Regt der Ukrainekrieg US-Rivalen zu einem Strategiewechsel im globalen Systemwettbewerb an?

Die bilateralen Beziehungen der US-Rivalen sind von akuten gegenseitigen Interessen geprägt, während Russland, China und der Iran in Sicherheitsfragen jeweils in eigenen Filterblasen stecken. Diese Konstellation ermöglicht es dem kollektiven Westen, seine Machtbasis global weiter zu sichern, wie Seyed Alireza Mousavi in seinem Kommentar für FREILICH erklärt.

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Regt der Ukrainekrieg US-Rivalen zu einem Strategiewechsel im globalen Systemwettbewerb an?

Die ukrainische Offensive im russischen Kursk ist ein Schlag für den russischen Geheimdienst.

© IMAGO / ZUMA Press Wire

Die Lage im Ukrainekrieg ist in den vergangenen Tagen weiter eskaliert, nachdem die Truppen der Ukraine in die russische Region Kursk einmarschiert sind. Bis zu einem Drittel der gesamten Region steht derzeit unter Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte. Die ukrainische Offensive im russischen Kursk ist ein Schlag für den russischen Geheimdienst und der Kreml wirkt mittlerweile überrumpelt. Der russische Auslandsgeheimdienst beschuldigt nun westliche Unterstützer der Ukraine, den Vorstoß über die Grenze ausgeheckt zu haben. Der ukrainische Überraschungsangriff auf die russische Region gilt als die größte Invasion Russlands seit dem Zweiten Weltkrieg. Die gegenwärtige Gemengelage scheint die russische Führung bereits zum Umdenken bei der neuen Bewertung der Militäroperation in der Ukraine und der Weltpolitik angeregt zu haben. Bereits vor der Kursk-Invasion drohte der russische Präsident auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg als Reaktion auf die westlichen Lieferungen reichweitenstarker Raketen mitsamt der Erlaubnis für Kiew, diese gegen Ziele auf russischem Gebiet einzusetzen, öffentlich mit neuen Gegenmaßnahmen – und zwar der Bewaffnung der US-Rivalen auf internationaler Ebene.

Der kollektive Westen nutzt angesichts seines globalen Machtanspruchs die aktuellen Brennpunkte der Weltpolitik, wie Gaza und die Ukraine, zu einer kalkulierten Kraftprobe mit den US-Rivalen weltweit und bewertet die Bruchstellen in der internationalen Politik im Rahmen eines einheitlichen Konzepts. Solange der Kreml den Ukrainekrieg abgekoppelt von weiteren Konflikten in der Welt betrachtet und seine Geländegewinne auf dem Schlachtfeld in der Ukraine zu einem „Erfolg“ verklärt, hat er von daher keinerlei Chance, sich gegen die USA zu behaupten. Washington ist es gelungen, Moskau in die Ukraine-Falle zu locken. Russlands Fokus und dessen Ressourcen sind derzeit in der Ukraine massiv gebunden. Dies hat es dem traditionellen Hegemon USA ermöglicht, Russland in Europa einzudämmen und sich zugleich auf weitere Brennpunkte in der Welt zu konzentrieren.

Russland scheint nun zum Ziel zu haben, sich in regionale Konflikte – vor allem in Nahost – im Zuge des Gaza-Krieges einzumischen und US-Rivalen auszurüsten. Russland kann nämlich dann einen Erfolg in der Ukraine verbuchen, wenn es der Großmacht USA auf anderen Schauplätzen der Weltpolitik Schaden zufügen und sie von der Ukraine ablenken könnten.

Bewaffnung der US-Rivalen in Nahost?

Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges erwägt Moskau vor allem, eine neue Front gegen den Westen durch die Waffenlieferung an die sogenannte „Achse des Widerstandes“ im Nahen Osten zu eröffnen, sollte sich der Ukrainekrieg in die Länge ziehen.

Die strategisch wichtige Meerenge im Südjemen ist seit dem Gaza-Krieg im Fadenkreuz der Huthi. Seit Monaten werden Handelsschiffe im Roten Meer von der Huthi-Bewegung im Jemen angegriffen. Der von den USA geführte Feldzug gegen die Huthi-Angriffe hat sich laut US-Beamten mittlerweile zur intensivsten Seeschlacht entwickelt, mit der die US-Marine seit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert war. Im Jemen soll der russische Präsident Putin erwogen haben, die Huthi mit Schiffsabwehrraketen auszustatten. Russland könnte mit der Lieferung der Hyperschall-Antischiffsraketen an die Huthi im Nahostkonflikt zündeln und die USA von der Unterstützung der Ukraine ablenken. Russland kann mit der Bewaffnung der Huthi die Lieferketten erheblich beeinträchtigen und westliche Ressourcen im Roten Meer binden, ohne selbst direkt die Finger im Spiel zu haben. Putin soll laut US-Medien seine Pläne für die Bewaffnung der Huthi derzeit hinausgezögert haben. Grund sei, dass die USA und Saudi-Arabien im Hintergrund „heftige Bemühungen“ unternahmen, um die russischen Waffenlieferungen an die Huthi zu verhindern.

Vor dem Hintergrund des Gaza-Krieges liefert sich die Hisbollah im Libanon seit Monaten im Norden Israels mit der israelischen Armee (IDF) schwere Gefechte, während Israel schrittweise die Angriffe ins Landesinnere des Nachbarlandes ausweitet. Laut einem Bericht des Wall Street Journal hat Russland zum Ziel, die libanesische Hisbollah mit dem russischen Luftabwehrsystem auszustatten. Israel ist der Außenposten der USA im Nahen Osten und garantiert die Vormacht der US-Amerikaner in der Region. Insofern trägt die Ausrüstung der Hisbollah zur Bekämpfung des US-Einflusses in der Region bei. Die Frage bleibt aber, inwieweit der Kreml bereit ist, seine Beziehungen zu Tel Aviv durch die Unterstützung der Hisbollah aufs Spiel zu setzen. Dabei scheint Moskau noch unentschieden zu sein.

Die fortgesetzten militärischen Operationen Israels gegen die Hamas haben die militärischen Fähigkeiten der palästinensischen Miliz mittlerweile geschwächt, während Israel sich derzeit auf einen möglichen Krieg gegen den weiteren Stellvertreter Irans, die Hisbollah, einstellt. Diese Entwicklungen bedeuten nichts anderes, als dass der Einfluss des Iran in der Region auf unabsehbare Zeit zu schwinden droht. Vor diesem Hintergrund vermuten viele Beobachter, dass die gegenwärtige Lage den Iran dazu bringen könnte, Atomwaffen als letztes Abschreckungsmittel zu entwickeln. Derzeit gibt es keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass Russland einen atomar bewaffneten Iran gutheißen würde. Ein Kurswechsel des Kremls ist jedoch nicht völlig ausgeschlossen. Russland sieht seine Beziehungen zum atomaren Schwellenstaat Iran als seinen wichtigen Hebel gegen den Westen, denn ein atomarer Iran könnte erheblich die Machtverhältnisse in der Region zuungunsten der USA verändern und ein atomares Wettrüsten zwischen dem Iran und den US-Verbündeten, den Golfstaaten, auslösen. Allerdings sind die Beziehungen zwischen dem Iran und Russland durch historisches Misstrauen getrübt, das zu überwinden ist. In Moskau glaubt man, dass Teheran einen Balanceakt zwischen dem Osten und Westen in seiner Außenpolitik bevorzugt.

Kollektiver Westen hat in der Weltpolitik die Oberhand

Der Westen stützt sich seit über mehr als sieben Jahrzehnten auf eine von gemeinsamen Werten und Verpflichtungen getragene Partnerschaft, die die internationale Nachkriegsordnung geprägt hat. Deutschland ist auch ein integrierter Teil des kollektiven Westens und hat aus diesem Grund kaum Spielraum, um in den internationalen Fragen im Alleingang zu agieren.

Im Gegensatz zur westlichen Welt haben aber die US-Rivalen bislang keine kollektive Sicherheitsarchitektur entwickelt. Diese Konstellation hat den USA immer die Möglichkeit verliehen, die Feinde des „Wertewestens“ gegeneinander auszuspielen und damit die eigene Machtbasis zu zementieren.

Während die US-Amerikaner in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen, führen sie insgeheim mit den Iranern in Oman Gespräche, um zu verhindern, dass Teheran den Konflikt im Nahen Osten anheizt. Die USA wollen derzeit nicht in einen weiteren Krieg involviert werden. Der Iran liefert zwar Waffen an Russland, teilt aber nicht das Narrativ der Russen in diesem Krieg und plädiert wie der Westen für die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine. Mit der Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik versuchen die USA erstmal, den Iran in die Schranken zu weisen. Das bedeutet allerdings nicht, dass der Westen per se gegen einen heißen Krieg gegen den Iran ist. Hier geht es darum, den Konflikt zu managen und nicht in einen Zwei- oder Dreifrontenkrieg verwickelt zu werden.

Was den Pazifik betrifft, versuchen die USA, China mit dem Sanktionsmechanismus mehr oder weniger auf Linie zu bringen. Denn die chinesische Führung will es sich nicht mit dem Westen dermaßen verderben, dass sie sich massiven US-Sanktionen und Strafzöllen auf ihre Produkte aussetzt. Nordkorea und Russland haben kürzlich ein strategisches Abkommen geschlossen, das die Verpflichtung für gegenseitige militärische Hilfe für den Kriegsfall enthält. China betrachtet aber die militärische Unterstützung Russlands nur als einen Hebel gegen die USA, um dem Westen Zugeständnisse bei manchen geopolitischen Fragen abzuringen. Insofern ist es derzeit unvorstellbar, dass die Waffengeschäfte zwischen China und Russland sich zu einer gegenseitigen Beistandsverpflichtung im Kriegsfall ausweiten.

Die bilateralen Beziehungen der US-Rivalen sind eher von akuten gegenseitigen Interessen als von einem langfristigen strategischen Fahrplan geprägt, wobei Russland, China und der Iran bei Sicherheitsfragen jeweils in eigenen Filterblasen stecken. Russland will die „Nazis“ in der Ukraine bekämpfen, China hat Angst vor einem Wirtschaftskrieg und der Iran betrachtet Israel als existenzielle Gefahr für den Nahen Osten. Die US-Rivalen im Osten konnten bisher kein kollektives Sicherheitskonzept über ihre Echokammer hinaus entwickeln. Das liegt nicht nur am Unwillen der aufsteigenden Mächte, sondern auch am Unvermögen der US-Rivalen auf der internationalen Ebene. Es führt aber kein Weg an der Entwicklung eines alternativen und kollektiven Sicherheitskonzepts vorbei, um dem Wertewesten effizient entgegenzutreten. Und der Westen wird alles daran setzten, um die Integration von Sicherheitssystemen seiner Rivalen zu verhindern, indem er eine hybride Kriegsführung gegen die Feinde des Westens weiterhin mittels nachrichtendienstlicher Operationen und Medienarbeit führt, – ein Bereich, in dem der Westen am längeren Hebel sitzt.

 

Über den Autor

Seyed Alireza Mousavi

Dr. Seyed Alireza Mousavi ist promovierter Politikwissenschaftler, Carl-Schmitt-Exeget und freier Journalist, spezialisiert auf Geopolitik und lebt in Berlin.

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