Omikron: WHO-Europachef hält baldiges Pandemie-Ende für „plausibel“
Angesichts der ansteckenderen, aber in der Regel milderen Omikron-Variante fahren mehrere Länder in Europa derzeit ihre Einschränkungen der Grundrechte zurück. Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt in den Raum, dass die pandemische Lage sich dem Ende zuneigen könnte. Bis zur türkis-grünen Regierung spricht sich das nicht durch: Dort glaubt man an kein rasches Ende und schärft bekanntlich bei den Maßnahmen regelmäßig nach.
Genf/Wien. – Mit seinen jüngsten Einschätzungen ließ Hans Kluge, der WHO-Direktor für Europa, am Sonntag aufhorchen. Gegenüber der Nachrichtenagentur AFP erklärte er im Bezug auf die Corona-Lage auf unserem Kontinent: „Es ist plausibel, dass die Region sich auf eine Endphase der Pandemie zubewegt“. Maßnahmen zur Einschränkung der Ausbreitung des Virus seien derzeit nicht sinnvoll, so seine Einschätzung. Bereits im Vorjahr hatte er eine Situation vorausgesehen, in der es zwar noch ein Virus gibt, die Einschränkungen allerdings jede Restgrundlage verlieren.
Laut WHO-Zentrale bleibt Bedrohung „sehr hoch“
Womöglich handelt es sich auch um einen gewissen WHO-internen Machtkampf. Denn während Kluge zum wiederholten Male einigen Optimismus streut, ist der weltweite WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus vorsichtiger. Erst vor wenigen Wochen mahnte der Äthiopier davor, Omikron als „mild“ einzustufen. Wie vorangegangene Varianten bringe es Menschen ins Spital und sogar ins Grab. Er warnte vor einer „Flutwelle“ an Infektionen, die weltweit Gesundheitssysteme überlaste. Wie das rasche „Durchrauschen“ in Großbritannien oder Südafrika zeigt, war diese Sorge im Westen unbegründet.
Und offiziell rückt die WHO auch nicht von dieser Deutung ab. Erst vor vier Tagen veröffentlichte sie eine Lageeinschätzung, in der sie das Risiko durch Omikron als „insgesamt sehr hoch“ einstufte. In ihrem 28-seitigen „technical brief“ sprach sich die WHO explizit für die „Beibehaltung umfassender, vielschichtiger und gezielter öffentlicher Gesundheits- und Sozialmaßnahmen, um die Verbreitung aller Varianten von SARS-CoV-2“ zu verhindern. Die heimische Regierung dürfte sich also eher an der restriktiveren Empfehlung des Weltchefs anstatt des Europa-Regionaldirektors orientieren.
Trotz besserer Zahlen: Harte Maßnahmen bleiben
Bekanntlich erließ der Nationalrat vergangenen Donnerstag mit 137:33 Stimmen eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren. Neben der FPÖ, die geschlossen gegen das umstrittene Vorhaben stimmte, trauten sich lediglich vier NEOS-Mandatare und ein SPÖ-Abgeordneter, gegen das Gesetz zu stimmen. Eine Grünen-Abgeordnete kündigte im Vorfeld an, der Sitzung fernzubleiben, um nicht gegen ihren Klub stimmen zu können; ein zweiter SPÖ-Mandatar, der als kritisch galt, befand sich in Quarantäne.
Ebenfalls verlängert wurde am selben Tag der bereits seit über zwei Monaten bestehende „Lockdown für Ungeimpfte“. Argumentiert wird dieser mit der angeblich drohenden Überlastung der Spitäler. Nach aktuellem Stand befinden sich allerdings nicht einmal 200 Corona-Patienten auf Intensivstationen (9%) – es wäre im einstigen Stufenplan der Regierung also eher „Stufe 0“ als die aktuelle „Stufe 5“, bei dem Personen ohne 2G-Nachweis aus weiten Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen bleiben.
Nehammer glaubt an kein baldiges Pandemie-Ende
Für Neo-Bundeskanzler Karl Nehammer hat dieses harte Regiment seine Berechtigung. Erst vor wenigen Tagen erklärte er, dass er keinen Grund sehe, dieses Regiment zurückzufahren, begründet dies mit den hohen Infektionszahlen. Der öffentlich-rechtliche ORF zitiert Nehammer zudem mit den Worten: „Wir werden nicht so bald den Status erreichen, dass die Pandemie überwunden ist“.
In einem profil-Interview verteidigte er zudem die Einführung der Impfpflicht, diese bringe seiner Ansicht nach „die Freiheit“ zurück. Nahezu im selben Atemzug ließ er durchklingen, dass auch diese nicht bei drei Pflichtstichen bleiben könnte. Im Hinblick auf die Wirkung, sagte er: „Es hieß zwei Stiche reichen, dann drei Stiche, jetzt gehen wir von ständigen Auffrischungen aus“.
Angstkulisse auf fehlerhaften Bildern aufgebaut?
Für wenig mediales Aufsehen sorgte bislang eine weitere Passage im Interview, in denen der frühere Innenminister das harte Vorgehen bereits zu Beginn der Pandemie verteidigte. Vielen Bürgern ist sein „Flex“-Sager in unangenehmer Erinnerung. Nun begründete er: „Wir in der Politik hatten einen Informationsvorsprung, weil wir die Bilder aus Bergamo mit den gestapelten Leichensäcken kannten. Wir mussten damals das Gefahrenbewusstsein erhöhen – auch durch Sprache.“
Damit gibt der Kanzler unumwunden zu, dass man auf eine Angststimmung in der Bevölkerung setzte. Außerdem fällt dem kritischen Geist auf, dass er hierbei die zentrale Rolle der Bergamo-Bilder ins Feld führt. Denn ausgerechnet ein besonders oft in sozialen Medien geteiltes Bild mit aufgereihten Särgen stammte nicht aus Bergamo, sondern von einem Schiffsunglück vor Lampedusa im Jahr 2013. Dennoch verbreitete sich die Behauptung, es handle sich um Corona-Tote, wie ein Lauffeuer.