Das Aufbegehren der Lifestyle-Linken
Der Politikwissenschaftler Thomas Nowotny hat auf Sarah Wagenknechts Polemik gegen die „Lifestyle-Linken“ repliziert. Also jener Spitzenkandidatin, unter der die deutsche Linkspartei noch passable Wahlerfolge vor allem in den neuen deutschen Bundesländern vorzuweisen hatte. „Die Linke“ steht heute vor einer ähnlichen Zerreißprobe wie fast alle sozialistischen Parteien in Europa – und anstatt von der Schwäche der SPD zu profitieren, fließt auch sie in Richtung patriotischer Rechte, namentlich AfD, aus.
Gastkommentar von Istros Veblen
Nowotnys Replik erfolgte im Blog der Sektion Acht, den selbsternannten jungen Wilden der postmodernen Sozialdemokratie, also genau jene Generation an Sozialdemokraten, deren Rezepte selbst unter linksaffinen Studenten bei der ÖH-Wahl lediglich Gewinne zeitigt je niedriger die Wahlbeteiligung ist.
Wenig überraschend sieht Nowotny im eher wohlhabenden, bürgerlichen akademischen Spektrum, dem er selbst als Politikwissenschaftler und Diplomat angehört, keinen Widerspruch zu den arbeitenden Menschen. Was in derartigen Essays zur Sozialdemokratie dabei selten fehlen darf, ist das Argument von den verschlagenen „Rechtspopulisten“, die die unteren Mittelschichten subtil einwickeln, um sie gegen ihre eigenen Interessen wählen zu lassen. Während diejenigen, die Bäckermeister und Handwerker, Bauarbeiter und Lagerlogistiker nur noch aus Pixie-Heften und Bob, dem Baumeister, kennt selbstverständlich dazu berufen sind, auf dem planwirtschaftlichen Reißbrett eine Wirtschaftsordnung zu entwerfen, die uns allesamt aus dem Jammertal der asozialen Marktwirtschaft, dem klimazerstörenden Kapitalismus und der Diktatur des obersten Prozents führen würde.
Gemäß Nowotnys Wortlaut nutzten die Rechten das Misstrauen und den Hass der Unterschicht auf die Eliten aus, die den von ihnen nicht gewollten Wandel vorantrieben und davon profitierten, obwohl diese doch eher Linksparteien aufgrund all der schönen Transferleistungen bevorzugen sollten. Zunächst kann man Herr Nowotny beruhigen: die „Unterschicht“, und hier vor allem Migranten und deren Nachfahren, wählt nämlich in weiten Teilen gar nicht. Selbst wenn die Sozialdemokratie ihr noch so gütig die Staatsbürgerschaft ermöglicht. Und je jünger, umso höher, bei unter Dreißigjährigen in sozialschwachen Bezirken liegt sie bei etwa einem Drittel.
Wer in Österreich aufmerksam durch Migrantenbezirke wie Gries oder Simmering schlendert, würde bemerken, dass die meisten dort auch relativ wenig Interesse an Lastenrädern und Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Näherinnen in Bangladesch haben, sondern gerne BMW fahren und ihren sozialen Status aus teuren IPhones und Markenkleidung ziehen. Funfact: Die meisten Neuankömmlinge am Mittelmeer kommen ausschließlich deswegen.
Arbeit bei Pierer, Zwangsabgaben für Genderkurse bei Pam
Doch viel wichtiger, macht Herr Nowotny genau das, was man im akademischen Spektrum ständig macht: Man stellt hart arbeitenden Menschen, die gerade so über die Runden kommen, als lebensunfähige Leute dar, die ohne die Charity der linksliberalen Blase ohne Strukturen völlig verwahrlosen würde. Und selbstverständlich in ihrer fehlenden universitären Ausbildung ließen sie sich auch noch von Kapitalisten wie Trump in den USA und Berlusconi in Italien verführen.
Doch nichts ist weiter weg von der Wahrheit. Hinter der Wahlentscheidung für solche superreichen Kapitalisten steckt nicht verblendeter, irrationaler Hass, sondern durchaus eine subtilere Logik. Denn was bietet Trump in seinen Hotels und Golfplätzen: Arbeit für Rezeptionistinnen und Maurer, Gärtner und Zimmermädchen, Hausmeister und Masseurinnen. Ein Name, der im österreichischen Kontext gerne genannt wird, ist Reinhard Pierer. Dessen Einfluss auf die Politik muss einem nicht gefallen. Bei realistischer Betrachtung muss man jedoch anerkennen, dass seine KTM-Fabrik im ländlichen Innviertel 4.200 Mitarbeitern Arbeit und Auskommen bietet, vom Maschinenschlosser, Kraftfahrer bis hin zum Produktionsmitarbeiter.
Es mag sein, dass es nicht zu Privatschulen, regelmäßigen Restaurantbesuchen und exotischen Fernreisen reicht, wie man das im linksliberalen Spektrum schon als Jugendlicher und Student gewohnt ist, aber immerhin zu einem selbstbestimmten Leben in den eigenen vier Wänden. Entsprechend skurril ist es, wenn also von linker Seite genau jenen Industriellen vorgeworfen wird, von der Ausbeutung der unteren Mittelschicht zu profitieren, wie Nowotny dies macht.
Ganz im Gegenteil, führt man sich die meisten Biographien, wie die Nowotnys, zu Gemüte, führen diese zumeist vom steuerzahlerfinanzierten Studium in gutdotierte Posten bei technokratischen EU-Institutionen, öffentlich geförderten Forschungs- und Medienprojekten oder zwangsfinanzierten Arbeitnehmerinstitutionen, durch eine leidliche Wahlbeteiligung legitimiert. Von dieser Warte aus betrachtet mutet die ständig wiederkehrende Behauptung fast unverschämt an, wenn man wie Nowotny schreibt, die untere Mittelschicht wäre Profiteure von Transferzahlungen linker Parteien. Viel eher treibt das eherne Gesetz der Oligarchie linker Parteien die Wähler weg von der Sozialdemokratie, anstatt „Rechtspopulisten“ mit sinistren Absichten sie anziehen. Entsprechend verwundert es auch nicht, dass solcherart protegierten Wohlstandskinder das Gefühl des Zusammenhalts fremd ist, wenn man sich als kleiner Arbeiter zusammen mit dem Chef Tag für Tag auf einem immer härteren Weltmarkt bewähren muss.
Die Auflösung der Mittelschicht durch linksliberale Sozialpolitik
Gerne präsentiert man sich in diesem Spektrum als die Schutzmacht jener kleinen Arbeiter, doch die gebotenen Konzepte erschöpfen sich meistens in einem vagen Klassenkampf der unteren 99 gegen das oberste Prozent, mit ungewissem Ausgang. Wie absurd dieser Gedanke ist, wird dadurch deutlich, dass die meisten dieser Meinungsergüsse schon daran scheitern, das oberste Prozent überhaupt korrekt zu identifizieren. Meist fallen dann Namen wie Didi Mateschitz oder Jeff Bezos. An die Chefsekretärin bei SAP im baden-württembergischen Walldorf würde dabei wohl kaum einer denken. Das österreichische Äquivalent zu SAP wäre wohl die AVL, jene Grazer Firma, die landesweit die meisten Patente anmeldet. Aus eigener Anschauung kann der Autor dieses Textes bestätigen, dass deren studierte Ingenieure aus aller Herren Länder besonders weltoffene, linke Wähler sind.
Doch besonders bunt wird es, wenn man sich die Untiefen der aufkeimenden Sozialindustrie ansieht, die mit ständigen neuen Boni für jene bereitstehen, die nicht arbeiten. So können sich jene nicht nur über kostenlose Masken von unserem Gesundheitsminister während der Corona-Pandemie freuen, sondern auch über ein Schulstarterpaket. Man ist nicht nur vom Rundfunkbeitrag befreit, sondern die Klimaministerin erlässt auch die Ökostrompauschale. Jeder der marginal über dieser Grenze verdient, fällt um alle diese Boni um, muss sie sogar querfinanzieren und hat so noch weniger netto. In den USA wird diese Kluft bereits jährlich mit 13.000 USD beziffert. Umgekehrt lohnt sich aufgrund steigender Bruttolöhne die Erhaltung von wenig gewinnbringenden Arbeitsplätzen für Unternehmen kaum noch – sprich, der Arbeitgeber ersetzt seine Putzfrau durch einen Saugroboter. Die gute Nachricht für die nun arbeitslose Putzfrau: Sie ist jetzt anspruchsberechtigt für all die oben genannten Sozialleistungen und hat wohl netto mehr in der Tasche. Und Erwerbsarbeit ist ohnehin nur neoliberales Teufelszeug, sagt die Arbeiterpartei.
Eine Ablehnung, die auf Gegenseitigkeit beruht?
Die Lifestyle-Linke rätselt nun herum, warum jene Leute der unteren Mittelschicht nicht vor Dankbarkeit zerfließen, und sie kaum sympathischer hält als die Seitenblicke-Bussi-Bussi-Gesellschaft. Tatsächlich ist es ihre gut gemeinte Politik, die Euro für Euro die arbeitende Mittelschicht erodieren lässt, aus der die Sozialdemokratie ursprünglich hervorging. Das Endresultat dieser schleichenden Entwicklung lässt sich in den demokratischen Bundesstaaten der USA inzwischen in zahllosen Publikationen nachlesen. Trotz aller akademischer Bildung, die sich in linken und sozialistischen Parteien inzwischen akkumuliert, scheint es ein Ding der Unmöglichkeit, diese Rationalität nachzuvollziehen. Es ist ausgerechnet moderne linke Politik, die Arbeiter und Großindustrielle ironischerweise zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißt, und in ihrer – bourgeoisen Überheblichkeit (sic!) – übersieht die Lifestyle-Linke selbst, dass sich nicht mal ihr neu entdecktes Lumpenproletariat mit Migrationshintergrund dafür interessiert. So läuft auch Nowotnys Argument ins Leere, wenn er meint, der Graben aus Misstrauen und Hass, der sich durch die Sozialdemokratie in der ganzen westlichen Welt zieht, beruhte auf Gegenseitigkeit, denn die Lifestyle-Linke hat ihn sich mit ihrer Ignoranz und ihren Taten über die Jahrzehnte redlich verdient.