Warum Doskozil Babler schlagen musste und vice versa

Am SPÖ-Bundesparteitag in Linz am vergangenen Samstag sind die Stimmen vertauscht worden. Nicht Hans Peter Doskozil, sondern Andreas Babler wurde zum neuen SPÖ-Vorsitzenden gewählt. In seinem Kommentar für FREILICH erklärt Gert Bachmann, warum beide gewinnen mussten.

Kommentar von
11.6.2023
/
4 Minuten Lesezeit
Warum Doskozil Babler schlagen musste und vice versa

Gert Bachmann

„Von Zeit zu Zeit kann man es nicht vermeiden durch den Kakao gezogen zu werden. Aber man sollte es tunlichst unterlassen von diesem auch noch zu trinken.“ Besagte Worte des Satirikers Loriot alias Vicco von Bülow – oder umgekehrt – lassen sich aktuell auf die SPÖ anwenden. Canossagänge und „Mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa“ haben ihre Gültigkeit im Investiturstreit wie der Liturgie der Katholischen Kirche. In der Politik jedoch führt die Demutshaltung zum rascheren Durchbeißen der Kehle. Im Unterschied zu Rangkämpfen im Wolfsrudel. „Homo homini lupus.“ Dies nicht im Sinne eines „advocatus diaboli“, sondern zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts des Schreckens im Sinne der Trinität des politischen Systems der „res publica austriae“.

Was die Analyse der Ereignisse anbelangt, fühlt man sich an Winston Churchill erinnert. Dieser schrieb einen kontrafaktischen historischen Artikel darüber, warum der Süden den Bürgerkrieg gewinnen musste. Nunmehr müssen zahlreiche politische Beobachter ihre Beiträge umschreiben. Von „Warum Doskozil gewinnen musste“ hin zu „Warum Babler gewinnen musste.“

An dieser Stelle soll versucht werden aus der Not eine Tugend zu machen. Daher sollen beide  Fragen beantwortet werden.

„Warum Doskozil gewinnen musste“

Doskozil war bereits eine Marke für sich. Ein Status, den jeder Politiker anstreben sollte. Was aber durch Spin-Doktoren erschwert wird. Entweder wird aus dem „Catch it all“ ein Image für sich. Siehe Angela Merkels Raute. Oder niemand kauft einem die Marke ab. Wie Wilhelm Molterers „Es reicht“.

Inhalte stehen nicht mehr sonderlich im Vordergrund. Man weiß, wofür die Person steht. Im Falle von Doskozil waren es rechte Integrationspolitik und linke Sozialpolitik. Der ideale Querverbinder zu Kickls FPÖ. Immerhin ist dieser das „Master Mind“ der sozialen Heimatpartei. Das Momentum einer Koalition aus ÖVP und Grünen machte eine strategische „Cross-Over-Strategie“ noch wahrscheinlicher. Kickl und Doskozil als Sinowatz und Steger des 21. Jahrhunderts.

Auf Mehrheiten jenseits von ÖVP und FPÖ beziehungsweise FPÖ, BZÖ etc. warten die Österreicher seit 1983. Ähnlich vergeblich wie im absurden Theaterstück „Warten auf Godot“. Gusenbauer sah sich 2002 kurze Zeit an der Spitze einer rot-grünen Koalition, um als Kanzler einer Großen Koalition 2007 angelobt zu werden. Rendi-Wagner sah sich 2022 an der Spitze einer österreichischen Ampel aus SPÖ, Grünen und NEOS. Nunmehr nimmt sie ihren ehrenhaften Abschied aus der Politik.

Zudem hat Doskozil außerordentliches taktisches Geschick bewiesen. Von der Aufnahme des Fehdehandschuhs durch Rendi-Wagner in Form eines Parteitages bis über die erste Mitgliederbefragung, über Vermeidung einer zweiten Befragung hin zum Parteitagsduell zwischen ihm und Babler. Die weiteren Aufgaben zur Erreichung des Endziels einer Re-sozialdemokratisierung der Sozialdemokratie werden eine Fortsetzung des taktischen Geschicks erfordern. Mammutprojekte sind ein langer Weg.

Es erforderte eben dieses taktische Geschick, um ausreichend Stimmen aus dem Lager der Wiener Landesgruppe wie der Gewerkschaft zu holen. Mit den Delegierten aus den Bundesländern alleine hätte er keine Mehrheit erzielen können. Ob mit oder ohne Vorarlberg. Wien und die Superdelegierten von Gewerkschaften, Frauen, BSA etc. stellen die Mehrheit.

Letztendlich haben ausreichend Delegierte den Schluss gezogen, dass mit Doskozil die SPÖ am linken Flügel zwar polarisiert, aber ausreichend Unabhängige und Skeptiker von ÖVP und FPÖ zurückgewinnen kann. Daran konnte auch die emotionale wie mitreißende Rede von Andreas Babler nichts mehr ändern. Obwohl er es dadurch gegenüber dem Pragmatiker mit der sonoren und angeschlagenen Stimme sehr knapp gemacht hat.

Insgesamt wurde von beiden Seiten verbrannte Erde vermieden. Es kam zu einem Handschlag. Ein taktischer Zug, dem noch viele weitere Folgen werden. Schließlich müssen Bundesgeschäftsführer, Nationalratsklubchef und in weiterer Folge der Spitzenkandidat für die Wahl zum Europäischen Parlament gekürt werden. Weder Doskozil noch Babler sind Mitglieder des Nationalrats. Das verstärkt die Bedeutung der entsprechenden Posten.

Wie sich die Sache weiterentwickeln wird? Nun, dies werden die Umfragen der nächsten Wochen bis Monate beantworten. Es wird einige Zeit dauern bis sich der Pulsschlag beruhigt hat und die Ereignisse verarbeitet sind. So gesehen kommt das Sommerloch recht gelegen.

„Warum Babler gewinnen musste“

Sein Name war lediglich den aufmerksamen wie regelmäßigen Sehern beziehungsweise Lesern der Nachrichten bekannt. Dies wird sich bald ändern oder hat sich schon geändert. Andreas Babler war zwar eine Marke sui generis, jedoch mit relativ geringem Bekanntheitsgrad. Der rebellische Linksabweichler mit den guten Wahlergebnissen in seiner Heimatstadt Traiskirchen. Trotz oder wegen des Asyl-Erstaufnahmezentrums Ost.

Besagte Bürgermeisterschaft machte es notwendig nicht nur sozialpolitisch linke Positionen einzunehmen, sondern auch integrationspolitisch. Wo Doskozil auf den Tisch haute und der Rest der Sozialdemokratie einen wankelmütigen Kurs ging, war Babler immer direkt. Asyl und Zuwanderung waren für ihn keine Begriffe gepaart mit den Emotionen der Bedrohung oder des Lohn-Dumpings.

Obwohl Babler gerne auf der Klaviatur der Emotionen spielt. Aber die Emotionen des enttäuschten Linken, welcher über die vielen Kompromisse müde ist und diese Leid hat. Seine Taktik war es eben, keine Taktik zu haben. Immer wieder betonte Babler, dass er keinem Lager zugehörig ist. Verwundungen, Narben, alte Rechnungen und Ressentiments sind Sache der anderen. Jedoch nicht seine.

Sein Siegeszug an die Spitze der österreichischen Sozialdemokratie begann mit der Entscheidung, eine Mitgliederbefragung abzuhalten. Als frischer, unverbrauchter Linker grätschte Babler zwischen den „etablierten“ Herausforderer Doskozil und der „etablierten“ Amtsinhaberin Rendi-Wagner. Mit dem Ergebnis einer Reduktion des Triell zu einem Duell.

Trotz der Niederlage im Poker um die weitere Vorgehensweise, konnte sich Babler als Underdog gegen den Favoriten Doskozil durchsetzen. Bablers Chancen in einer Stichwahl unter den Parteimitgliedern wurde höher eingeschätzt, als bei einer Stichwahl unter Delegierten. Am Vorabend des Showdowns soll es laut Insidern des Doskozil-Lagers bei 60:40 gestanden sein.

War es die emotionale Rede? War es die Müdigkeit über die Kompromisse? Waren es Rachegelüste gegen den Mann, der die Frau aus dem Feld geschlagen hat? War es Raison, um den Mann zu verhindern, der das Establishment herausgefordert hatte?

Am Ende des Tages gewann Babler mit Hilfe von Wien und den Superdelegierten. Für gewöhnlich sind Delegierte an einem Bundesparteitag gegenüber mitreißenden Reden nicht mehr allzu entscheidend beeinflussbar. Somit dürfte es sich um eine Kombination der angeführten Gründe handeln.

Dass der Marxismus-Sager keine negativen Auswirkungen zeitigte, stellt keine große Überraschung dar. Beachtenswerter ist die Absenz von Schäden im Hinblick auf die massive EU-Kritik. Vor allem, da es sich um die nächste Wahl handelt, wo ein Spitzenkandidat für die SPÖ gefunden werden muss. Geht man Richtung Corbyn oder lässt man wieder den Pragmatismus walten.

Auch angesichts der Tatsache, dass 40 Prozent der Grünen laut einer neuen Studie über Anlagebeteiligungen verfügen – sich ihren Einsatz für die Energiewende also vergolden lassen – könnte neben EU-Kritik zu einem Brückenschlag mit dem unterlegenen Doskozil-Lager führen.

Für längere Zeit vom Tisch ist die Chance der Verbreiterung der strategischen Möglichkeiten. Im Gegenteil. Die Verhinderung eben dieser hat zu einer Verminderung der strategischen Möglichkeiten geführt. Die ÖVP hat nach wie vor sämtliche Varianten zur Verfügung. Die FPÖ hat die ÖVP und könnte mit der SPÖ, die sicher nicht will. Die SPÖ hat die ÖVP und die geringe Hoffnung auf eine österreichische Ampel.

Wie sich die Sache weiterentwickeln wird? Nun, dies werden die Umfragen der nächsten Wochen bis Monate beantworten. Es wird einige Zeit dauern, bis sich der Pulsschlag beruhigt hat und die Ereignisse verarbeitet sind. So gesehen kommt das Sommerloch recht gelegen.


Zur Person:

Gert Bachmann, 42-jähriger Historiker mit Interesse an Geo- und Sicherheitspolitik. Trotz Studiums in Wien hat ihn die Heimatstadt Villach nie losgelassen. Das Herz des dreifachen Vaters und ehemaligen FPÖ-Landesparteisekretärs von Oberösterreich schlägt für ein freiheitliches Österreich und ein vitales, freies Europa der Vaterländer.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
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