissenschaftler aus Graz.

Stellenausschreibugn - AfD Sachsen

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