Kolumne: „Erdogan instrumentalisiert türkischstämmige Nationalspieler bewusst“
Es ist der Aufreger der Woche: Obwohl sie mit dem türkischen Präsidenten posierten, dürfen die türkischstämmigen Spieler Mesut Özil und Ilkay Gündogan voraussichtlich mit zur WM nach Russland. Dies ist wegen des Einflusses von Erdogan auf türkischstämmige Migranten und der Vorbildfunktion von Sportlern problematisch.
Kommentar von Julian Schernthaner
Ich sage es vorab: Ich bin kein Freund von Denk-, Sprech und Versammlungsverboten. Ich habe bei aller Forderung nach notwendiger Integration auch Verständnis für das berechtigte Bedürfnis von Menschen mit Migrationshintergrund, in Berührung mit ihren Wurzeln zu bleiben. Trotzdem haben die Herren Özil und Gündogan mehrere Grenzen überschritten, die Empörung ist keinesweges „scheinheilig“, wie etwa ein Zeit-Kolumnist meint.
Vorbildwirkung von Sportlern
Sportler sind für viele die Helden unserer Zeit, und entsprechend gilt ihr Handeln als vorbildhaft und nachahmenswert – auch für die Jugend. Unbestrittener König des Spektakels ist und bleibt dabei der Fußball. Zweimal 45 Minuten, die das Leben bedeuten. Freundschaften werden beim Fachsimpeln geschmiedet und zerbrochen. Fehlentscheidungen des Schiedsrichters können einen Verein Millionen kosten. Und in keinem anderen Bereich des Sports steht jeder Schritt und Tritt, jede Äußerung eines Athleten, dermaßen unter öffentlicher Beobachtung wie im Spitzenfußball.
Und dann lassen sich zwei türkischstämmige Fußballstars einfach mal mit dem türkischen Machthaber ablichten. Nicht irgendwelche, sondern Spieler der deutschen Nationalelf. Jene Nationalelf, welche es während des Sommermärchens bei der Heim-WM 2006 das erste Mal seit Langem wieder schaffte, den Deutschen einen Hauch von Stolz zu geben. Dieser Moment, als sich deutsche Erasmus-Studenten im Ausland nicht mehr für ihre Herkunft schämten, sondern Heimat auf einen Schlag wieder „sexy“ wurde.
Gündogan-Widmung für „seinen Präsidenten“
Ausgerechnet zwei vermeintliche Musterbeispiele gelungener Integration machen den Feel-Good-Multikulti-Patriotismus rund um „Die Mannschaft“ nun kaputt. Seit Jahren wird sie für Deutungen als ‚Schmelztiegel der Kulturen‘ missbraucht. Als Zeichen, welches den Wunsch nach relativer Homogenität endgültig als ‚rückständige Hetze‘ widerlegt. Denn welch verkappter Rassist müsste man sein, sich nicht an den technischen Rafinessen eines Mesut Özil zu erfreuen!
Ausgerechnet dieser mit Integrationspreisen überhäufte Spieler steht nun im Zentrum der Kontroverse. Sein Kollege Ilkay Gündogan, gemäß einer BZ-Kolumnistin Teil der „raren Spezies der ‚Fußball-Intellektuellen'“, legte dann noch eine Schippe drauf. Er bezeichnet den Despoten jenseits des Bosporus auch noch als „meinen Präsidenten“ und überreichte ihm das signierte Trikot. Angeblich nur als harmloses Zeichen der Wertschätzung der eigenen Wurzeln – in Wahrheit viel mehr.
Erdogans großer Einfluss
Prinzipiell bin ich der Meinung, wer den Präsidenten eines anderen Landes für „seinen Präsidenten“ hält, sollte nicht für dieses Land spielen. Sein Land als Sportler vertreten zu dürfen bedeutet eine große Ehre. Es gebietet gleichsam, von diesem Land jeglichen Schaden abwenden zu wollen und keine anderweitigen Loyalitäten zu pflegen. Dass man diese dann ausgerechnet der erklärten Antipode des europäischen Freiheitsgedankens entgegen bringt, macht es nicht besser.
Problematisch ist das bei Erdogan aber nicht nur wegen seines Regierungsstils, der Tausende an Journalisten, Lehrer und Oppositionelle in Haft befördert. Besonders problematisch ist nämlich der Einfluss, welchen er auf türkischstämmige Muslime in Europa ausübt. Auch die schockierenden Szenen in Wien mit Kindergartenkindern in Weltkriegsszenen spielten sich in AKP-nahen Einrichtungen ab. Und auch wenn präpubertäre Mädchen entgegen jeder Glaubensvorschrift ein Kopftuch tragen müssen ist das ein Einfluss Erdogans – der nun durch den Vorbildcharakter der beiden Spieler für die Jugend legitimiert wird.
Erdogan weiß also ganz genau, was er da tut – es ist keine harmlose Einladung um deutsch-türkische Freundschaft zu feiern. Er instrumentalisiert die türkischstämmigen Nationalspieler bewusst für seine Zwecke. Es ist bewusste Wahlwerbung bei der türkischen Community in Deutschland.
Schwache Reaktion von Bundestrainer Löw
Es folgte eine schwache Reaktion des fachlich unantastbaren Bundestrainers, Joachim „Jogi“ Low“. Nicht etwa, weil es darum geht, Deutschlands stolze Tradition an Rauswürfen aus dem Nationalteam zu verteidigen. Vormals reichte bereits die Bezeichnung des Teamchefs als „unehrlich und link“ oder als „Suppenkasper“ für einen Heimaturlaub und lebenslangen Ausschluss.
Löw hingegen zeigt Verständnis und hofft lediglich, der landesweite Shitstorm sei „ihnen eine Lehre“. Ein schwer verständliches und völlig deplatziertes badisches „Passt scho!“ verglichen mit der ehedem geradezu preußischen Härte von Klinsmann und Beckenbauer gegenüber Wörns und Stein.
Özil soll AKP-Kontakte haben
Dabei handelt es sich im Fall von Özil kaum um einen einmaligen Ausrutscher. Für das deutsche Team zu spielen, entschied er erst nach reiflicher Überlegung im Kreise der Familie – der Onkel und die Mutter wollten, dass er für die Türkei spielt. Später erbat er sich Verständnis für seine Entscheidung, während der Hymne zu Allah zu beten anstatt zu singen.
Seit Längerem soll er gute Kontakte zu AKP-Politikern in der Heimatregion seiner Familie pflegen. Mehr als eine Million Euro soll er dort bereits investiert haben. Dieser Hintergrund alleine rechtfertigt kaum den weichen Klaps auf die Finger bei gleichzeitiger Belohnung mit dem Russland-Ticket. Nicht als einziger frage ich mich, ob das Urteil ebenso milde wäre, wenn ein Spieler nicht mit Erdogan sondern mit der AfD sympathisierte.
Loyalitätsfrage muss geklärt bleiben
Dass es auch anders geht, zeigt Nationalteam-Kollege Emre Can. Auch dieser ist stolz auf seine türkischen Wurzeln – die Loyalitätsfrage stellte sich trotzdem nie. Bereits in Jugendjahren wusste er, dass er für Deutschland auflaufen möchte. Auch er bekam eine Einladung Erdogans – und lehnte dankend ab. Eine Geste von großer Symbolkraft, die wohl nicht nur mir als bekennender Anhänger seines Arbeitgebers, dem FC Liverpool, gefällt. Sie zeigt: Die Rechtfertigungen der beiden anderen sind billige und gefährliche Ausreden.
Da der DFB eine klare Haltung vermissen lässt, sollten die beiden Spieler freiwillig den Hut ziehen. Nur wer sich ohne Wenn und Aber zu seiner neuen Heimat bekennt, sollte diese als Spieler auch vertreten dürfen. Die Menschen erwarten von Personen mit repräsentativer Funktion ein uneingeschränktes Bekenntnis. Man stelle sich den berechtigten Aufstand vor, wenn sich die britische Königin aufgrund ihrer Familiengeschichte eher zu Deutschland hingezogen fühlte. Und selbst das wäre in der gesamtgesellschaftlichen Symbolwirkung weniger verheerend.