Internet-Drama: Wenn zwei sich streiten, hat der Woke Recht
Im digitalen Äther entwickelt sich gerade ein Drama, das möglicherweise juristische Konsequenzen haben wird. Die Streamerin Shurjoka greift ihren Kollegen Scurrows an. Der Vorwurf: Belästigung, unter anderem auch sexueller Art.
Ein Nachmittag in Deutschland – und viel Ärger. Die Twitch-Streamerin Shurjoka (25), die mit bürgerlichem Namen Pia Scholz heißt und aus Graz stammt, warf vor einigen Tagen dem anderen Streamer Scurrows, der eigentlich Theo Bottländer heißt und aus Siegen in Nordrhein-Westfalen stammt, in ihrem Falle Belästigung sowie unangenehmes Verhalten vor. Dies soll im Jahr 2017 geschehen sein. Beide machten sich einen Namen auf der Streaming-Plattform Twitch, die zu Amazon gehört. Dort kann jeder seinen eigenen Livestream starten. Viele nutzen das, um Videospiele zu spielen. Sie filmen sich dabei und streamen es auf Twitch, andere zeigen sich bei sportlichen Aktivitäten oder beim Pokern – das Repertoire auf Twitch ist unendlich. Shurjoka streamt vor allem Gaming-Content, während Scurrows für seine Casino-Streams bekannt ist. Letzterer ist mittlerweile zu einer Konkurrenz-Plattform von Twitch gewechselt.
Streamer sind im wahrsten Sinne des Wortes digitale Stars. Die größten Akteure wie Montanablack88 (fünf Millionen) oder Trymacs (drei Millionen) haben eine riesige, vor allem junge Fangemeinden, die ihre Idole täglich auf Twitch verfolgen. Mittlerweile sind die genannten Twitch-Stars Multimillionäre, die zum Teil kleine Unternehmen mit mehreren Mitarbeitern führen. Es ist ein Erfolgsmodell und ein kleiner Kosmos mit eigenen Begriffen und Verhaltensregeln. Politik war bisher eher ein kleines Thema und hat die Twitch-Szene wenig beschäftigt. Doch die Streamerin Shurjoka wird von ihren rund 233.000 Followern als „Trans-Ally“ und Woke bezeichnet. Sie ist eine der wenigen Ausnahmen und sorgte vor einigen Tagen mit einem Video für viel Aufregung im Twitch-Kosmos.
Woke gegen Rechte oder: Gut gegen Böse?
In aller Kürze: Es gebe Vorwürfe der (sexuellen) Belästigung gegen den Casino-Streamer, erklärte Shurjoka in einem Stream. Diese beziehen sich auf die Gamescom der vergangenen Jahre bis 2017. Scurrows soll Frauen, darunter auch Shurjoka selbst, belästigt und dabei mit Absicht in die Dekolletees der Frauen gefilmt haben. Der Beschuldigte Scurrows konnte dies jedoch mit einem Video vorläufig als weitgehend falsch beweisen. Darauf ist eine Szene zu sehen, die Shurjoka in ihren Anschuldigungen schildert, ohne dass Scurrows für den Betrachter erkennbar aktiv in den Ausschnitt der zu sehenden Frauen gefilmt oder sich unsittlich verhalten hätte. Dass die Kamera von oben filmte, lag vor allem daran, dass der Streamer die Videoaufnahmen mit einem sogenannten Selfie-Stick machte.
Und nun? Shurjoka hält an den Vorwürfen fest und erzählt von weiteren Vorfällen, die passiert sein sollen. Ihre Fans unterstützen sie dabei. Der Punkt: Shurjoka gilt wie besprochen als „woke“ und „trans-ally“, während der Beschuldigte angeblich „rechts“ und „transfeindlich“ sein soll – diese Vorwürfe wurden jedoch nicht weiter untermauert und ausgeführt. Die junge Frau wurde für ihren Einsatz für marginalisierte Gruppen und sogenannte „Transmenschen“ sogar als Spielerin des Jahres ausgezeichnet, sie gendert und gilt als Wortführer der woken Gaming-Bubble. Sie selbst hält sich seit Tagen bedeckt, nachdem sie sich nochmal mit einem kurzem Statement zu Wort meldete, während das Internet und vor allem ihre Fans diskutieren. Mehr als 10.000 Tweets gab es zu diesem Thema: Es interessiert die junge Generation.
Ein Gericht wird wohl entscheiden müssen
Ihre Unterstützer und Freunde versuchen derweil, Punkte für ihr Vorbild zu sammeln. So berichtet eine Streamer-Kollegin, dass es Shurjoka zwar nicht gut gehe, sie aber eine starke Person sei. Man könne froh sein, dass sich Scurrows mit seinen Mobbingaktionen eine so starke Frau ausgesucht habe. Dann wird es noch absurder: Scurrows, der die vorhin genannten Anschuldigungen von Shurjoka nicht im Raum stehen lassen und sie mit dem Video als falsch beweisen wollte, leitete zusätzlich rechtliche Schritte ein, um das Thema auch juristisch klären zu können. Dies nahm das Shurjoka-Lager nun zum Vorwand, Scurrows zu unterstellen, er wolle die ihm nicht genehmen Streamer in den Tod treiben. Zumindest meint das die angesprochene Kollegin freiraumreh, die sich auf Twitter selbst als „postmoderne woke Feministin“ bezeichnet.
Das Internet selbst hat sich jedoch relativ eindeutig positioniert. So haben sich große Streamer wie der bereits erwähnte Montanablack88 oder KuchenTV eher für Scurrows ausgesprochen und Shurjoka zum Teil heftig kritisiert – ohne jedoch nicht auch skeptische Worte gegenüber Scurrows zu verlieren. Ein Video, in dem die oben erwähnten angeblichen Pläne von Scurrows laut dem Shurjoka-Lager skizziert werden, hat mehr als eine Million Aufrufe und 4.800 „Likes“. Viele Kommentatoren sprechen sich darin für Scurrow aus. So schrieb der User SinansWoche: „Weil du rechtliche Schritte einleitest, unterstellt sie dir, du würdest Streamer in den Tod treiben? WTF? Wir sprengen jeden Tag auf's neue die Absurditätsskala“. Es zeigt sich: So einfach ist es nicht mit Gut und Böse im Sinne von „Woke“ gegen „Rechts“. Im Gegenteil: Die Woken sind immer noch eine kleine, aber laute Minderheit.