Heimo Schwilk: „Ernst Jünger versuchte, alles, was er wahrnahm, zu transzendieren“
Im Interview mit FREILICH spricht Heimo Schwilk, Journalist, Jünger-Biograf und Herausgeber des einflussreichen Sammelbandes „Die selbstbewusste Nation“ (1994), über seinen Versuch, das Springer-Blatt Die Welt wieder zu einer konservativen Zeitung zu machen, Ernst Jünger als Vorbild, den Reiz von Tagebüchern und sein neues Werk.
FREILICH: Herr Schwilk, als langjähriger leitender Redakteur bei der WELT am SONNTAG dürften Sie die Zeitung gut kennen. Was hat sich dort und im Axel-Springer-Verlag allgemein in den letzten Jahrzehnten, sagen wir seit den Tagen Springers, verändert? Ist die Entwicklung im deutschsprachigen Journalismus insgesamt eine ähnliche?
Heimo Schwilk: Zu meiner Zeit, 1991-2015, also in der Ära Manfred Geist, Kai Diekmann – der später zur BILD wechselte -, Christoph Keese und Thomas Schmid, stand das Blatt erst im Zeichen der Ausweitung – seit 1991 auch in die neuen Bundesländer – dann unter dem der Konsolidierung. Die Auflagensteigerung ist unter Geist und besonders in der dreijährigen Ära von Diekmann gut gelungen, die Konsolidierung danach weniger. Christoph Keese, der von der Financial Times Deutschland kam, wollte das Blatt nach links verschieben und jüngeren Lesergruppen öffnen, was misslang.
Die innere und äußere Verjüngung düpierte die angestammten Lesergruppen, neue wurden nicht in nennenswerter Weise gewonnen. Keese versuchte mich aus dem Blatt zu drängen, verlor aber zweimal vor Gericht; dann wurde er selbst abgelöst. Heute führt Ulf Poschardt das Blatt auf einen wieder konservativeren Kurs, behält aber die seit Jahren festzustellende Beliebigkeit, die Zeitgeist-Affinität, bei. Zudem ist mit der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung ein Konkurrent erwachsen, der auf eine ähnliche Mischung und dieselbe Zielgruppe setzt.
Unter Mathias Döpfner hat sich der Axel-Springer-Verlag, heute Axel Springer SE, in eine Profit-Maschine verwandelt, Die Welt ist quasi als Papierzeitung nicht mehr existent, nur noch online einigermaßen präsent. Döpfner hat, die allgemeine Digitalisierung des Verlags im Blick, regionale Filetstücke wie die Berliner Morgenpost oder das Hamburger Abendblatt verkauft, Die BILD–Gruppe verlor mehr als die Hälfte ihrer Auflage, macht aber noch durchaus Gewinn. Man kann sagen, dass der Verlag jegliches gesellschaftspolitische Engagement aufgegeben hat.
Was zählt, sind Profit und Aktionärsgewinne. Mathias Döpfner möchte in erster Linie Geschäfte machen. Natürlich pflegt der linke Mainstream das Feindbild „Axel-Springer-Verlag“, den es so gar nicht mehr gibt. Es werden permanent Redakteure linker Provenienz eingestellt, einen leidenschaftlichen Konservatismus -wie noch unter Geist und Diekmann – gibt es nicht mehr. Die Homogenisierung, also der Verlust an medialer Vielfalt, schreitet voran. Springer versucht sich in der allgemeinen Konturlosigkeit einzurichten, hält nicht mehr dagegen.
Unter anderem hatten Sie, zugespitzt formuliert, versucht, in der WELT so etwas wie eine konservative Revolution im Kleinen anzuzetteln. Wie kamen Sie dazu? Hat der Versuch am Ende Früchte getragen?
Mit Ulrich Schacht an meiner Seite, der die Repression in der DDR am eigenen Leib erlebt hatte und für sein Freiheitsbegehren fast vier Jahre im Gefängnis büßte, versuchte ich das linke Rollback nach der Wiedervereinigung, die die linken Lebenslügen grandios widerlegt hatte, aufzuhalten. Ulrich Schacht nannte schon damals die freiheitsfeindlichen Tendenzen in der Bundesrepublik der Neunzigerjahre „DDR light“. Chefredakteur Manfred Geist gab uns grünes Licht für den neuen, konservativeren Kurs in der WELT-Gruppe, aber die Spitze des Verlages machte nicht mit, knickte vor dem Zeitgeist ein.
Wie auch die Politiker Helmut Kohl und Theo Waigel; sie bemerkten eine rechtskonservative Fronde, die sie radikal bekämpften. Sogar Alfred Dregger, der mit uns sympathisierte, wurde zurückgepfiffen. Dennoch legten wir, das kann man im Rückblick sagen, das geistig-moralische Fundament zum späteren Aufstieg der AfD. Das Buch, das wir auf dem Höhepunkt unserer Aktivitäten herausgaben, der Sammelband Die selbstbewusste Nation, war, wie die Die Zeit schrieb, „die Bibel der Rechten“.
Wo sehen Sie das Potenzial konservativer Publizistik heute am ehesten verwirklicht? Können Journalisten heute noch unzeitgeistgemäß schreiben, ohne gleich in rechten Zeitungen zu publizieren? Welchen Rat würden Sie jungen konservativen Journalisten heute mitgeben?
Die Zukunft liegt in der Vernetzung. Die Jungen müssen unbedingt die neuen, sogenannten „sozialen Medien“ und alternativen Portale nutzen. Es gibt inzwischen eine Gegenöffentlichkeit – u.a. die Junge Freiheit, Tumult, Cato, Tichys Einblick –, die auch Verlage wie Manuscriptum oder Antaios einschließt. „Gegen einen Block der Autoritären braucht es einen Block der Anti-Autoritären“, fordert der Publizist Milosz Matuschek in der aktuellen Weltwoche. Das Magazin von Roger Köppel steht wie die Neue Zürcher Zeitung für einen unabhängigen Journalismus, der hierzulande kaum mehr möglich ist – trotz FAZ und WELT.
Neben Ihrer journalistischen Arbeit sind Sie vor allem als Jünger-Biograph bekannt. Setzte sich Ernst Jünger in gewisser Hinsicht in seinen Journalen nicht auch mit dem „jour“, also wie Journalisten mit dem Geschehen des Tages auseinander? Bestehen da Parallelen?
Ernst Jüngers Stärke lag ja gerade nicht im Eingehen auf das politische Tagesgeschehen. Er versuchte, alles, was er wahrnahm, zu transzendieren, also auf seine mythologischen oder metaphysischen Quellen zurückzuführen, sogar die moderne Arbeitswelt. Ich habe von ihm gelernt, mich nicht – zumindest im Reflektorischen – an das Tagesereignis, den ersten Eindruck zu verlieren, sondern das Erlebte auf historische, übergeordnete Strukturen zu beziehen.
Vor allem aber war und ist mir Ernst Jünger in seiner Widerständigkeit eine Richtgröße. Er hat sich zeitlebens auf keine Macht eingelassen, obschon man ihn ständig umworben hat, um von seiner Autorität als Autor – und Prognostiker! – zu profitieren. Als großer Unzeitgemäßer ist er mein bleibendes Vorbild.
Sie planen, in Bälde Ihren zweiten Tagebuchband zu veröffentlichen. Warum ausgerechnet ein Tagebuch? Ist unsere Lebenswelt, samt Smartphones und sozialer Medien, heute nicht schon viel zu beschleunigt für Tagebücher oder macht das gerade heute ihren Reiz aus?
Wie Ernst Jünger nutze ich das Tagebuch, um meine Erfahrungen als Journalist und Autor festzuhalten. Der zweite Band meiner Tagebuch-Edition, die von 1982 bis in die unmittelbare Gegenwart reicht, ist fast fertig. Er wird voraussichtlich im Frühjahr erscheinen. Es ist allerdings ein heikles Geschäft, aus rund 10.000 handschriftlichen Tagebuchblättern insgesamt 1300 Buchseiten für zwei Bände auszuwählen. Neben meinem Schreibtisch liegen 42 vollgeschriebene Kladden. Das Tagebuch hat seinen eigenen Reiz, auch im Zeitalter spontaner, digitaler Kommunikation.
Vieles geht ja wieder verloren im millionenfachen Austausch. Aber das Tagebuch bleibt und hat den Reiz der Authentizität, den eine Autobiografie gerade nicht hat. Die Autobiografie ist in gewisser Weise ein Tor zu Manipulation, der Autor betätigt sich als rückwärtsgewandter Prophet, der seiner Vita eine nachträgliche Kohärenz gibt, die seinem aktuellen Standpunkt entspricht. Der Diarist ist ehrlicher, schreibt auch seine Irrtümer und Niederlagen auf, auch die Umwege, die er gegangen ist oder gehen musste. Nichts ist retrospektiv geschönt.
Worin soll es in Ihrem zweiten Tagebuchband gehen, auch gerade im Verhältnis zu Ihrem letzten, das „Mein abenteuerliches Herz“ betitelt ist? Welche Rolle spielt Jünger in beiden?
Der zweite Tagebuchband „Mein abenteuerliches Herz II“, eine Auswahl von Aufzeichnungen aus den Jahren 2000 bis 2022, gibt meine Beobachtungen auf den großen Reisen um die Welt wieder, in die USA, nach Kanada, Russland, China, Italien, Frankreich, Usbekistan, Zimbabwe – und als Kriegsreporter nach Saudi-Arabien, Libyen und ins Kosovo; der Band schildert aber auch Begegnungen mit Erwin Chargaff, Hans-Georg Gadamer, Eduard Limonov, Papst Benedikt, Klaus Maria Brandauer, Gertrud Fussenegger, Otto von Habsburg, Angela Merkel, Antje Vollmer, Helmut Kohl, Rudolf Scharping, Philip Johnson, Hans Küng, Rüdiger Safranski, Frank Schirrmacher, Hanns-Josef Ortheil, Martin Mosebach, Klaus Modick, Martin Walser und vielen anderen mehr.
Ernst Jünger ist insofern präsent – er starb ja bereits 1998 -, als ich ausführlich das Werden meiner großen Jünger-Biografie beschreibe, den Entstehungsprozess und die überwältigend positive Aufnahme – von links bis rechts. Ebenso detailliert werden auch meine weiteren Buchprojekte erfasst, so die Hesse-, Rilke- und Luther-Biografien, Jüngers Feldpostbriefe an die Eltern aus dem Ersten Weltkrieg, die Neuedition der Jünger-Bildbiografie bei Klett-Cotta, die Übersetzungen ins Chinesische, Französische und Italienische. Sowie die zahlreichen Lesereisen.
Von Anfang an habe ich meine Aufzeichnungen nicht als reine Reflexionstagebücher angelegt, sondern auch den Alltag des Redakteurs und des Familienvaters miteinbezogen – mit allen Fährnissen, die damit verbunden sind. So gesehen kann man diese Edition auch als eine Comédie humaine lesen.
Vielen Dank, Herr Schwilk!
Zur Person:
Heimo Schwilk, Jahrgang 1952, ist ein deutscher Journalist und Autor. Er gab 1994 mit Ulrich Schacht den kontroversen Sammelband „Die selbstbewusste Nation“ heraus. Bekannt wurde Schwilk mit seinen Arbeiten zu Ernst Jünger.
Heimo Schwilk: Mein abenteuerliches Herz. Manuscriptum, gebunden, 634 Seiten.