Sanna Marin: Das Problem liegt woanders

Ein geleaktes Video zeigt die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin beim Feiern mit Freunden auf einer Privatparty. In der daraufhin folgenden Diskussion reden die beteiligten Akteure jedoch um das Problem herum – es geht hier nicht um einen von „Putin inszenierten Skandal“ oder um „Moralismus“, sondern um das verantwortungslose Auftreten einer Führungsperson in einer Zeit voller Krisen.
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21.8.2022
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4 Minuten Lesezeit
Sanna Marin: Das Problem liegt woanders

Ein geleaktes Video zeigt die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin beim Feiern mit Freunden auf einer Privatparty. In der daraufhin folgenden Diskussion reden die beteiligten Akteure jedoch um das Problem herum – es geht hier nicht um einen von „Putin inszenierten Skandal“ oder um „Moralismus“, sondern um das verantwortungslose Auftreten einer Führungsperson in einer Zeit voller Krisen.

Sanna Marin ist seit 2019 die sozialdemokratische Ministerpräsidentin Finnlands. Die junge 36-jährige Mutter ist mit einem Fußballer seit mehr als 15 Jahren verheiratet und steht – folgt man den Medien und Experten – für das neue und progressive Europa. Sprich: „Schluss mit den alten weißen Männern, hier kommt die neue Generation – und die ist weiblich, hat Spaß und denkt modern!“ Dass Marin die Regierungspraxis gleichzeitig klassisch und modern interpretiert, demonstrierte sie vor kurzem – mal wieder – mittels eines neuen Skandals: In mehreren verwaschenen kurzen Clips ist Marin unter Freunden bei einer Party zu sehen. Sie tanzt lasziv, lacht viel und hat offensichtlich Spaß.

Rausch und Mensch

Das Problem beim Skandal von Sanna Marin ist nicht, dass sie eine junge Frau und Mutter ist oder Alkohol trinkt. Wie wahrscheinlich jeder Mensch hat Marin einfach nur Spaß am Rausch – das hat die Menschheit seit Jahrtausenden. Die gesellschaftliche Elite betrank sich seit den ersten Chronisten, große Helden suchten oft den Rausch, vor allem mit Alkohol. Alexander der Große verstarb nach einem Saufgelage. Ernst Jünger experimentierte mit verschiedenen Drogen. Diese Liste lässt sich endlos lang fortsetzen.

Das ist aber nicht der Punkt. Marin hat mehrmals offen und klar demonstriert, dass sie keinerlei Gespür für die Würde des Amtes hat. Es ist dekadent, in einer Zeit voller Krisen (Corona, Inflation) als kleiner Nachbar einer kriegsführenden Nation so ein Video überhaupt entstehen zu lassen und dann noch zu veröffentlichen. Als Ministerpräsidentin ist sie nun mal nicht nur die Privatfrau Sanna Marin, sondern auch eine öffentliche Figur in einem wichtigen Amt. Soll sie doch ihren Spaß haben – aber dann wenigstens nicht so dekadent in die Öffentlichkeit bringen. Es zeigt sich hier das oft im Westen zu beobachtende Phänomen einer Gefühlsarmut für das Ganze, ja sogar der Verlust jegliches Verantwortungsbewusstsein. Die Ursachen hierfür sind vielfältig.

Festivals statt guter Regierungspraxis

Die Kritik an Sanna Marin muss man also in den Kontext ihrer vielen Fehltritte und der schlechten Regierungspraxis verstehen. Die Ministerpräsidentin ist oft mit Fehltritten oder unnötigen Provokationen aufgefallen – wie zum Beispiel ein Hang zu Festivalbesuchen anstatt der Arbeit an Krisenlösungen – die sie dann aber selbst nicht einhalten will. So besuchte sie Dezember 2021 einen Club, obwohl sie Kontakt zu einem Infizierten hatte – sie verstoß dabei nicht gegen Corona-Auflagen, jedoch empfahl die finnische Regierung bei Kontakt mit Infizierten eine freiwillige Isolation.

Bei acht Prozent Inflation und möglicher Kriegsgefahr schon wieder so eine Figur abzugeben: Das ist verantwortungslos gegenüber 5,5 Millionen Finnen – hier liegt das Problem . Dass Liberale wie der WELT-Chefredakteur Ulf Poschardt hier nur einen vermeintlich konservativen oder sogar reaktionären „Moralismus“ erkennen möchten, ist nur ein Ablenkungsmanöver, um eben nicht über die Verantwortungslosigkeit Marins sprechen zu müssen. Eine führende Person des Staates sollte nicht nur „elegant und cool“ sein, sondern auch ein verantwortungsbewusster und kompetenter Politiker. Wer das nicht an Marin kritisiert, der ist wirklich bescheuert, um hier auf Poschardt zurückzukommen.

Noch dümmer sind an dieser Stelle die Vorwürfe einiger Journalisten und Politiker, dass der Skandal doch nur von „Rechtsaußen“ und sogar Putin inszeniert sei. Hier greift wieder ein altbekanntes Muster: Man versucht Kritik abzuwehren, indem man den Kritiker einfach mit dem aktuellen Teufel in Verbindung bringt. Während das für innenpolitische Verhältnisse oft Höcke oder Kickl sind, ist auf der weltpolitischen Ebene Putin der Diener Satans, sprich: „Kritik an Marin kommt nur Putin zu Gute! Deshalb nicht kritisieren! Ein von Putin inszenierter Skandal, darüber brauchen wir nicht sprechen.“ So verknüpft ein finnischer Twitter-Nutzer den Skandal mit dem „Neonazi“-Portal 4Chan: der vermeintliche Ursprung des Skandals ist „rechtsextrem“ und somit keiner Beachtung wert.

Ein Blankocheck für Marin

Keiner der Unterstützer Marins geht wirklich auf den Skandal ein. Marin selbst wird hier nur zu einer Schachfigur degradiert, da ihre Verteidiger sie lediglich aufgrund ihrer Eigenschaften oder Rolle ernst zu nehmen scheinen. Mutter, junge Frau, links, progressiv – das reicht für einen Blankocheck aus. Dass jedoch trotzdem Politik nicht nur eine Fortführung der Moral bedeutet, sondern auch ernsthafte Entscheidungen von Nöten sind, die das Schicksal von 5,5 Millionen Finnen betreffen können, ist anscheinend nur noch den konservativen „Moralisten“ bewusst.

Gewiss: Auch eine Partymaus könnte eine gute Politikerin sein – Marin hat jedoch mehrmals bewiesen, dass sie es eben nicht ist. Wer verantwortungsloses Handeln und Auftreten verschweigt, weil die betroffene Person nur zu gut ins eigene Weltbild zu passen scheint, der handelt verantwortungslos und zeigt sein infantiles Verständnis der heutigen Politik, das eher einem Marvel-Universum zu ähneln scheint. Politik ist nun mal eben nicht die Fortsetzung der Philosophie.


Zur Person:

Bruno Wolters (Jahrgang 1994) hat Philosophie und Geschichte in Norddeutschland studiert. Gemeinsam mit Erik Ahrens gründete er im Sommer 2020 das konflikt Magazin, ein konservatives Onlinemagazin für Berichterstattung aus Politik und Gegenkultur. Im Jahr 2021 folgte das Buch Postliberal im Verlag Antaios. Wolters Interessensgebeite sind Ideengeschichte und politische Philosophie.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.

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