Kolumne: „Warum es nicht so toll war, für VICE zu arbeiten“

Es ist ein Knalleffekt im linksliberalen Blätterwald: Auf einen Schlag verliert der österreichische Ableger von VICE seine gesamte Redaktion. Aus Protest vor der Zusammenlegung mit den deutschen und schweizerischen Redaktionen kehren acht Journalisten dem selbsterklärten Lifestyle-Magazin den Rücken.
Julian Schernthaner
Kommentar von
14.8.2018
/
3 Minuten Lesezeit
Kolumne: „Warum es nicht so toll war, für VICE zu arbeiten“

Das bevorstehende Ende der Autonomie in einer kleinen, freundschaftlichen Redaktion bewegte die Belegschaft von VICE Austria, geschlossen das Unternehmen zu verlassen. Symbolbild (Kleine Redaktion): Dennis Imhäuser / Eimsbütteler Nachrichten via Wikimedia Commons [CC BY-SA 4.0] (Bild zugeschnitten)

Es ist ein Knalleffekt im linksliberalen Blätterwald: Auf einen Schlag verliert der österreichische Ableger von VICE seine gesamte Redaktion. Aus Protest vor der Zusammenlegung mit den deutschen und schweizerischen Redaktionen kehren acht Journalisten dem selbsterklärten Lifestyle-Magazin den Rücken.

Kommentar von Julian Schernthaner

Nein, keine Sorge, die Überschrift bedeutet nicht, dass die Schreibergarde rund um die stellvertretende ex-Chefredakteurin Hanna Herbst künftig für Die Tagesstimme schreiben wird. Zumal ich bezweifle, dass sich die Feministin, welche mitunter glaubt, dass Österreich „einfach nicht existieren“ sollte – oder ihre Getreuen – sich mit unserer Blattlinie arrangieren könnte. Aber wir beobachten den Schritt in einer Mischung aus Belustigung, Anerkennung – und Bestätigung einer Vorhersehbarkeit.

VICE: Wurzeln im kanadischen Untergrund

Um die hausgemachte Problematik von VICE zu verstehen, muss man tief in der Vergangenheit des Magazins graben. Das heute vornehmlich für Clickbaiting-Artikel mit fragwürdigem Informationsgehalt bekannte Blatt begann nämlich eigentlich in Kanada als hoffnungsvoller Stern in der Medienlandschaft. Als drei arbeitslose, befreundete Journalisten mit dem werbefinanzierten Magazin ein Fanzine für Subkulturen schufen, betrat man absolutes Neuland.

Einer der damaligen Begründer war niemand geringerer als Gavin McInnes – der mittlerweile als konservativ-libertärer Kommentator einige Bekanntheit erlangt hat. Erst vor wenigen Tagen flog der ‚Godfather of Hipsterdom‘ samt seiner Männerrechtsgruppe „Proud Boys“ aus dem Nachrichtendienst Twitter – Die Tagesstimme berichtete. Nach zwei Jahren kaufte man sich dann aus der Abhängigkeit seines vormaligen Verlegers frei und der heutige Name war geboren.

Die Revolution frisst ihre Kinder

Mittlerweile hat der Beigeschmack des Kapitalismus längst auch VICE eingeholt. Aus dem einstigen Licht des Untergrunds, welches gesellschaftliche Tabus ansprach, wurde ein globales Unternehmen. Mittlerweile unterhält man Büros in 35 Ländern und VICE-Dokumentation laufen auf öffentlich-rechtlichen Sendern. Ein Sinnbild eines Kulturkampfes von unten, bei dem anschließend die Revolution ihre Kinder frisst.

Und nirgendwo war dieser Widerspruch so offensichtlich wie in Österreich. Wenn eine Journalistin wie Hanna Herbst ihre Position als Vize-Chefredakteurin verwendet, um möglichst unterschwellig gegen ‚böse Rechte‘ zu schießen, ist dies keine subkulturelle oder gegenkulturelle Tat mehr. Sie wird damit vielmehr zu einer von hunderten Stimmen der ‚Generation Schneeflöckchen‚, welche sich fest an die eigene mediale und gesellschaftliche Deutungshoheit festklammert.

Schmuddelthemen als Alleinstellungsmerkmal

Damit wird klar: VICE Austria unterschied sich in den vergangenen Jahren in seiner Ausrichtung nicht maßgeblich von jener großer Medienhäuser. Man verkaufte gerade in gesellschaftlichen und politischen Themen die althergebrachte Hegemonie als vermeintliche Kritik von unten. Damit bleib zur Unterscheidung vom Einheitsbrei der heimischen Medienlandschaft als Alleinstellungsmerkmal nur mehr das Groteske. Artikel von VICE Austria hoben sich damit insbesondere durch die Beförderung all jener Subkulturen, welche ohnehin im Zeitgeist mitschwimmen, hervor.

Dank der Verdienste des Blattes und seines Kulturablegers Noisey wissen wir von weltbewegenden Dingen wie den Problemen von Transfrauen beim Dating. Frauen der ‚Generation Tinder‘ durften von ihren verzweifelten Sexerlebnissen in Nachtclubs erzählen. Und wir wissen, welche linken Skandalmusiker ihre Fans vermöbelten. Was als kritisches Magazin begann, erfuhr in Österreich seine Überhöhung als millionenschweres Blatt, dem nur mehr die Schmuddelthemen blieben, um dem Mief des Nischendaseins zu entkommen.

Anspruch und Realität

Umso überraschender also, dass die nunmehr ehemalige Redaktion von VICE Austria tief im Herzen doch Idealisten blieben. In ihrem Facebook-Posting begründet Herbst den solidarischen, geschlossenen Austritt mit dem Abhandenkommen der journalistischen Autonomie. Als Sargnagel gilt – nach einigen ungenannten Einschnitten im Betriebsklima – die geplante Zusammenführung sämtlicher deutschsprachiger Redaktionen durch den Mutterkonzern.

Anonymes Schreibstubenfeeling anstatt freundschaftlicher Atmosphäre in kleiner Redaktion sind – hier hat Herbst absolut Recht – das absolute Gift für jeden unabhängigen und kritischen Journalismus. Allerdings verwundert die ganze Posse nicht. Wer als Teil eines großen Konzerns den linken Mainstream stilistisch und inhaltlich befördert, darf sich nicht über Methoden zur professionellen Qualitätssicherung wundern, welche in Redaktionen aus ebendiesem Feld gang und gäbe sind.

Der Imageschaden ist angerichtet

Abzuwarten bleibt nun, welche Rolle in der heimischen Medienlandschaft sowohl die scheidende Redaktion als auch deren Nachfolger einnehmen werden. Denn als oftmals für Medienpreise vorgeschlagene Akteure mit vortrefflicher Vernetzung dürften Personen wie Herbst oder Bogner keine Probleme haben, irgendwo unterzukommen. Freilich mit der Gefahr, dem Regen zu entkommen und eine Arschbombe in die Traufe zu machen.

Egal, wo die Reise endet: Der VICE-Artikel mit dem Titel „Warum es nicht so toll war, für VICE zu arbeiten“ wird zwar vermutlich ungeschrieben bleiben. Für jeden, für den die jahrelange moralische Überhöhung der ehemaligen Redaktion, einen ‚anderen‘ Journalismus zu pflegen, schon immer leere Worthülsen waren, ist er allerdings längst geschrieben. Am Ende des Tages ist im faktischen Mainstream eben doch mehr Schein als Sein.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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