Kolumne: Doppeladler-Jubel bei WM als hochpolitische Provokation

Wie alle vier Jahre begeistert die Fußball-Weltmeisterschaft auch derzeit wieder Millionen Menschen weltweit. Mit einem politisch brisanten Doppeladler-Torjubel zweier kosovostämmiger Schweizer Spieler hat die heurige Auflage nun ihren ersten handfesten Skandal. 
Julian Schernthaner
Kommentar von
24.6.2018
/
5 Minuten Lesezeit
Kolumne: Doppeladler-Jubel bei WM als hochpolitische Provokation

Xherdan Shaqiri ist – neben Granti Xhaka – einer der beiden Schweizer Nati-Spieler mit kosovarischen Wurzeln, welcher mit einer umstrittenen Jubelgeste bei der Fußball-WM für einen Eklat sorgten. Symbolbild (Xherdan Shaqiri 2015): Steindy via Wikimedia Commons [CC BY SA 3.0]

Wie alle vier Jahre begeistert die Fußball-Weltmeisterschaft auch derzeit wieder Millionen Menschen weltweit. Mit einem politisch brisanten Doppeladler-Torjubel zweier kosovostämmiger Schweizer Spieler hat die heurige Auflage nun ihren ersten handfesten Skandal. 

Kommentar von Julian Schernthaner

Bereits im Vorfeld des Spiels zwischen Serbien und der Schweiz munkelten Beobachter über die Brisanz des Duells. Alleine die Tatsache, dass sich im WM-Kader der „Nati“ drei prominente Spieler mit kosovarischer Herkunft befinden, sorgte dafür, dass das Spiel als Hochrisikospiel eingestuft wurde. Das Kosovo erklärt 2008 einseitig seine Unabhängigkeit – und wird bis heute weder von Serbien noch vom WM-Gastgeber Russland als Staat anerkannt.

Nati: Dauerdebatte rund um „Secondos“

Erste Anzeichen, dass das Aufeinandertreffen der beiden europäischen Binnenstaaten explosiv werden könnte, zeigte sich in der Wahl des Schuhwerks von Xherdan Shaqiri. Der kleingewachsene England-Legionär entschied sich für die Schweizer Flagge auf seinem linken Schuh, den rechten ziert die des Kosovo. Auch albanische Nationalisten griffen die Thematik im Internet auf und schufen Collagen aus einer Mischung zwischen helvetischem Kreuz und albanischem Doppeladler.

Dabei ist die Debatte rund um „Secondos“ – also Einwandererkinder – in der Schweizer Nationalmannschaft ewig jung. Mittlerweile machen diese etwa zwei Drittel der Auswahlspieler aus. Selbst der langjährige Kapitän Stefan Lichtsteiner  – am Donnerstag jubelte er mit den Torschützen – mahnte einst, die Schweiz müsse „auf [ihre] Identifikationsfiguren aufpassen“. Und tatsächlich: Als Herzstück der „Nati“ gelten die drei Mittelfeldstars aus dem Kosovo – Xherdan Shaqiri, Valon Behrami und Granit Xhaka. Und nach dem Match gegen Albanien bei der EM 2016 landete man diesmal ausgerechnet in der serbischen Gruppe.

Torjubel mit albanischem Doppeladler

Wie es der Teufel so wollte spielte dann auch noch die Dramaturgie mit. Nach dem frühen Führungstor der Serben kämpfte die Schweizer Mannschaft aufopferungsvoll um den Ausgleich und schaffte sogar die Wende. Torschützen waren ausgerechnet die beiden gebürtigen Kosovaren Xhaka und Shaqiri – und sie bejubelten ihren Torerfolg mit einer hochpolitischen Geste.

Unter den heftigen Pfiffen der serbischen und neutralen russischen Fans formten sie ihre Hände zum albanischen Nationaltier, dem zweiköpfigen Adler. Später schob der Ausgleichsschütze Xhaka die Handbewegung auf überkochende Emotionen.

Gezielte Provokation der Spieler

Dabei macht er es sich aber zu einfach. Ein Mensch mit serbischer Geburtsurkunde, dessen Vater dort wegen regierungskritischer Proteste vor seiner Flucht drei Jahre in Haft verbrachte, ist kaum ein unbeschriebenes Blatt. Er müsste wissen, dass sich selbst der serbische Nationalfeiertag auf die verlorene Schlacht am Kosovo polje („Amselfeld“) 1389 bezieht. Dass die Serben die Umkehr der ethnischen Mehrheitsverhältnisse in ihrem langjährigen Kernland als schleichenden Bevölkerungsaustausch zu ihren Ungusten einordnen, die Unabhängigkeitserklärung als Affront empfinden.

Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri wussten also genau was sie da taten – und damit auch etwa 100.000 Serben in ihrer neuen Heimat Schweiz beleidigten. Und selbst wenn sie politisch komplett unbedarft wären und einfach unbedacht ihre Wurzeln feiern wollten – sie kannten sicherlich die Problematik vom Skandalspiel zwischen Serbien und Albanien in Belgrad 2014. Damals sorgte eine Drohne mit großalbanischer Flagge für Tumulte und einen Spielabbruch. Die Wertung am grünen Tisch zugunsten Albaniens gab letztendlich sogar den Ausschlag zur direkten EM-Qualifikation zulasten Dänemarks.

Menschen in Ausnahmesituationen

Der eigentliche Skandal ist allerdings weniger die möglicherweise unbedachte Gefühlsregung der Spieler. Immerhin kann man diesen bei aller Unverständlichkeit der politisch hochbrisanten Haltung zugute halten, dass sie die ganze Partie über ausgepfiffen wurden. Und bei aller Unnötigkeit von Gesten des Unmuts gegenüber einem feindlich gesinnten Publikum, handelt es sich irgendwo um Menschen in einer Ausnahmesituation. Das war schon beim umstrittenen Stinkefinger von Stefan Effenberg und beim berüchtigten Ausraster von Eric Cantona so.

Balkankriege: Einseitige Bewertung

Viel bezeichnender sind hingegen die Reaktionen mancher Medienleute, welche die Bedeutung der national-chauvinistischen Geste gleich herabspielen wollten. Denn seit den Jugoslawienkriegen in den 1990er-Jahren hatte sich die Wahrnehmung der Serben als Bösewichte, stellvertretend für die Kriegsverbrechen von Slobodan Milošević und Radovan Karadžić, scheinbar verfestigt. Die kosovarischen Albaner hingegen wurden damals – ähnlich wie die Bosniaken einige Jahre zuvor – von der Weltöffentlichkeit beinahe ausschließlich als Opfer rezipiert

Tatsächlich ist die jüngere Geschichte des Balkans aber ungemein vielschichtiger. Sämtliche Parteien begingen vor cirka 25 Jahren unsagbare Verbrechen gegenüber Menschen, mit denen sie kurz zuvor noch arbeiteten und ihr Feierabendbier tranken. Dennoch bleibt die althergebrachte Auffassung unverschoben – und macht den „Adlerjubel“ für manche zu einem ‚moralischen Freifahrschein‘ für vermeintlich Unterdrückte. Das Narrativ der „bösen“ Serben und „guten“ Albaner: es bleibt intakt.

Journalisten: Unverständnis über Aufregung

Nur so ist die mangelnde Fähigkeit diverser Sportjournalisten, die Tragweite der Geschehnisse zu erkennen, zu verstehen. Ein Zeit-Kolumnist sprach nämlich von einer „strunzdoofen“ Diskussion, und von „zwei Herzen in einer Brust“ und hält übrigens sogar den Skandal um den Erdogan-Besuch türkischstämmiger DFB-Nationalspieler für „Hysterie“. Auch Thomas Kuhnert, immerhin Pressesprecher für Sky Sports, versteht die Aufregung nicht:

Allerdings gab es auch Journalisten, welche den Torjubel kritisch sahen. Etwa einen türkischstämmigen WDR-Redakteur, der sowohl die vorausgegangenen Schmähungen seitens der Fans als auch den „Adlerjubel“ verdammte:

FIFA-Verfahren gegen Xhaka und Shaqiri

Die FIFA reagierte mittlerweile auf den Vorfall und leitete ein Disziplinarverfahren gegen die beiden Athleten ein. Zuvor distanzierte sich Bundestrainer Vladimir Petkovic vom Torjubel – stellte sich aber dennoch vor seine Spieler. Xhaka und Shaqiri drohen nun zwei Spiele Sperre – eine empfindliche Schwächung für die „Nati“. Und es wäre die einzig konsequente Entscheidung, will man verhindern, dass ähnliche Ausfälle zukünftig Schule machen. Politische Propaganda hat auf dem Spielfeld nichts zu suchen.

Und bei allem Verständnis für die Wurzelpflege von Einwanderern: Die Ehre für sein neues Land zu spielen, bedingt ein uneingeschränktes Bekenntnis. Dazu gehört: die Konflikte und Verwerfungen der einstigen Heimat nicht mitzubringen. Gerade vor dem möglicherweise notwendigen Schulterschluss aller Balkanländer hinsichtlich eines neuen Massenansturms auf Europa wäre die Wiederkehr der alten Ressentiments für den europäischen Frieden fatal. Alles wegen eines Fußballspiels.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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