Dieselurteil: Fahrverbot löst keine gesellschaftlichen Probleme

Das aufsehenerregende Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgericht sorgt derzeit für reichlich Diskussionsstoff. Unter bestimmten Voraussetzungen soll es schadstoffbelasteten Städten möglich sein, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge einzuführen. Dabei schneidet die Debatte eigentlich zugrundeliegende sozialen Fragen nicht einmal ansatzweise an. 
Julian Schernthaner
Kommentar von
28.2.2018
/
3 Minuten Lesezeit
Dieselurteil: Fahrverbot löst keine gesellschaftlichen Probleme

Symbolbild: Pixabay [CC0]

Das aufsehenerregende Urteil des deutschen Bundesverwaltungsgericht sorgt derzeit für reichlich Diskussionsstoff. Unter bestimmten Voraussetzungen soll es schadstoffbelasteten Städten möglich sein, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge einzuführen. Dabei schneidet die Debatte eigentlich zugrundeliegende sozialen Fragen nicht einmal ansatzweise an. 

Kommentar von Julian Schernthaner

Als natur- und heimatbewusster Mensch ist mir eigentlich jeder ehrlich gemeinte Umweltschutz heilig. In unserem Haushalt legen wir großen Wert auf Nachhaltigkeit und Regionalität. Wir kaufen Gemüse, Fleisch und Käse beim Bauernmarkt im Ort und versuchen, weitestgehend auf Plastik zu verzichten. Notwendige Fahrten tätigen wir mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder bilden Fahrgemeinschaften. Und trotzdem schießt das Diesel-Urteil auch meiner Ansicht nach aus mehreren Gründen am Ziel vorbei.

Wechselspiel nach Angebot und Nachfrage

Dass Dieselfahrzeugen nicht unbedingt den ökologischen Fußabdruck einer Pferdekutsche besitzen, weiß man nicht erst seit gestern. Seit über 30 Jahre wird regelmäßig vor den heizölbetriebenen „Drecksschleudern“ gewarnt – und triebt damit in regelmäßigen Abständen den Absatz neuer Fahrzeuge mit Benzinantrieb voran. Einige Jahre später hat man dann das Rad neu erfunden – und verkauft mit dem Hinweis auf eine neue Technik wieder „saubere“ Diesel-PKWs. Ganz egal ob Oxidationskatalysator, Direkteinspritzung oder Euro-6-Norm: der Diesel erlebt immer wieder seinen x-ten Frühling.

Kein Verbot für neuere Dieselfahrzeuge

Apropos Euro-6: Alle neuen Dieselfahrzeuge seit September 2015, sowie viele ab Baujahr 2010, erfüllen diese Norm und sind deshalb von den künftigen Fahrverboten gar nicht betroffen. Der Focus publizierte schon vergangenen Juni eine ‚Positiv-Liste‘. Freilich: Wer keinen Oldtimer mit H-Kennzeichen oder Neuwagen besitzt, wird seinen gebrauchten Diesel entweder wegen der fallenden Nachfrage billig verhökern oder schadstoffreich verschrotten lassen. Die laut Artikel 71,8% an „veralteten“ Dieselfahrzeugen in Deutschland sind dann nämlich zum Berufspendelverkehr untauglich. Betroffene kaufen dann schnell ein neues Auto – zur Freude der angeschlagenen Industrie und der Kreditinstitute.

Die Wahl fällt dann oft auf den teuren Neuwagen – also einen x-beliebigen Benziner oder einen breiten, schweren SUV. Den braucht kein Stadtbewohner wirklich für seine Alltagswege – vielen Autofirmen betrieben aber intensives Marketing. Wegen besserer Verbrauchsbilanz bauen sie dort gerne Dieselantriebe mit Euro-6-Norm ein. Doppeltes Gefühl, das Richtige zu tun, stellt sich mit den unheimlich umweltverträglichen Schadstoffwerten ein. Dank bester Lobbyarbeit gilt als Richtwert für die Effizienzklasse der Ausstoß nach Gewichtsklasse. Somit gilt – salopp gesagt – offiziell so mancher Panzer als umweltfreundlicher als ein Fiat 500.

Bequemlichkeit der Menschen schafft Problematik

Oft hört man das Argument, ein einziges Kreuzfahrtschiff hätte den tausendfachen Dieselverbrauch eines handelsüblichen Familienwagens. Das ist zwar richtig, ein Wettlauf um den höchsten Schadstoffausstoß ist trotzdem umweltpolitisch unseriös. Der einzig richtige und wirkungsvolle Ansatz führt nämlich über das Verhalten des Konsumenten. Oder wie es die kritische Tiroler Dialektrock-Band Bluatschink bereits 1994 thematisierte: „Zrugg zur Natur, aber ja it z’Fuaß, damit ma sich it ostrenga muaß!“

Im Extremfall haben manche Menschen dann für den Dorftratsch einen Zweit- und Drittwagen in der Hofeinfahrt stehen. Am Morgen fahren dann Vater, Mutter, erwachsenes Kind alle mit dem eigenen Fahrzeug in dieselbe Richtung. Gemeinsam stehen sie im Stau, regen sich am Abendtisch solidarisch über die gestiegenen Spritpreise auf. Am Wochenende folgen getrennte Spritztouren auf Wegen, die mitunter fußläufig oder leicht mit dem Bus zu erreichen wären. Und weil Konsequenz das Um und Auf im Leben ist: Vor fünf Stunden intensiver Pistengaudi am prachtvollen Kunstschneeband sind 200 Meter Fußweg von der Haltestelle halt einfach unzumutbar.

PKW-Auslastung auf niedrigem Niveau

Dabei wäre es so einfach, all diese Probleme zu lösen. Einem Artikel des Schweizer Tagesanzeigers zufolge lag die durchschnittliche Belegung eines Pendlerautos 2013 bei nur 1,1 Personen je PKW. Im anderen Bereichen sind die Zahlen etwas höher, gemäß Erhebung durch das deutsche Forschungs- und Informationssystem je nach Fahrtweg zwischen 1,2 und 1,9 Insassen. Allerdings belegte es auch einen Rückgang der ohnehin schon niedrigen durchschnittlichen Auslastung seit 1990.  Zur Erinnerung: die meisten dieser Kraftfahrzeuge haben ein Fassungsvermögen von 4-5 Personen – und alle kennen Großvaters Geschichten von der abenteuerlichen Italienfahrt zu fünft im engen Puch 500.

Fahrgemeinschaften reduzieren Verkehr und Schadstoffe

Ich habe Verständnis, es gibt kein höheres Gut als die persönliche Freiheit und das eigene Fahrzeug bietet dieses Gefühl der Unabhängigkeit in hohem Maße. Auch ich tagträume manchmal von Sommerfahrten über verwinkelte Landstraßen mit einem (leider nicht eigenen) alten E30. Aber angenommen, von elf Personen in zehn Autos bilden nur drei weitere Leute eine Fahrgemeinschaft mit einem Bekannten mit demselben Wohn- und Arbeitsort. Der Berufsverkehr wäre auf einen Schlag um 30% geringer. Ein knappes Drittel weniger Verkehr bedeutet ein Drittel weniger Stau, ein Drittel schnellere Parkplatzsuche und auch ein Drittel weniger Schadstoffe.

Wir hätten damit auch keine Diskussion über einschneidende Verbote verschiedener Autoklassen und mögliche Auswirkungen auf jene, die mangels öffentlicher Verbindungen oder im Außendienst tatsächlich darauf angewiesen sind. Und auch die Debatten um den teuren Rohstoff wären für die Fahrgemeinschaften hinfällig – eine aus zwei Haushaltsbudgets berappte Tankladung schafft beiden mehr Platz im Geldbeutel. Der Autofahrer wird aufgrund der vielen Abgaben und Nebenkosten oft als „Melkkuh der Nation“ bezeichnet. Aber manchmal merkt er nicht, dass er sich in Wahrheit selbst melkt.

 

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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