SPÖ-Mitgliederbefragung: Umfrage bestätigt offenen Ausgang der Trinität
Die SPÖ sucht aktuell nach einem neuen Parteivorsitz. Am Mittwoch ist der letzte Abstimmungstag der SPÖ-Mitgliederbefragung. Ein Ergebnis soll es nach dem verlängertem Wochenende geben. In seinem Kommentar für FREILICH geht Gert Bachmann auf eine aktuelle Umfrage ein, die einen völlig offenen Ausgang bestätigt.
Der SPÖ-Dreikampf rund um den Parteivorsitz kann nach dem 1. Mai einer Zwischenstandsbegutachtung unterzogen werden. Zwar gilt nach wie vor das Bonmot des einstigen Parteiobmannes der Freiheitlichen, Friedrich Peter: „Funktionärsmeinung ist nicht Wählermeinung“, jedoch lassen sich bei einer entsprechend breit und umfassend durchgeführten Umfrage durchaus Rückschlüsse ziehen.
OGM-Chef Wolfgang Bachmayer ist selbst bekannt für das Bonmot „An Umfragen soll man lediglich schnuppern und nicht inhalieren.“ Um so stärker gilt dies für eine Befragung über eine Abstimmung unter Parteimitgliedern, welche aufgrund des Fehlens entsprechender Möglichkeiten derzeit unter SPÖ-Wählern durchgeführt wird.
FPÖ in Bundestrend vorne
Warum kann diese Form der Demoskopie dennoch zulässige Rückschlüsse zulassen? Erstens ist die Anzahl der SPÖ-Wähler geschrumpft. Dies bedeutet, dass sich „die letzten Mohikaner“, die SPÖ wählen und die das SPÖ Parteibuch tragen, einander immer ähnlicher werden. Also über immer größer werdende sozio-ökonomische Schnittmengen verfügen. Zweitens wurden in diesem Fall die Fragen sowohl an die Gesamtwählerschaft als auch an die SPÖ-Wählerschaft gerichtet. Und die Unterschiede sind ausreichend groß, um den Umkehrschluss zuzulassen, dass SPÖ-Wähler und SPÖ-Parteimitglieder ausreichend ähnlich ticken. Drittens war das Sample, also die Anzahl der befragten Personen, groß genug, um seriöse Überlegungen hinsichtlich kleiner beziehungsweise kleinerer Stichproben zuzulassen. Viertens genießt das Meinungsforschungsinstitut den Ruf von hohen Trefferquoten beim Messen des Pulses der Wählerschaft.
OGM hat im Auftrag des Kurier vom 24. April bis zum 4. Mai 2023 2.289 wahlberechtigte Österreicher befragt. Die Sonntagsfrage bestätigte grosso modo den aktuellen Bundestrend für Nationalratswahlen: ÖVP 23 Prozent, SPÖ 20 Prozent, FPÖ 28 Prozent, Grüne neun Prozent, NEOS neun Prozent, KPÖ sieben Prozent. Die fiktive Kanzlerfrage lässt die im SPÖ-Dreikampf involvierte Pamela Rendi-Wagner (16 Prozent) weit hinter dem Amtsinhaber Karl Nehammer (24 Prozent) sowie den Hauptherausforderer Herbert Kickl (22 Prozent) zum Liegen kommen. Damit steht die SPÖ-Vorsitzende sechs bis acht Punkte hinter den FPÖ- beziehungsweise ÖVP-Obmann. Und vier Punkte hinter dem Parteiwert. Eine „Dramatik“, welche vermutlich im allgemeinen „Gerangel“ untergegangen ist. Kickl liegt in der Kanzlerfrage zwar sechs Punkte hinter dem Parteiwert, jedoch ist dies bei FPÖ-Parteiobmännern ohnehin stets eingepreist. Ebenso wie die vergleichsweise schlechten Vertrauenswerte. Größere Berücksichtigung müsste die geringe Distanz zum Amtsinhaber und der große Abstand zu Rendi-Wagner finden.
Doskozil könnte gewinnen
Das Zusammenschmelzen der Kernwählerschaft könnte eine Parallele beim so genannten „China-Syndrom“ finden.
Folgende Fragen wurden an die Gesamtwählerschaft gestellt:
Ich werde sicher die SPÖ wählen, unabhängig davon wer an der Spitze steht: neun Prozent
Ich werde wahrscheinlich die SPÖ wählen: acht Prozent
Es ist für mich vorstellbar, die SPÖ unter bestimmten Voraussetzungen zu wählen: 22 Prozent
Es ist für mich sehr unwahrscheinlich, die SPÖ zu wählen: 27 Prozent
Ich schließe aus, die SPÖ zu wählen, egal wer an der Spitze steht: 31 Prozent
Spero contra spem. Es gibt immer noch ein theoretisches Potenzial von 22 Prozent für die Sozialdemokraten. Zusätzlich zum mehr oder weniger sicheren Potenzial von 17 Prozent, welche in der Sonntagsfrage auf 20 Prozent hochgerechnet wurden. Schließlich kommt in dieser Umfrage die KPÖ auf sieben Prozent. Und viele aktuell deklarierte FPÖ-Wähler oder Sonstige beziehungsweise Nichtwähler haben früher SPÖ gewählt.
Somit ist der Bogen zu der Frage geschlagen, wie besagtes Potenzial gehoben werden könnte. Und vor allem: Durch wen?
Es kommt darauf an, wem diese Frage gestellt wird. Forscht man unter der Gesamtwählerschaft nach unter welchen Spitzenkandidaten eine Stimme für die SPÖ vorstellbar erscheint, erhält man folgendes Ergebnis: Hans Peter Doskozil: 48 Prozent vorstellbar, 40 Prozent nicht vorstellbar. Pamela Rendi-Wagner: 43 Prozent vorstellbar, 46 Prozent nicht vorstellbar. Andreas Babler: 36 Prozent vorstellbar, 45 Prozent nicht vorstellbar.
Schlechte Chancen für Babler
Nun könnte man meinen, es sei eine rein akademische Übung, die Gesamtwählerschaft abzufragen. Doch lässt sich analog zum „Peterschen“-Grundsatz über die Differenz zwischen Wähler- und Funktionärsmeinung schlussfolgern, dass Doskozil am ehesten zuzutrauen sein wird, das Potenzial, welches über 17 Prozent hinausgeht, anzusprechen. Er ist der einzige Kandidat mit einem positiven Wert in der Gesamtwählerschaft. Am geringsten stehen diesbezüglich die Chancen für Babler. Aber nur auf den ersten Blick. Er könnte ähnlich wie Kickl eine polarisierende Wagenburg-Politik auslösen und vom „Last-Stand-Hill“ aus die KPÖ wieder marginalisieren.
In medias res wird die Frage von deklarierten SPÖ-Wählern so beantwortet:
Hans Peter Doskozil: 57 Prozent vorstellbar, 35 Prozent nicht vorstellbar. Pamela Rendi-Wagner: 79 Prozent vorstellbar, 15 Prozent nicht vorstellbar. Andreas Babler: 51 Prozent vorstellbar, 38 Prozent nicht vorstellbar.
Der gute Wert von Rendi-Wagner unter SPÖ-Wählern sollte nicht überschätzt werden. Schließlich handelt es sich um die Frage nach der Vorstellbarkeit gepaart mit der Ausschließung. Hinzu kommt der Umstand, dass viele der jetzt deklarierten Wähler dann doch SPÖ wählen würden, auch wenn der favorisierte Kandidat nicht als Spitzenkandidat zum Zuge kommt. Die Werte müssen den Umstand berücksichtigen, dass es zahlreiche Überscheidungen beziehungsweise Mehrfachnennungen gibt. Während Doskozil und Babler an den jeweiligen „Polenden“ der Partei nun mal „polarisieren“ und einander „ausschließen“, wohingegen eine Mehrheit von Doskozilanten und Bableristen mit Rendi-Wagner leben kann. Wie die vergangenen Jahre ohnehin.
Mehrheit befürwortet direkte Demokratie zur Vorsitzfindung
Eine Parteiabstimmung erinnert mehr an die Wahlkämpfe der frühen und mittleren Nachkriegszeit, bevor Jörg Haider mit der FPÖ den Wechselwähler „salonfähig“ gemacht hat. Hierbei geht es in erster Linie nicht darum, mit Argumenten zu überzeugen oder den Bekanntheitsgrad zu steigern, sondern die eigenen „Fußindianer“ zu mobilisieren. Das Parteimitglied ist ohnehin ein politischer beziehungsweise politisierter Mensch mit festen Überzeugungen und Anschauungen. Man kennt die Kandidaten und weiß, wofür sie stehen. Überraschende Aussagen sind ebenso wenig zu erwarten wie plötzliche Kurswechsel. Es gilt die „Pappenheimer“ zu erinnern, nicht der Wahlurne fernzubleiben. Daher auch die hohen Wahlbeteiligungen bis zu den Achtzigerjahren.
Im Hinblick auf die Parteiabstimmung beziehungsweise die Mitgliederbefragung als Solches fühlt man sich an Karl Kraus erinnert: „Das Gegenteil von gut ist nicht schlecht, sondern gut gemeint.“
62 Prozent der SPÖ-Wähler befürworten diese Form der Vorsitzfindung per direkter Demokratie. Lediglich 29 Prozent wäre die klassische Form des Parteitages lieber gewesen, wo die Parteimitglieder lediglich indirekt über Bezirks- und Landesparteitage in Form der Nominierung von Delegierten mitwirken. Stellt man hingegen die Frage, ob Management, Organisation und Information gut gemacht wurden, bejahten dies lediglich 20 Prozent. 21 Prozent empfanden die „Partei-Logistik“ als schlecht. Und 50 Prozent entschieden sich für die höfliche Variante: Verbesserungswürdig. Was immerhin Anstrengungen zur Verbesserung als würdig beziehungsweise gerechtfertigt erscheinen lässt.
Unklar erscheint der Pfad von der Abstimmung durch die Mitglieder bis hin zum Parteitag. 50 Prozent votieren für den Kandidaten mit der absoluten Stimmenmehrheit. 33 Prozent würden eine Stichwahl durch die Mitglieder in Kauf nehmen, wenn kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht. Lediglich 14 Prozent möchten in diesem Fall dem Parteitag alleine die Entscheidung überlassen. So oder so wird eine weitere Debatte stattfinden. 51 Prozent halten sich nach dem Grundsatz von Oscar Wilde: „Ich bin durchaus nicht zynisch. Ich habe nur so meine Erfahrungen gemacht.“ Diese rechnen mit weiteren Grabenkämpfen unter den Lagern innerhalb der Partei. Lediglich 35 Prozent üben sich in Zweckoptimismus und gehen von einem Akzeptieren und Stillhalten aus.
Letztendlich ist ein Parteiobmann nicht so stark wie das letzte Parteitagsergebnis, sondern sitzt so fest im Sattel analog zu aktuellen Wahlergebnissen beziehungsweise Umfragen. Sozusagen eine Fortsetzung des „Peterschen“-Grundsatzes. Wie sich die Trinität der Sozialdemokratie letztendlich gestaltet, bliebt ebenso spannend wie offen. Belegt durch besagte Umfrage.
Zur Person:
Gert Bachmann, 42-jähriger Historiker mit Interesse an Geo- und Sicherheitspolitik. Trotz Studiums in Wien hat ihn die Heimatstadt Villach nie losgelassen. Das Herz des dreifachen Vaters und ehemaligen FPÖ-Landesparteisekretärs von Oberösterreich schlägt für ein freiheitliches Österreich und ein vitales, freies Europa der Vaterländer.