Nach Wut-Aussendung: Türkis-grüne Zwecksehe vor Zerreißprobe
Bereits länger pfeifen die Spatzen von den Dächern, dass das Klima in der türkis-grünen Regierung schon seit geraumer Zeit angespannt ist. Diese Gerüchte bekamen nun reifen Nährboden, nachdem die Wiener Landesgruppe der Grünen mit einer regelrechten Abrechnung mit dem Koalitionspartner im Bund vorpreschte.
Wien. – Zwar ist man sich sicher, gerade in Hausthemen wie Klimaschutz, Verkehr oder Frauenpolitik eine „grüne Handschrift sichtbar“ gemacht zu haben. Andererseits spießt man sich am Zusammenspiel mit der ÖVP. Man sei sich von Anfang an bewusst gewesen, dass die Koalition mit dieser nicht leicht werde, baute aber auf die Hoffnung vieler Wähler, deren Impulse etwas entgegen zu setzen. Mittlerweile stellt man sich allerdings mehr oder minder offen die Sinnfrage.
Asyl und Migration als ewiger Zankapfel
Wörtlich schreiben die Grünen in ihrer Aussendung: „Dennoch müssen uns nach einem Jahr der Regierungsbeteiligung fragen: Reicht, was wir erreichen? Erfüllen wir unsere eigenen Erwartungen? Enttäuschen oder bestätigen wir die in uns gesetzte Hoffnung?“ Ein ständiger Streitpunkt sind hierbei die jeweiligen Standpunkte in den Themen Asyl und Migration.
In diesem Bereich vereinbarten die beiden Parteien zwar im Koalitionsvertrag, Dissens pflegen zu können. Nach der ablehnenden Haltung der ÖVP zur Aufnahme von Migranten von den griechischen Inseln brachte die Abschiebung zweier in Österreich aufgewachsener Mädchen nach Georgien und nach Armenien das Fass zum Überlaufen. Nun probieren es die Grünen mit der Flucht nach vorne.
Jüngste Abschiebungen: „Klar rote Linien überschritten“
Und es sind scharfe Worte, welche die grüne Hauptstadtpartei in Richtung ÖVP schickt. Diese jüngste Aktion habe „der gesamten Regierung ein unmenschliches Antlitz verpasst“, womit „klar rote Linien überschritten“ worden wären. Die Grünen seien eine Menschenrechtspartei, dies könne man nicht mittragen. Generell ist man dort der Ansicht, dass „Abschiebungen während der Pandemie ausgesetzt bleiben“ sollten.
Es ist aber nicht die einzige Forderung in diesem ständig aktuellen Themenbereich, die dem Koalitionspartner nicht schmecken dürfte. Denn die Grünen-Aussendung plädiert offen eine Reform des heimischen Asylrechts. Weiters möchte sie einen „Rechtsanspruch auf die österreichische Staatsbürger*innenschaft für in Österreich geborene bzw. aufgewachsene Kinder und Jugendliche“. Beide Vorstöße sind mit der um ein Mitte-Rechts-Profil bemühten ÖVP nicht zu machen.
Stolpert Zwecksbündnis über Oppositionsantrag?
Weiteren Zündstoff könnte hier der Umstand liefern, dass SPÖ und NEOS bei der Nationalratssitzung am heutigen Donnerstag einen Antrag zur Rückholung der beiden betroffenen Mädchen einbringen wollen. Dabei verwenden sie die wortgleiche Formulierung wie bei einem Antrag, dem die Grünen auf Landesebene zustimmten. Im Vorfeld dieser Abstimmung stehen also gleichzeitig die türkis-grüne Regierung und die Grünen als Partei vor einer mächtigen Zerreißprobe.
Nicht zuletzt deshalb fragen sich mehrere heimische Medien nach Ablaufdatum der türkis-grünen Zwecksehe im Bund. Der Standard sieht die „Koalition auf der Kippe“, befindet: „Das Thema Abschiebungen droht die Regierung zu sprengen.“ Noch deutlicher die Einschätzung des Wochenblick im Bezug auf die Aussendung: „Normalerweise ist so eine deutliche Ablehnung des Regierungskurses unüblich und ist in der Praxis erst am Vorabend ernster Krisen bekannt.“