Georg Heym: Portrait eines zu früh Verstummten
Eine kleine Hommage an den zu oft vergessenen und dabei doch größten Poeten des deutschen Expressionismus.
Ein Portrait von Christin Schneider
Fernab des „literarischen Mainstreams“ findet man sie; die wahren Schätze und Meister der deutschen Literatur. Nicht immer bekömmlich, nicht immer einfach zu verstehen, doch stets faszinierend und lohnend zu entdecken. So manch einer von ihnen hat es keinesfalls nötig, sich hinter Goethe, Schiller und Co zu verstecken und wird dennoch immer ein Schattendasein im allgemeinen „literarischen Gedächtnis“ der Deutschen fristen.
Georg Heym. – Der Expressionist, der junge Lyriker, der Zerrissene, der Depressive, jener, der seinen Weg nicht fand. Falls einem der Name Georg Heym überhaupt ein Begriff ist, wird man ihn wohl mit ähnlichen Attributen verknüpfen. In Germanistikkreisen gilt er als Ausnahmetalent seiner Zeit, der, wäre er nicht auf tragischer Weise viel zu früh aus dem Leben geschieden, sicherlich heute zu den ganz großen Poeten unseres Landes zählen würde. Doch wer war der junge Mann, der sich in seinen Tagebucheinträgen über die Banalität seiner Zeit empörte, mit dem Leben haderte wie kein Zweiter und gleichzeitig nicht wusste wohin mit seinem „brachliegenden Enthusiasmus, an dem er zu ersticken drohte“?
Der Suchende, der viel zu früh einen tragischen Tod fand
Heym wurde am 30. Oktober 1887 in Hirschberg (Schlesien) in eine Familie von Gutsbesitzern und Beamten geboren. Die Laufbahn des Vaters, ein Staatsanwalt und später tätig am Militärgericht in Berlin, die viele Ortswechsel mit sich zog, zwang Heym früh zu einer kleinen Odyssee durch verschiedene Gymnasien. Wie bei vielen anderen bekannten deutschen Schriftstellern, deren Dichtungen später von Lehrern im Unterricht gehuldigt wurden, war Heym nur ein mittelmäßiger, gar schlechter Schüler. „Die Schule ist der Verderb jeden Genies“, so schrieb er im April 1905.
Ein bürgerliches Leben war Heym von Anfang an verhasst, und dennoch probierte er sich darin, indem er, ganz dem Wunsch des Vaters folgend, 1907 das Jurastudium in Würzburg begann und schließlich, nach mehrfachen Studienortswechseln über Berlin nach Jena und schließlich wieder nach Berlin, 1911 seine erste Staatsprüfung bestand. Sein Vorbereitungsdienst im Amtsgericht Lichtenfelde bei Berlin währte jedoch nur wenige Monate und auch seine Dissertation wurde von der Universität Würzburg zurückgewiesen.
Wie man den Tagebucheinträgen des jungen Heym entnehmen kann, trug er schon sehr lange den Gedanken mit sich, die „elende Juristerei“ aufzugeben und stattdessen dem Militär beizudrehen. Vielleicht erhoffte er sich davon, seinem Leben mehr Sinn zu verleihen. Zumindest heißt es an einer Stelle in seinen Aufzeichnungen, dass er sogar einen Krieg herbeisehne, um der belanglosen Zeit, in der er und seine Generation lebte, zu entkommen. Wie schnell sein naiver Wunsch nach einem sinngebenden Krieg wahr werden würde, erlebte Heym nicht mehr, denn 1912, im Alter von 24 Jahren, starb er, noch bevor ihm die Bewilligung seines Eintrittsgesuchs vom Militär erreichte. Sein tragischer Tod ereignete sich am 16. Januar, an dem er beim Schlittschuhlaufen auf der Havel seinen ins Eis eingebrochenen Dichterfreund Ernst Balcke retten wollte. Beide ertranken an jenem Tag.
Heym: „Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz haben“
Heyms Mitgliedschaft im expressionistischen „Neuen Club“ in Berlin und deren Veranstaltungsreihe „Neopathetisches Cabaret“ ließen ihn früh an seinen Werken schleifen und seinen Stil finden. Hier fand er auch u.a. den Kontakt und die Freundschaft zum Poeten Jakob van Hoddis. Als literarische Vorbilder dienten ihm vor allem Hölderlin, Nietzsche, Rimbaud, Baudelaire, Büchner, Kleist und Grabbe, oder wie Heym es im April 1909 in seinem Tagebuch formulierte: „Ich liebe alle, die in sich ein zerrissenes Herz haben […]. Ich liebe alle, die nicht von der großen Menge angebetet werden. Ich liebe alle, die oft an sich verzweifeln, wie ich fast täglich an mir verzweifle.“
Zwischen Großstadt und schwarzen Visionen
Auch wenn Heym sich in einigen durchaus interessanten und vorzeigbaren (oft auch unvollendeten) Dramen und Prosatexten, wie z.B. seine recht bekannte Erzählung „Der Irre“ übte, zählt er doch ohne Zweifel vor allem aufgrund seiner lyrischen Werke zur oft verkannten Meisterklasse der deutschen Literaturkunst. Hier stechen besonders seine expressionistischen Gedichte hervor, in denen er seine immer wiederkehrenden Motive von Melancholie, Untergangsversionen, Großstadt und Tod verarbeitete.
Wer es „dunkel“ mag, wird Heym lieben
In seinen Bann zieht er den Leser besonders mit seiner großartigen Sprachkunst, der unvergleichbaren Bildlichkeit und der visionären Kraft seiner Verse, mit der er seine Werke gekonnt anreichert – so treibt eine Frauenleiche mit „einem Nest von jungen Wasserratten im Haar“ „durch den Schatten des großen Urwalds, der im Wasser ruht“ (Ophelia), Dämonen wandern durch nächtliche „Städte deren Schultern knacken“ und jagen „Meere von Feuer durch die Straßen“ (Der Gott der Stadt / Die Dämonen der Städte), am „weiten Abend“ „verglühen lange Hügel am Horizont, wie klarer Träume Landschaft bunt besonnt“ oder „feurige Sterne hängen auf Schlangenhälsen herunter“ (Die Nacht). Nicht zuletzt fasziniert Heym mit der fast überall mitschwingenden „Dunkelheit“; der melancholischen Stimmung, eben ganz nach Heym’scher Manier.
Heym mag vieles sein, nur eines nicht: langweilig. – Weder in seinen Erzählungen, noch in seinen Gedichten, ja noch nicht einmal in seinen Tagebüchern. Und so ist sein früher Tod nicht nur bedauerlich weil er einen jungen Meschen auf so tragische und sinnlose Weise viel zu vorzeitig aus dem Leben riss, sondern auch weil durch ihn die Nachwelt um einen unvergleichlichen Künstler gebracht wurde, der sicherlich noch eine Vielzahl an großartigen Meisterwerken hätte entstehen lassen, wäre ihm das Schicksal gnädiger gewesen.