FREILICH-Studie: Corona-Protest – Szene in Bewegung
Das FREILICH-Magazin und die TAGESSTIMME haben die Corona-Proteste beobachtet, begleitet und aus verschiedenen Perspektiven in einer FREILICH Studie analysiert. Die TAGESSTIMME bringt einen Auszug.
Erfolgreiche Protestbewegungen durchlaufen mehrere Stadien – im Hinblick sowohl auf Professionalisierung als auch Erreichung ihrer Ziele. Dies ist zwingend nötig, um jene Stärke einer gewaltfreien Opposition zu erreichen, bei der das herrschende System gezwungen ist, sie als potenten politischen Akteur wahrzunehmen.
An jenem Punkt bleiben dem System nach der Theorie des US-Politologen Gene Sharp (1928–2018) nur vier Möglichkeiten: Anpassung, Entgegenkommen, Zwang oder Auflösung. Hier unterschied der Experte zwei Phasen: zuerst die Dispersionsphase, in der das Potenzial des Protestes auszuloten ist und kleinere Aktionen und Angriffe gegen gewisse Symptome des Systems gesetzt werden – und die Konzentrationsphase, in der auf das Endziel hingearbeitet wird. Bei den „Farbrevolutionen“ in diversen Ländern waren Platzbesetzungen der finale Akt, der das System zu einer dieser vier Reaktionen zwang.
Am Weg zur Mega-Demo?
Optimisten sahen im widerständigen Zusammenschluss Zehntausender Demonstranten, die trotz Verboten und einer rigorosen Kesseltaktik letztendlich am „Tag der Freiheit“ am 31. Jänner stundenlang durch Wien spazierten und eine gewisse Zeit lang die Macht des Volkes erkannten, ein solches Fanal des Aufbruches. Da gewisse Schein-Lockerungen der Maßnahmen allerdings bereits beschlossene Sache waren, ohne die generelle Lage zu entschärfen, kam die Regierung diesem Impuls zuvor und schaffte ein Patt zwischen den Mächtigen und den Protesten. Obwohl die Protestler neuerlich in eine „Dispersionsphase“ gezwungen wurden, wähnten sie sich bereits in einer „Konzentrationsphase“. Es sollte eine „Mega-Demo“ folgen, darauf eine europaweite Demo, und zuletzt eine weltweite Demo. Dies verkannte die Realität der bestehenden Pattsituation, womöglich auch infolge des zuvor bestehenden Momentums, das immer bedeutendere Akteure an sich binden konnte.
Denn innerhalb knapp eines Jahres wuchs eine höchst heterogene Widerstandsbewegung gegen die Corona-Maßnahmen heran. Den Anfang machten einigermaßen dilettantische Demos noch im ersten Lockdown, die nur von wenigen Hundert Menschen besucht wurden. Etwas stärker war dieses Potenzial zu diesem Zeitpunkt im bundesdeutschen Raum: Die „Querdenken“-Demos zuerst in Stuttgart, später in Berlin zogen Zehntausende Menschen an, die aus allen Gruppen der Bevölkerung stammten. Man profitierte davon, dass sich bekannte Ex-Widerständler aus Zeiten der friedlichen Wende 1989 und einzelne politische Vertreter anschlossen. Teile der Alternative für Deutschland als größter Oppositionspartei stellten sich vollinhaltlich hinter die Proteste, sprachen teilweise auf den Kundgebungen.
Die beiden großen Demos am 1. und 29. August in Berlin fanden aber zu Zeitpunkten statt, als Einschränkungen des Lebens vergleichsweise zu marginal waren, um eine Massenbewegung zu schaffen. Das verfrühte Setzen auf eine „Konzentrationsphase“ kulminierte in chaotischen Szenen vor dem Bundestag, die von regierungstreuen Medien zum „Sturm“ auf selbigen hochgeschrieben wurden. Durch mangelnde Eskalation der Maßnahmen war es leicht, die Proteste niederzuschreiben. Erst, als im November der juristische Rahmen nachgeschärft wurde, kam es wieder zu großen Protesten. In der heißen Phase der verschärften Maßnahmen war der deutsche Protest allerdings abgeebbt und hatte kaum Rückhalt im Volk.
Anders in Österreich, wo die Proteste in die heiße Phase des Reduzierens von Grund- und Freiheitsrechten fielen. Als Resultat genießen die Demos ein viel größeres Verständnis beim Volk, einer Umfrage aus dem März zufolge kann mehr als ein Drittel der Menschen sie nachvollziehen.
Protest und Gegenöffentlichkeit
Gleichzeitig erlaubte die lange Vorlaufphase eine breite Professionalisierung, die auch von der Gesamtheit der Gegenöffentlichkeit mitgetragen wurde. Während in Deutschland hauptsächlich das „COMPACT“-Magazin die Proteste begleitete, fanden die Akteure in Österreich in diversen patriotischen Medien wie „Tagesstimme“, „Wochenblick“ oder „Unzensuriert“ – und mit „ServusTV“ sogar bei einem reichweitenstarken Fernsehsender – breite Rezeption. Dass sich hierzulande Mediziner, Anwälte, Lehrer und auch Unternehmer aus fachlicher Warte äußern konnten, brachte Vertrauen in diesen Widerstand. Die FPÖ solidarisierte sich erst zu jenem Zeitpunkt mit den Protesten, als der Unmut über die Maßnahmen breit wurde – und nicht, wie die AfD, „zu früh“. Damit ergeben sich für die Partei eher auch politische Mitnahmewerte abseits des allgemeinen Mobilisierungspotenzials der Proteste.
Die Rezeption renommierter Kritiker ist somit auch eine andere: Sucharit Bhakdi wurde zwar hüben wie drüben „aus dem Nichts“ zum Bestsellerautor – während in Deutschland der Hype längst wieder abebbte, beschäftigt sich die Öffentlichkeit in Österreich auch Monate danach noch mit seiner Expertise. Während Konstantina Rösch als Ex-Spitalsärztin zu einer Galionsfigur des Widerstandes wurde, konnten Bodo Schiffmann oder Wolfgang Wodarg trotz ursprünglich guter Verankerung im Mainstream leichter als „Schwurbler“ abgekanzelt werden. Während in Österreich nicht einmal der ORF mehr an der Befragung von Gerold Beneder von den „Anwälten für Aufklärung – Rechtsanwälte für Grundrechte“ als Gegenstimme innerhalb eines negativ geframten „Report“-Beitrages vorbeikam, finden die kritischen Rechtsmeinungen in Deutschland kaum öffentlichen Widerhall, obwohl auch dort Klagen immer wieder Maßnahmen zu Fall bringen.
In Österreich hingegen können Gegenöffentlichkeit und fundierte Experten brauchbare Kampagnen fahren, wie dies mehr als 30.000 Stellungnahmen zur Novelle zum COVID-Maßnahmengesetz und zum Epidemiegesetz im März 2021 zeigten. Eine solche Aktion kann auch von herkömmlichen Medien nicht mehr totgeschwiegen werden – und auch die Handelnden sind gezwungen, Anpassungen vorzunehmen, um nicht ihr Gesicht zu verlieren, auch wenn diese im erwähnten Fall nur geringfügiger Natur waren und gleichzeitige neue Verschärfungen mit sich brachten.
Menschen in der Protestbewegung
Die großen Gesichter des „Corona-Widerstandes“ in der Alpenrepublik kommen aus allen Lebenswegen. Auffällig ist, dass auch Unternehmer sich nicht scheuen, Gesicht zu zeigen. Mit dem Wiener Alexander Ehrlich und dem Tiroler Andreas Thurner erreichten zwei Selbstständige aus der Reise- und Transportbranche eine regionale bzw. überregionale Bekanntheit. Die Linzerin Edith Brötzner als Gründerin der Initiative „Österreich ist frei“ fand als Inhaberin einer Werbeagentur anfangs auch über die Bedenken kleiner und mittelständischer Betriebe zu den Protesten. Aber auch in systemtragenden Berufen treten einige aus dem Schatten, etwa die Polizistin Birgit Pühringer oder der Lehrer Klemens Rangger, deren Geschichten Abertausende Menschen aufrüttelten. Andere, wie Martin Kaser oder Romana Palmetshofer, die Anmelderin der Wien-Demo am 31. Jänner, fanden vor allem aufgrund ihrer Kinder dazu, sich zu engagieren. Teils mit Nachhall: Rangger brachte die Verfassungsklage gegen die Maßnahmen in Schulen ein; Kaser wurde zu einem der Initiatoren des Volksbegehrens für den Rücktritt der Bundesregierung.
Ebenso breit gestreut und aus der Mitte des Volkes sind unzählige Bürger, die erstmals auf regierungskritische Demos gehen. Dort sind alle Alters- und Berufsgruppen vertreten. Auffällig ist, dass sich neue Gesichter gerade aus diesem Potenzial speisen, während einige Akteure aus der ersten Avantgarde der Corona-Proteste dort keine Hausmacht mehr genießen. Ein umstrittener Abtreibungsarzt war bei den ersten Protesten ebenso federführend wie eine Aktivistin, die nach einigen Alleingängen und Aktionen mit fragwürdiger Optik auch bewegungsinterne Kritik auf sich zog. Beide sind heute weitgehend aus der Geltung gefallen gefallen. Es ist also eine gewisse Selbsthygiene der Protestbewegung erkennbar.
Aus dieser frühen Riege übrig geblieben sind vor allem zwei Gesichter: zum einen Anwalt Roman Schiessler, der im April 2020 eine Verfassungsklage gegen das COVID-Maßnahmengesetz sowie mehrere Verordnungen einlegte und teilweise auch Recht bekam, zum anderen der ehemalige Kärntner Landtagsabgeordnete Martin Rutter (zuerst Grüne, später Team Kärnten, dann BZÖ). Dieser wurde infolge seiner federführenden Beteiligung bei der Organisation maßnahmenkritischer Demos in ganz Österreich zu einer breiten Identifikationsfigur. Er gilt inzwischen als so bedeutsam, dass die Polizei oft Bagatellen zum Anlass nimmt, um ihn im Umfeld von Kundgebungen in Gewahrsam zu nehmen.
Für Identifikation beim Bürger sorgen auch Fälle und Schicksale, die dem „erwünschten“ Narrativ von der vermeintlichen Verwerflichkeit der Proteste besonders deutlich entgegenstehen. So emotionalisierte die Festnahme eines 82-Jährigen in Innsbruck ebenso wie der Umstand, dass ein Pfarrer im Zillertal nach einem impfkritischen Beitrag in einem Blog von den Kirchenoberen zurückgepfiffen wurde. Bei prominenteren Kritikern reagieren die Behörden mit beispielloser Repression: So wurde Rösch ebenso wie ihrem steirischen Arztkollegen Peer Eifler die Approbation entzogen. Letzterer musste sogar eine Razzia in seiner Praxis und eine Sperre seiner Konten über sich ergehen lassen, nachdem er im großen Stil Atteste zur Befreiung von der Maskenpflicht ausgestellt hatte. Auch Lehrer Rangger wurde vom Dienst suspendiert, Polizistin Pühringer wurde medial durch den Schmutz gezogen.
Dieser mediale Schmutzkübel betrifft auch die Proteste in ihrer Gesamtheit, wie bei der schwer haltbaren Geschichte des „Sturmes auf das Versicherungsgebäude“. Das Selfie einer im Sinne der „schwarzen Wahrheit“ aktionistisch vorgehenden Gruppe vor dem „Mahnmal gegen Krieg und Faschismus“ mündete in medialer Diffamierung. Dennoch blieben die Betroffenen aktiv.
Repression und endlose Spaziergänge
Trotz der großen Demonstrationen ist die Repression eine Nagelprobe für die Protestbewegung. Solange eine Bewegung im Aufwind, ihr Kernthema anschlussfähig ist, kann sie von Heterogenität profitieren. Wird sie aber irgendwann nur mehr zum Selbstzweck, droht die Gefahr, dass sich die Demozüge „zu Tode spazieren“, wie dies im Fall der Dresdener PEGIDA-Proteste mangels klarer strategischer Ziele zu beobachten war. Diese fanden ab 2014 fast jeden Montag statt, nach Jahren gingen aber zumeist nur mehr wenige Tausend Menschen auf die Straße – am Höhepunkt waren es fast 50.000.
Entsprechend ist es nötig, dass die Proteste trotz aller personellen Professionalisierung und der Verbreiterung ihrer Teilnehmerriegen Aktualität und Ziel behalten. Zur Gefahr hierfür könnten die – von der Regierung an ihre Freiheitsversprechen gekoppelte – Impffrage sowie eine mögliche Verschärfung der Pandemielage werden.
Beides könnte die Stimmung im Volk wieder zugunsten härterer Regeln und der Regierung kippen lassen – oder die Proteste weiter nähren. Sowohl der zivilgesellschaftliche Protest als auch jener auf der Straße ist darauf angewiesen, dass „Kurz muss weg“ nicht zur beliebigen Parole wird, sondern als ein notwendiges Endziel in der „Konzentrationsphase“ aufrechtbleibt. Die vorliegende Studie soll auch ein Leitfaden sein, um mithilfe einer Standortbestimmung die Möglichkeiten von Erfolg und Scheitern der Corona-Widerstandsbewegung nachzuzeichnen.