Thore Stein (AfD): „Die Partei steht längst nicht mehr am Rande der Gesellschaft“
Die AfD ist im Aufwind. Diese Entwicklung ist auch im Norden Deutschlands spürbar. Im Gespräch mit FREILICH spricht der parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, Thore Stein, über die politische Situation im Land und erklärt, warum sich immer mehr Menschen der AfD zuwenden.
FREILICH: Herr Stein, können Sie zu Beginn kurz die politische Situation in Mecklenburg-Vorpommern skizzieren? Wo steht die AfD? Wie ist sie aufgestellt?
Thore Stein: Die politische Situation in Mecklenburg-Vorpommern ist gegenwärtig sehr spannend. Erstmals ist die seit Jahrzehnten andauernde Dominanz der SPD ernsthaft in Frage gestellt. Seit der für die Sozialdemokraten bemerkenswert erfolgreichen Landtagswahl 2021 geht es für die SPD im Land bergab. Auslöser dafür sind unter anderem die erneute Pleite der MV Werften, die über die Wahl hinausgezögert wurde, die ungeheuerliche Vetternwirtschaft der roten Genossen und der plötzliche Kurswechsel in der Russlandpolitik.
Hinzu kommt natürlich auch die desaströse Politik der Bundesregierung, für die auch die Landes-SPD geradestehen muss. Die AfD wiederum hat hier im Land durchaus aufreibende Jahre hinter sich. Das gehört zu einer ehrlichen Analyse dazu. Wir haben durch endlose interne Streitereien Potenzial verschenkt. Aber mit der Wahl im September 2021 und der Arbeit der neuen, jetzigen Landtagsfraktion ist endlich Ruhe eingekehrt und die Arbeit im Parlament und natürlich auch im politischen Vorfeld wird immer professioneller. Seit Monaten verzeichnen wir auch einen enormen Mitgliederzuwachs, die Partei steht längst nicht mehr am Rande der Gesellschaft, im Gegenteil, wir sind mittlerweile zum Sprachrohr weiter Teile der Bevölkerung geworden.
In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa von Anfang Juli liegt die AfD an der Ostsee mit 29 Prozent an der Spitze, dicht gefolgt von der regierenden SPD mit 27 Prozent. Die Christdemokraten kommen auf 18 Prozent. Ist die AfD in Schwerin auf Erfolgskurs?
Ja, und das liegt nicht nur an der verrückten Politik aus Berlin, sondern ganz maßgeblich auch an der sehr sachlichen und klaren Arbeit der AfD hier im Land. Wir haben viel frischen Wind ins Parlament gebracht und es ist ein deutlicher Aufbruchswillen in der Partei zu spüren. Immer mehr Menschen im Land erkennen, dass die AfD tatsächlich ihre letzte Hoffnung ist, um nicht unter die Räder der gewaltigen Transformation zu geraten. Die Renten hier sind niedrig, die Vermögen gering. Kaum jemand kann es sich leisten, das Weltklima retten zu wollen oder die humanitären Probleme Afrikas und des Nahen Ostens zu lösen. Gerade viele Handwerker und Angestellte wenden sich jetzt verstärkt an uns, weil diese Menschen jeden Tag hart arbeiten und sehen, wie die Reichweite ihres Einkommens immer kleiner wird. Das völlig uneinsichtige Verhalten der Landesregierung in der Bewältigung der Migrationsfrage tut sein Übriges. Statt die Sorgen der Menschen ernst zu nehmen, wird in sozialistischer Manier der Zusammenhalt beschworen und der Kampf gegen Rechts und damit der Kampf gegen den Aufstieg der AfD zur Staatsdoktrin erhoben. Das sorgt hier im Land mittlerweile für Kopfschütteln.
Sie haben sich Anfang der Woche in den Sozialen Medien zu Wort gemeldet: Sie sprachen von einer „Mitte-Rechts-Koalition“ aus AfD und CDU. Doch erst kürzlich hat der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz die sogenannte „Brandmauer nach rechts“ bekräftigt, während der Regierende Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner (CDU), mit Vorschlägen für Aufsehen sorgte, die auch von den Grünen stammen könnten. Auch der CDU-Landesvorsitzende in MV Franz-Robert Liskow betonte im NDR-Sommerinterview einmal mehr die Abgrenzung zur AfD. Ist mit einer solchen CDU eine Koalition möglich?
Nein und ja. In der CDU, gerade hier in Mecklenburg-Vorpommern, gibt es nach wie vor viele wertkonservative und durchaus patriotisch gesinnte Mitglieder. Diese wurden in den vergangenen Jahren systematisch mundtot gemacht, Karrierechancen hatten nur jene Parteimitglieder, die dem neuen Kurs unter Angela Merkel bedingungslos folgten. Das Ergebnis sehen wir jetzt in der Landes- und Fraktionsspitze hier in MV. Das sind Parteikader erster Güte, die mit dem Begriff Vaterlandsliebe wenig anfangen können und sich wohl eher im Geiste der West-CDU sehen, insbesondere was den Umgang mit dem Ukrainekonflikt, den Energie- und Rohstofflieferungen aus Russland und die Bewältigung der Migrationskatastrophe angeht. Und genau das fällt der Landes-CDU derzeit auf die Füße. Man kauft ihr einfach nicht mehr ab, dass sie die Interessen Deutschlands vertritt.
Je desaströser nun aber die Lage für die Landes-CDU wird, desto größer ist die Chance, dass eben jene Kräfte das Ruder übernehmen, die durchaus bereit sind, mit der AfD zusammenzuarbeiten. Das ist sicherlich kein einfaches Unterfangen. Das haben die Reaktionen auf den Bundesvorsitzenden Merz gezeigt, als er eine Zusammenarbeit auf kommunaler Ebene ins Gespräch gebracht hat. Aber diese Entwicklung ist unausweichlich, wenn die CDU nicht im linken Einheitsblock untergehen will. Und wir wissen aus Gesprächen im kleinen Kreis mit CDU-Vertretern, dass es in der Partei durchaus rumort und viele nicht mehr bereit sind, den derzeitigen Kurs der bedingungslosen Abgrenzung nach rechts mitzugehen. Sobald diese Leute das Sagen haben, steht einer Koalition nichts mehr im Wege.
Was müsste sich in der Union auf Bundes- oder auch Landesebene ebene konkret ändern, um für die AfD attraktiv zu werden?
Die Union muss zuallererst ihren strikten „Anti-Rechts-Kurs“ aufgeben. Sie muss aufhören sich dem „woken“ Zeitgeist anzubiedern, der die Zersetzung der gewachsenen Strukturen unserer Gesellschaft zum Ziel hat. Es sind banal klingende und doch so elementare Fragen, bei denen sich die CDU wieder auf ihre wertkonservativen Wurzeln besinnen muss. Wie soll das familienpolitische Leitbild aussehen? Wie viel und vor allem welche Zuwanderung verträgt dieses Land? Wie soll sich Deutschland in den sich abzeichnenden Konflikten einer neuen Weltordnung positionieren? Hier hat sich die CDU seit Jahren mehr und mehr dem linken Establishment angenähert und damit vielfach die Koalitionsfähigkeit mit der AfD verloren. Mit einer CDU, die glaubt, dass es mehr als die biologisch definierten Geschlechter gibt oder dass der Bau tausender Windräder in Mecklenburg-Vorpommern das Weltklima beeinflussen kann, können wir auf Landesebene nicht regieren. Aber ich bin recht optimistisch, dass diese Art von geistiger Umnachtung der Christdemokraten früher oder später einem Erwachen weichen muss.
Warum verweigert sich die CDU trotz ihrer Etikettierung als konservative Partei einer volksnahen, patriotischen Politik?
Die Union war über Jahrzehnte seit Gründung der Bundesrepublik immer die Partei, die das damals noch vorhandene rechtskonservative Wählerpotential an sich binden konnte. Sie war Volkspartei und vereinigte in sich das klassische Bürgertum, die nach dem Krieg sehr starken Vertriebenenverbände, die Katholiken und schließlich auch die ältere Soldatengeneration. Damit war die Partei immer auch in bürgerlich-konservativen Milieus präsent und bildete den politischen Kitt, der diese durchaus unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen zusammenhielt, um ihre Interessen zu formulieren. Von dieser einst wirklich wertkonservativen Ausrichtung ist heute eigentlich nur noch die Werte-Union und eben das „Etikett“ als konservative Partei übrig geblieben.
Mit dem Schwinden der Wählergruppen, insbesondere durch den demographisch bedingten Niedergang der Vertriebenenverbände und der Erlebnisgeneration des Krieges, wandte sich die CDU neuen Wählergruppen zu und suchte diese vor allem in der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Insofern war die CDU schon immer ein opportunistischer Machtapparat. Unter Angela Merkel wurde dieser Kurs schließlich sogar so weit verfolgt, dass die Mitte immer weiter überholt wurde und man durchaus von einer „Sozialdemokratisierung“ der CDU sprechen kann. Viele enttäuschte konservative Wähler fanden dann tatsächlich in der 2013 gegründeten AfD eine neue Heimat.
Politisch muss sich die Union heute also fragen, was sie will beziehungsweise wohin sie will:
1. Weiterhin in Konkurrenz um die Wähler der linken Mitte treten und als Mehrheitsbeschaffer der Grünen und SPD dienen?
2. Oder aktive eigene politische Akzente setzen mit konservativen Ideen und einer Gegenvision zum „woken“ Zeitgeist und somit auch wieder ein Stückweit zurückkehren zu ihren Wurzeln?
Wie ist die CDU in Mecklenburg-Vorpommern positioniert? Wie sieht man dort den Kurs der Berliner CDU und der Bundespartei?
In MV war die CDU zehn Jahre lang in einer Großen Koalition mit der SPD, für die sie lediglich als Mehrheitsbeschaffer fungierte. Die Partei ist von stabilen Ergebnissen über 20 Prozent + X auf magere 13 Prozent in Wahlergebnissen und Umfragen abgestürzt, nicht zuletzt natürlich auch deshalb, weil enttäuschte CDU-Wähler bei der AfD eine neue politische Heimat gefunden haben.
Die SPD setzt derweil gemeinsam mit der Linkspartei ein stramm linksideologisches Transformationsprogramm im Land durch. Die CDU steht dabei als hilfloser Beobachter an der Seitenlinie und tut so, als hätte sie diesen nun in die Endphase getretenen Umbau der Gesellschaft in den vergangenen Jahren nicht billigend in Kauf genommen, nur um an der Macht teilzuhaben. Dass die CDU bis heute nicht begriffen hat, welche Entwicklung sie damit ermöglicht hat, zeigt sich daran, dass ihr Landesvorsitzender Franz Robert Liskow vehement betont, die Ausgrenzungspolitik gegen die AfD fortsetzen zu wollen.
Erste zögerliche Kehrtwenden hin zu einer patriotischen Politik sind jedoch vor allem auf kommunaler und Basisebene erkennbar. Das passt Herrn Liskow sicher nicht, und er hat wohl auch noch nicht die Mehrheit der Parteiführung hinter sich. Aber die CDU-Mitglieder wissen natürlich schon, dass ihre Partei aus dem anhaltenden Umfragetief von 13 Prozent nur schwer wieder herauskommen wird und dass ohne eine Annäherung an die AfD die SPD ihre Vorherrschaft im Nordosten weiter zementieren wird.
2026 wird voraussichtlich ein neuer Landtag gewählt – spekulieren Sie auf eine „Rückbesinnung“ beziehungsweise „Entradikalisierung“ der Christdemokraten in Schwerin, um nach der nächsten Landtagswahl eine Koalition bilden zu können? Welche strategischen Hausaufgaben muss die Landespartei dafür machen?
Der Blick in die Zukunft, noch dazu bei einer fremden Partei, ist natürlich immer sehr gewagt. Aber eines ist sicher: Ohne eine personelle Erneuerung der CDU in Mecklenburg-Vorpommern wird es wirklich schwer, mit den Akteuren, die jetzt am Ruder sind, eine Koalition zu bilden. Diese haben die AfD jahrelang auf schäbigste Art und Weise bekämpft und ihnen war jedes Mittel recht, um die AfD auf ihrem Erfolgskurs zu beschädigen. Wie soll man mit solchen Karrieristen und vaterlandslosen Gesellen verlässliche Politik für dieses Land machen? Wenn es der CDU-Landespartei und damit der Parteibasis ernst ist mit einer Zusammenarbeit mit der AfD, dann müssen unbescholtene Führungskader ins Rennen geschickt werden.
Sie sagen explizit, dass eine Koalition mit der CDU nur unter einem AfD-Ministerpräsidenten denkbar wäre. Das ist nur möglich, wenn die AfD bei einer Wahl besser abschneidet als die CDU. Wollen Sie keinen Spielraum für eine schwarz-blaue Koalition mit der AfD als Juniorpartner lassen?
Aktuell beträgt der Abstand zwischen CDU und AfD elf Prozentpunkte. Bereits bei den Wahlen 2016 und 2021 lag die AfD deutlich vor der CDU. Es ist also nur folgerichtig, auch hier einen klaren Führungsanspruch zu formulieren. Eine Umkehrung der Konstellation sehe ich in den nächsten Jahren überhaupt nicht, so dass sich diese Frage nicht ernsthaft stellt.
Jenseits der Landesgrenzen von Mecklenburg-Vorpommern, zum Beispiel in Sachsen oder Sachsen-Anhalt, sieht es etwas anders aus. Dort liegen AfD und CDU etwa gleichauf und es könnte durchaus zu einer Konstellation mit der AfD als Juniorpartner kommen. Dann wäre die AfD aber nicht nur der unbedeutende Mehrheitsbeschaffer, wie es die FDP oft ist, sondern ein Partner auf Augenhöhe. Und das müsste in den Koalitionsverhandlungen auch deutlich gemacht werden.
Muss sich nicht nur was bei der CDU, sondern möglicherweise auch bei der AfD etwas ändern, um stabile Regierungsmehrheiten finden und bilden zu können?
Die AfD muss sich nun endgültig bewusst werden, dass die Zeit der reinen Oppositionsrolle schneller vorbei sein kann, als wir uns das heute vorstellen können. Dafür muss die Partei unbedingt eine Blaupause in der Schublade haben, wie sie im Falle einer Regierungsbeteiligung agieren kann. Das fängt bei der Bereithaltung von Personalreserven und den dafür notwendigen Schulungen an. Es umfasst aber auch Planspiele, wie in Ministerien gearbeitet werden kann, die einer blauen Führung vermutlich nicht wohlgesonnen sind. Hier kann man zum Beispiel von den Erfahrungen der FPÖ profitieren.
Und sobald sich eine Regierungsbeteiligung in einem Bundesland abzeichnet, muss fähiges Personal aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengezogen werden, um eine höchst effiziente und professionelle Arbeit in der Regierung zu gewährleisten, denn diese eine und erste Regierungsverantwortung wird der Maßstab sein, an dem jeder weitere politische Erfolg oder auch Misserfolg gemessen wird. Militärisch ausgedrückt: Wenn der Durchbruch an einer Stelle gelingen kann, muss man auch das Risiko eingehen, Kräfte von anderen Frontabschnitten abzuziehen, auch auf die Gefahr hin, diese zu entblößen, um an der Stelle des Durchbruchs erfolgreich zu sein. In diesem Fall gilt es aber, den Augenblick zu nutzen und den Sieg zu erringen. Wer hier zögert, kann am Ende alles verlieren.
Zur Person:
Thore Stein wurde 1988 in Ulm geboren und ist parlamentarischer Geschäftsführer der AfD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern sowie Vorstandsmitglied der Desiderius Erasmus Stiftung.