Vom Sterbebett in den Partymodus: Die Linke als Wahlsieger

Der Politikwissenschaftler und Autor Benedikt Kaiser beleuchtet in seiner Analyse für FREILICH den überraschenden Aufschwung der Linkspartei, die aus dem scheinbaren Untergang mit neuen Strategien in den politischen Wettbewerb zurückgekehrt ist.

Benedikt Kaiser
Analyse von
5.3.2025
/
10 Minuten Lesezeit
Vom Sterbebett in den Partymodus: Die Linke als Wahlsieger

Die Linke konnte sich bei der Bundestagswahl über ein unerwartet starkes Ergebnis freuen.

© IMAGO / IPON

Neben der Alternative für Deutschland (AfD), die ihr Bundestagswahlergebnis von 2021 mehr als verdoppeln konnte und 20,8 Prozent erzielte, ist es vor allem die Partei Die Linke, die sich in der Bundesrepublik Deutschland als Wahlsieger feiern lassen kann. Im freiheitlich-patriotischen Spektrum blickt man ratlos auf diese Rückkehr des totgeglaubten Gegners. FREILICH-Autor Autor Benedikt Kaiser, Kenner der linken Milieus wie ihrer inneren Gegensätze, bringt jetzt Klarheit ins Chaos. Er veröffentlicht im Folgenden zehn Notizen zu einer totgeglaubten Partei – und wirft abschließend einen Blick auf die Folgen für die Konkurrenz rund um das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die AfD.

„Mission Silberlocke“ und der „Gebrauchswert“

1. Die Linkspartei lag auf dem Sterbebett, erhob sich und fing an zu tanzen. Alles begann so: Als die souveränistisch-linkspopulistische Strömung um Sahra Wagenknecht nach jahrelangen lähmenden ideologischen und strategischen Richtungsstreitigkeiten im Oktober 2023 mit ihren Getreuen die Linkspartei verließ, wurde die Partei, die vormals SED, später PDS und dann Linke hieß, von Freund und Feind abgeschrieben. Stand sie bei Infratest Dimap vor der Austrittswelle der Wagenknecht-Anhänger bei fünf Prozent, wurde sie unmittelbar danach bei vier und hernach bei drei Prozent gelistet. Im Laufe des Jahres 2024, als es nicht nur die BSW-Gründung, sondern auch weitere Mitgliederaustrittswellen (zum Beispiel von trotzkistisch-internationalistischen Strukturen sowie von „antideutsch“-israelsolidarisch geprägten Berliner Linken) gab, wurde Die Linke dann gar nicht mehr eigens ausgewiesen, sondern verschwand unter den „Sonstigen“ – mit der HEIMAT, der Partei der Humanisten und anderen Kleinstprojekten. Von dort aus, unter den Sonstigen, riefen Gregory Gysi, Dietmar Bartsch und Bodo Ramelow im November 2024 die „Mission Silberlocke“ aus. Gemeint war: Die alten Eisen sollten nochmal glühen – und Die Linke aus dem Tal der Tränen mindestens zu drei Direktmandaten bei den im Herbst 2024 beschlossenen Neuwahlen im Februar 2025 führen. Über die sogenannte Grundmandatsklausel könnte Die Linke dann weiterhin im Bundestag wirken, selbst wenn erwartungsgemäß die Fünfprozenthürde nicht erreicht würde. Es ging folglich darum, das Szenario der Wahl im Jahr 2021 (damals scheiterte man an der Hürde, holte aber drei Direktmandate) zu wiederholen, das Aus im Parlament zu verhindern und über die bewährten Köpfe ein weiteres Mal das mittlerweile immer häufiger diskutierte „Worst Case“-Szenario namens Parteisterben zu stoppen.

2. Die Mission Silberlocke lief insofern verheißungsvoll an, als dass man plötzlich wieder massenmediale Berücksichtigung fand. Vorbei die Zeit, in der Wagenknecht als BSW-Gesicht landauf, landab die Schlagzeilen und die Talkshows dominierte. Plötzlich lieferte man selbst wieder ein Thema, das berichtenswert schien. Insbesondere der jovial-schlagfertige Gysi wurde zum gefragten Gesprächspartner – es ging plötzlich nicht mehr um das nahende Aus der Partei, sondern um ihre gut gelaunten Veteranen und ihre neue Parteispitze rund um den Grenzen-auf-Politiker Jan van Aken und die aufstrebende Ines Schwerdtner, die ursprünglich aus dem intellektuellen „Argument“-Marxismus, das heißt aus der traditionsreichen Politschule des Denkers Wolfgang Fritz Haug, stammt, und anschließend insbesondere bei der belgischen Partei der Arbeit und der österreichischen Kommunistischen Partei (KPÖ) lernte, was es politisch-praktisch heißen kann, täglich „ins Volk zu gehen“ und selbigem nicht dozierend, sondern zuhörend zu begegnen. Der „Gebrauchswert“ der Linken, so Schwerdtner, müsse jedem Wähler klargemacht werden: Mietpreisrechner, Heizkostenabrechnungsprüfungen, Haustürwahlkampf – Die Linke unter Schwerdtner lernt im Ausland und reüssiert im Inland. Das gefällt auch linken Akademikern: Unter dem Slogan „Wissenschaft wählt Linke“ intervenierten die Reste der „Frankfurter Schule“ beziehungsweise der Kritischen Theorie in den Winterwahlkampf und predigten ein „zeitgemäßes Lob des Aktivismus“, wie Jakob Hayner in der Welt formuliert. Die Linke hat einen Lauf.

Neue Mitglieder und Reichinnek als neues Gesicht

3. Wieder im Gespräch zu sein, wieder „stattzufinden“, wieder befragt und interviewt zu werden – das verfing. Von November 2024 bis Januar 2025 gelang es, die Rubrik der „Sonstigen“ zu verlassen und wieder drei, dann vier, dann sogar fünf Prozent bei Infratest Dimap zu erreichen. Das lag auch an weiteren Entwicklungen, die nichts mit Silberlocken, aber viel mit jungen Menschen zu tun hatten. Zum einen spitzten sich längst die Widersprüche in der Grünen Jugend, dem Parteinachwuchs von Bündnis90/Die Grünen, zu. Die wichtigsten Funktionäre verließen die Partei; man unterstützte offen Die Linke (analog dem Modell Österreich, wo der grüne Nachwuchs die eigene Partei zugunsten der KPÖ verließ). Zum anderen verstärkte sich der Post-Wagenknecht-Trend, der in der Mitgliederschaft schon seit Anfang 2024 zu verzeichnen war: Immer mehr junge Linke aus szenigen Subkulturen, antifaschistischen Splittergruppen und diversen Klimaorganisationen strömten gemäß dem Mantra „Jetzt erst recht“ in die Linkspartei und sorgten dafür, dass die kriselnde Partei (noch) weiblicher, linker, grüner und großstädtischer wurde. Es begann ein Hype in den Sozialen Medien, der insbesondere mit der Gruppenchefin der Linken im Bundestag Heidi Reichinnek zu tun hatte.

4. Die 36 Jahre alte Reichinnek hat eine enorme Reichweite bei TikTok (über 500.000 Follower), Instagram und Co. aufgebaut. Anders als prominente linke Vorgänger wie Janine Wissler oder auch Susanne Hennig-Wellsow verbreitet Reichinnek nicht schlechte Laune, Miesmacherei und Politkommissarattitüden. Im Gegenteil: Die tätowierte Tänzerin wirkt lebensbejahend, fröhlich, radikal. Im bürgerlichen Leitorgan FAZ attestiert man ihr, „Leichtigkeit und Lust auf Politik“ zu vermitteln. Dabei blieb die in Merseburg bei Schnellroda geborene Politinfluencerin in der Linkspartei lange erfolglos; 2022 scheiterte sie krachend mit ihrem Anlauf auf die Parteispitze. Als die BSW-Abweichler die Partei verließen, wurde sie aber Co-Chefin der Gruppe im Bundestag und nutzte jede Möglichkeit für ihre virtuelle Vermarktung. Politik bricht sie herunter auf schlagfertige, eingängige und einleuchtende Formeln (Preise runter, Mieten deckeln, Nazis raus) – die Jugend teilt es begeistert, Reichinnek bittet um Parteieintritte. Und die kommen. Im Februar 2025 vermeldet Die Linke die erreichten 100.000 Mitglieder. Mit Jonas Thiel fordert daher ein Partei-Influencer nun verstärkte Bemühungen um „Kaderbildung“, „politische Bildung und strategischen Fokus“, um aus der neuen Quantität auch eine neue Qualität zu machen – man wünschte sich selbiges Grundlagenverständnis auch für die AfD.

Soziale Medien und Linken-Hochburgen

5. Einer der Gründe für diesen rasanten Mitgliederzuwachs – 43.000 Neumitglieder in 12 Monaten – war auch Heidi Reichinneks Rede im Deutschen Bundestag Ende Januar 2025, als sie Friedrich Merz (CDU) für seine vermeintliche AfD-Annäherung die Leviten las. Millionen Klicks allein bei YouTube wurden in wenigen Stunden erreicht – insgesamt sind es längst 30 Millionen verteilt auf die diversen Plattformen. Erstmals gelang es nachdrücklich und nachhaltig, die vieldiskutierte Dominanz der AfD auf alternativen Formaten zu überwinden. Reichinneks Credo dabei: „Auf die Barrikaden!“ gegen rechts. Das zieht in Zeiten der Polarisierung zwischen den Flügelkräften, das zieht in Zeiten der Angst vor dem „Rechtsruck“, das zieht in Zeiten schwächelnder Grüner und desolater Sozialdemokraten. Die Linke manövrierte sich in einen Rausch und landete in Umfragen bei sicheren sechs Prozent. Am Wahltag, dem 23. Februar, sollten es gar 8,77 Prozent werden. (Und am 4. März erreicht Die Linke in einer Forsa-Umfrage längst 12 Prozent – stärker als die Grünen!)

6. Die Linkspartei erreichte dieses Ergebnis dank ihrer Hochburgen, die sie nicht nur hielt, sondern ausbaute. In Berlin war es eine Mischung aus Jugendkult (Social Media Hype, „Town Hall Meetings“, 24/7-Online-Wahlkampf etc.) und klassischem, aber höchst intensivem Haustürwahlkampf. Preise müssen runter, Mieten müssen gedeckelt werden, Nazis müssen raus – der zugespitzte Dreiklang, den man schon von Reichinneks TikTok kannte, wirkte für große Hauptstadtmilieus eingängig und mobilisierend. Hinzu kam, dass eben nicht nur, wie in Punkt 4 angerissen, grüne Jugendfunktionäre zur Linken überliefen, sondern auch Zehntausende grüne Jungwähler – denn „als kompromisslos migrationsfreundlich wurde sie (Die Linke) für irritierte junge Grün-Sympathisanten interessant“, so Daniel Deckers in der FAZ. Neben jungen Wählern – 26 Prozent gemäß Forschungsgruppen Wahlen – strömten auch wahlberechtigte Migranten zur Partei. Die Islamische Zeitung bilanziert: „Die Linkspartei erhielt mit 29 % den größten Zuspruch unter muslimischen Wählern.“ Religiöse Gründe waren dabei weniger ausschlaggebend als die extrem migrationsbefürwortende Agenda der Linken. Im multikulturellen Berlin wurde Die Linke folgerichtig stärkste Kraft. Knapp 20 Prozent – das gab’s noch nie. Neben vier Hauptstadt-Direktmandaten (Neukölln, Treptow-Köpenick, Lichtenberg, Friedrichshain-Kreuzberg) gewann man in Ostdeutschland auch Erfurt-Weimar und einen der beiden Leipziger Wahlkreise. Insgesamt ziehen damit 64 Bundestagsabgeordnete ein – davon 46 Neulinge und jede Menge organisierte Antifaschisten. Es ist dies eine materielle, ideelle und organisatorische Reichweitenexplosion für die bundesdeutsche Linke im Allgemeinen und die Antifa-Szene im Besonderen.

„Tanzbare Inhalte“ und Sympathieverlust beim BSW

7. Ein Antifa-sozialisierter linker Netzwerker und Stratege, Martin Neise, der im Karl-Liebknecht-Haus zuständig für erfolgreiches „Campaigning“, also Wahlkampfstrategie und -planung, zeichnet, teilt im Podcast-Format Jacobin Weekly (ehemalige Chefredakteurin Jacobins: Parteichefin Schwerdtner) vollkommen frank und frei mit, dass man bewusst auf offene Antifa-Slogans wie „Open Borders“ verzichtet habe. Man habe die Inhalte zwar nicht abgestreift, aber damit verbundene, potenziell abschreckende Rhetorik vermieden. Es gehe um eine Radikalität der Linken, die nicht in der Sprache bestehe, sondern in dem, wie es das Leben der Menschen konkret verbessern könne. Auch hier sieht man die kohärente Generallinie unter Schwerdtner wirken: Es geht um den konkreten Gebrauchswert der Partei, nicht um Virtue Signalling und ideologisierte Sprache. Kein Zweifel besteht dabei: Die Inhalte sind dieselben. Man steht für Massenmigration, Deutschlandüberwindung und Klimasozialismus. Doch Schwerdtner, Neise, Reichinnek und Co. gelang es, andere eigene Inhalte (Rente, Miete, Inflation) „tanzbar“ an die Wähler zu bringen – mit guter Laune und gutem Gewissen, glaubhaft, bewusst nah am einzelnen Bürger. Das ist die besondere Qualität der sich so erfolgreich neu erfindenden Linken.

8. Dieser Qualität hatte die Linkspartei-Abspaltung BSW nichts entgegenzusetzen. Es steht ja nicht nur 1:000 (BSW) versus 100.000 Mitglieder (Die Linke), sondern, damit verbunden, auch Top-Down-Partei (BSW) versus Verwurzelung in den „Kiezen“ beziehungsweise Nachbarschaften, in Gewerkschaften, in der Publizistik, in der weitverzweigten linkspluralen Vorfeldlandschaft. Wagenknechts eher „Boomer“-zentrierter TV-Wahlkampf mit sehr wenigen Veranstaltungen in der Breite verpuffte vollends gegenüber der greifbaren Massenstrategie der Linken, die durch eine kluge virtuelle Offensive begleitet wurde. Vor allem in Thüringen verlor das BSW krass an Stimmen, was gewiss kein Zufall ist: Man trat dort Ende 2024 gegen den zu zögerlichen Widerstand Wagenknechts in eine Koalition mit CDU und SPD ein, verband sich also ausgerechnet mit jenen Altparteien, die bei BSW-Wählern neben den Grünen am wenigsten gelitten sind. Die Quittung: Entzug der Sympathie, mehr als 50.000 Stimmen allein in Thüringen im Vergleich zur Landtagswahl im September 2024 verloren, und daraus folgt: 13.000 Stimmen zu wenig für den Bundestag, 4,99 Prozent insgesamt. Die BSW-Spitze wertete aber nicht dieses Treiben der altlinken Katja-Wolf-Gruppe innerhalb ihrer Partei kritisch aus, sondern stürzte sich auf die Demoskopie-Institute, die das BSW systematisch bei drei bis vier Prozent eingruppierten – und damit wohl Wechselwählern die Lust am BSW nahmen, weil die Stimme eine „verschenkte“ sein könne. Die Debatte um eine „demoskopische Demobilisierung“ (Reiner Burger) geht jedenfalls weiter. Das BSW will sich derweil womöglich in Bündnis Sicherheit und Wohlstand umbenennen. Aber ob das nach dem Desaster noch nötig ist oder ob die junge Partei nun implodiert, etwa weil Wagenknecht die Lust an ihrem Projekt verliert, bleibt offen.

Wählerpotenzial im Osten und Kümmerer-Image

9. Die AfD muss beide Entwicklungen – das Comeback der Linken und das nahende Ende des BSW – mit Argusaugen beobachten. Das mögliche Ende des BSW setzt erhebliche Potenziale frei. In den mitteldeutschen Bundesländern gaben fast die Hälfte der BSW-Wähler bei den Landtagswahlen im Herbst 2024 an, ihre bevorzugte Zweitoption – bestünde nicht die Chance, dem BSW die Stimme zu geben – wäre die AfD. Bedenkt man, dass das BSW bei der Landtagswahl knapp 16 Prozent holte, wird deutlich, wie gut die Chancen für die Thüringer AfD sind, ihr 33-Prozent-Ergebnis (Landtagswahl 2024) Richtung 40 Prozent plus (Landtagswahl 2029) zu verschieben. Die Bundestagswahl, bei der die AfD in Thüringen den Spitzenwert von 38,6 Prozent erzielen konnte, gibt einen Vorgeschmack, auf das, was da kommen mag, würde das BSW weiter geschwächt oder gar zerfallen. (Ein anderer BSW-Wählerteil würde wohl zurück zur Linken oder ins Nichtwählermilieu wechseln.)

10. Aber auch die Entwicklung der Linken muss in den Fokus genommen werden. Zwar titelt die FAZ korrekt „Arbeiter wählen AfD“ (30 Prozent der Arbeiter taten es); zwar wird die AfD als Stimme Ostdeutschlands wahrgenommen (24 Prozent sehen es so) – aber Die Linke holt auf und kommt bereits wieder auf 19 Prozent, wenn es darum geht, welcher Partei man zugesteht, die „Interessen der Ostdeutschen“ zu vertreten. Ob Rente, Preissteigerung, Miete, Niedriglohn oder auch Ost-West-Angleichung – die grunderneuerten Linken nehmen zunehmend jene lange ignorierten Themen (wieder) in den Fokus, mit denen sie im Osten, dem ruhigen Stammland der AfD, von dem aus diese überhaupt erst in den Westen ausgreifen kann, massiv punkten können. Und das würde der AfD am stärksten schaden – stärker als jede Demo gegen rechts, stärker als jede Reichinnek-Rede im Bundestag, stärker als jeder Antifa-Angriff auf AfD-Funktionäre und ihr Eigentum. Nicht zuletzt muss damit umgegangen werden, dass Schwerdtner und Co. einen integraleren Hegemonie-Begriff besitzen als viele altbürgerlich sozialisierte AfD-Granden. Ein AfD-Politiker mag glauben, man sei der Hegemon im Osten, weil man dieses Ergebnis zustande gebracht hat und die Linke nur jenes. Aber im praktischen Alltag, also dort, wo Hegemonie in einem umfassenden und vielgestaltigen Sinne ausgehandelt und ausgeübt wird, ist ein Wahlergebnis niemals alles. Sondern es muss auch die greifbare Präsenz, das gelebte Kümmerer-Image, die Verzahnung mit der „Zivilgesellschaft“, Vereinen und Subkulturen etc. ausgebaut und gefestigt werden.

Ein AfD-Mandatar sagte dem Autor dieser Zeilen, was wären schon 60, 70 Linke-Bundestagsabgeordnete gegenüber einem Block aus 150 AfD-Kollegen. Hier liegt mindestens ein Kategorienfehler versteckt. Der wichtigste: Quantität sagt im vielgestaltigen Wechselspiel zwischen Real- und Metapolitik nicht alles aus. Es kann sein, dass 60 Linke, die über weltanschauliches und strategisches Geschick und eine entsprechende politische Sozialisation und ideologische Grundbildung verfügen, mehr für ihre Milieus, die sie tragen, bewegen, als 150 AfD-Abgeordnete für die ihren. Dass es so weit nicht kommen wird, ist die Aufgabe der neuen blauen Bundestagsfraktion. Sie wird mehr Grundsätzlichkeit und weniger Affektpolitik, mehr Weltanschauung und weniger Populismus, mehr sozialpatriotische Substanz und weniger Afuera-Rabulistik wagen müssen. Nur dann kann der nächste folgerichtige Schritt gegangen werden, um ein wahrhaft gesellschaftsveränderndes Projekt darzustellen. In diesem Fall wäre es auch nachrangig, ob Linkspartei und BSW nun ihren Platz auf dem Sterbebett beziehungsweise Tanzparkett getauscht haben.

Über den Autor
Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser

Benedikt Kaiser, geboren 1987, ist Politikwissenschaftler, Lektor und Publizist. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der politischen Theoriearbeit und der praktischen Wissensvermittlung. Zuletzt erschien sein viel beachteter Sammelband Die Konvergenz der Krisen.

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