Amazon: Das Ringen um „unseren“ Tolkien

Die neue Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ wird den Blick auf Tolkiens Universum verändern. Die Konsequenzen einer „Vernutzung“ werden problematisch sein.
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Amazon: Das Ringen um „unseren“ Tolkien

Büste von J. R. R. Tolkien im Oxforder Exeter College, angefertigt von Tolkiens Schwiegertochter Faith, Julian Nyča, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons (Bild zugeschnitten)

Die neue Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ wird den Blick auf Tolkiens Universum verändern. Die Konsequenzen einer „Vernutzung“ werden problematisch sein.

Ein Essay

Mit den beiden Reiseberichten zu den diesjährigen Tolkientagen versuchte ich zu verdeutlichen, wie selbst kleinste Nischen der Unterhaltung politisch zu unseren Ungunsten aufgeladen werden. Dies ist weder Einzelfall noch eine Meldung an sich wert, doch die linke „Vernutzung“ bekommt durch die Prominenz Tolkiens ein besonderes Gewicht. Betrachtet man den Kosmos Mittelerde aus einer aktuellen Perspektive, so erscheinen neben den Büchern die Filme von Regisseur Peter Jackson als wohl bekannteste Aufarbeitung des fantastischen Stoffes.

Es ließe sich ohne große Mühen die Vermutung aufstellen, dass die meisten Erstkontakte mit dem Werk des englischen Linguisten und Philologen über die weltweit bekannten Filme stattfinden. Diese sind deutlich niedrigschwelliger als die Bücher oder die diversen Videospiele, da sie einerseits keinerlei Vorwissen benötigen sowie einen „ausreichend tiefen“ Einblick in die Welt von Menschen, Zwergen, Elben und Orks geben. Gleichzeitig bieten diese ein abgeschlossenes Erlebnis – also eine vollendete Geschichte und keine eigenen Nachforschungen benötigt, um vollends verstanden zu werden.

Die teuerste Fehlproduktion der Welt

Zu diesem Angebot wird sich die Amazon-Serie „Die Ringe der Macht“ gesellen und die ersten Trailer lassen einen den Kinofilmen ähnlichen Ansatz vermuten, doch mit einem verheerenden Drall. Betrachtet man das Bewertungsverhältnis auf dem Video des englischen Trailers zur neuen Serie (was seit neustem nur noch mit einem Tool möglich ist), dann besteht ein Übergewicht von 1,8 Millionen negativen Bewertungen zu „lediglich“ 129.000 positiven Bewertungen. Selbstverständlich lässt sich über die Repräsentativität solcher Bewertungen stets streiten, doch zeigt das außerordentliche Ungleichgewicht eine deutliche Tendenz, wobei selbst ein 50:50 für eine Produktion dieser Größe vernichtend wäre.

Auch die Kommentare unter dem Video sparen nicht an Zynismus, Häme und Enttäuschung über die mangelnde Nähe zum Quellenmaterial. So ist es ein wenig peinlich, wenn eine Tolkienverfilmung sich nicht die Rechte an den relevanten Geschichten sichern kann, wie die Autoren der Serie unlängst zugeben mussten. Schließlich handelt es sich nicht um die Verfilmung eines drittklassigen Marvel-Comics, sondern um die teuerste TV-Serie aller Zeiten, die sich mit dem weltweit bekanntesten Fantasy-Werk auseinandersetzt. Mittelerde bietet durch Tolkiens Kreativität fast so viel historisches Material wie ein realer Kontinent, dementsprechend ist die quellengetreue Darstellung seiner Geschichte fast schon wissenschaftliche Pflicht statt bloß künstlerische Tugend.

Nicht nur hübsches Beiwerk

Das Drängen auf eine saubere Aufarbeitung der literarischen Grundlage ließe sich als die Pedanterie eines Nerds abtun, wäre Tolkien nicht mindestens so viel politischer Philosoph wie er Autor oder Sprachfanatiker war. Die Werke des britischen Autors strotzen vor den innersten Gedanken ihres Erschaffers und nicht umsonst arbeitet die internationale Forschung etwa Tolkiens Menschenbild, Rechtsverständnis oder Religiosität primär aus den von ihm dargestellten Motiven in seinen Büchern heraus. Eine Veränderung oder Missachtung dieser Motive und eine Abweichung von den erdachten Wahrheiten innerhalb der Welt führt daher potenziell auch zu einer deutlichen Verzerrung der vermittelten Wahrheiten über die reale Welt, die man aus Tolkiens Büchern ziehen kann.

In Wechselwirkung führt die Entfernung des „konservativen Minimums“ aus Mittelerde auch zur nachhaltigen Veränderung von Stil und Inhalt neuerer Tolkien-Projekte. Da wenige Werke eine so enge Verzahnung von Inhalt, Darstellung und Botschaft vorweisen können (oder wollen), ist eine schlechte oder mangelhafte Adaption des Grundstoffes auch selten derart dramatisch. Rechnet man die zu erwartenden Zuschauerzahlen auf dem Streamingdienst Amazon Prime und den Eindruck, den teils von Tolkien noch unberührte Rezipienten und auch gerade jüngere Zuschauer von Tolkiens Welt bekommen, dazu, lässt sich der Schaden für Autor und Gesamtwerk bereits erahnen.

Des Balrogs Kern

An einem Beispiel soll die Tragweite der möglichen Veränderungen durch die Serie an bestehenden Inhalten dargestellt werden. Kulturen in Mittelerde haben spezielle Aufgaben und es benötigt häufig nur wenig Fantasie, von welchen realen Ursprüngen sich Tolkien inspirieren ließ. Weiterhin nehmen seine Völker einen festen Platz auf einer Gut-Böse-Achse ein, sprich beinahe jedes Individuum kann ohne größere Schwierigkeiten als Stellvertreter seines Volkes gesehen werden. Ist die Diskussion um die Hautfarben von fiktiven Charakteren in Medien auch äußerst leidig, so spielt sie im Kontext Tolkiens eine tiefergehende Rolle. Tolkien weist seinen Völkern zumeist nicht nur einen festen Platz in Mittelerde, sondern häufig auch eine detaillierte Abstammungsgeschichte zu. Dies erfolgt jedoch primär aus kultureller Perspektive, eher indirekt verbunden mit den (logischen) biologischen Implikationen von Völkern, die ihre Identität bewahren und über Jahrhunderte, teils Jahrtausende erhalten.

So gibt es etwa zwei Völker im Süden Mittelerdes, einmal die mit den hellhäutigen Menschen des Nordens verwandten „Schwarzen Númenórer“ und die dunkelhäutigen Haradrim, deren historische Vorbilder sich von Arabien bis ins tiefe Nubierland finden lassen. Spielen die „Schwarzen Númenórer“ im Herrn der Ringe kaum eine Rolle, so sind es doch besonders die Haradrim, die gemeinsam mit den als „Ostlingen“ bezeichneten Menschen gemeinsam mit den Horden des Bösen gegen die Elben, die Menschen des Westens und die Zwerge kämpfen. Auch die „Ostlinge“ haben, wie Tolkien beschreibt, eine gelbe bis olivfarbene Haut, stehen also sowohl zu den hellhäutigen Menschen als auch zu den Lichtgestalten der Elben in starkem Kontrast. Die biologischen Kategorien spielen für den Autor selbst keine Rolle und sie dürfen im Kontext dieses Textes auch nicht als überinterpretiert missverstanden werden, doch zeugt die völlige Abkehr von diesen Ordnungskriterien von Unkenntnis oder mutwilliger Missachtung der Konditionen von Tolkiens Welt.

Dunkle Wesen des Lichtes

Denn gerade, wenn es um die Elben von Mittelerde geht, verlässt man den Bereich der fantastischen Literatur und begibt sich tief in europäische Mythologie. Denn Tolkiens Elben sind beinahe vollständig den nordisch-germanischen Elfen entlehnt, die anders als ihre keltischen Verwandten nicht nur ein Volk kleiner Baumkuschler sind, sondern als stolze Wesen den Menschen mal Heilung, mal Tod bringen und als beinahe gottgleiche Wesen in enger Verbindung zu den berühmten Göttern des heidnischen Pantheons standen.

Tolkien hatte diese Erzählungen vor Augen. Dass für den Autor die Hautfarben völlig austauschbar gewesen wären, funktioniert auch nur, weil es sich um eine europäische Erzählung handelt. Man stelle sich die Gesichter der Maoris von Neuseeland vor, wenn man ihnen erklären würde, ihre Gottheiten und mythischen Figuren würden wie das Klischee des rothaarigen, schiefzahnigen Briten aussehen. Wenn die Tolkien-fremde Figur des Elben Arondir in der Serie also vom puerto-ricanischen Schauspieler Ismael Cruz-Córdova gespielt wird, so ist es nicht allein eine Veruntreuung der Welt Tolkiens, sondern auch eine des elementaren Bestandteils vorchristlicher Kultur Europas.

„Wie Butter auf zu viel Brot verstrichen“

Im Kontext Tolkiens ziehen völlige nebensächliche Feinheiten aufgrund der Komplexität des Werkes eine lange Kette von Folgen nach sich, die für den einfachen Zuschauer nicht auf den ersten Blick erkennbar sein mögen, aber die Erzählung um die Ringe der Macht und den Kampf zwischen Gut und Böse nachhaltig prägen. Mit dem heutigen Wissen würde man auch keine noch so kleine Verfälschung der eigenen nationalen Geschichte dulden. Warum sollte man es bei den fiktiven Mythen dulden, die darüber hinaus Angelegenheiten nicht nur eines Volkes oder einer Kulturgruppe sind? Tolkien und sein Herr der Ringe sind europäisches Kulturgut, ein moderner Mythos für einen gesamten Kontinent und mit genug Weisheit gefüllt, um ihn bedenkenlos jedem Jugendlichen zu übergeben. Gibt der identitäre Teil Europas diesen Mythos jedoch aus der Hand, benutzen ihn diejenigen, die selbst nur verderben und nicht erschaffen können.


Armand Berger: Tolkien, Europa und die Tradition. Zivilisation im Spiegel des Imaginären. Jungeuropa Verlag, gebunden, 104 Seiten.


Mehr zum Thema:

Reisebericht: Buntes Mittelerde? – Tolkientage 2022 (2) (05.08.2022)

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Über den Autor

Mike Gutsing

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