„Klassiker der Reaktion sind Schatzkammern“ – Die fünf Lieblingsbücher von Dimitrios Kisoudis
Für viele gilt das Buch immer noch als Allheilmittel für alle Lebenslagen und Gemütszustände. FREILICH-Redakteur Mike Gutsing sagt: Mehr davon! Deshalb sammelt er für FREILICH in einer Sonderreihe die Lieblingsbücher verschiedener konservativer und rechter Akteure und lässt sie vorstellen. Heute präsentiert der Publizist Dimitrios Kisoudis fünf Werke, die ihn besonders beeindruckt haben.
Pedro Calderón de la Barca – Das Leben ein Traum
Politik und Literatur sind untrennbar verbunden. Diego de Saavedra Fajardo war Schriftsteller und Diplomat, im Westfälischen Frieden hob er den modernen Staat mit aus der Taufe. In 100 politischen Emblemen, den Empresas Políticas gibt er den Fürsten Verhaltensregeln. Die emblematische Struktur – aus Devise, Bild und Epigramm – verwandelt er in Erzählung.
Im Habsburger Reich, wo die Sonne niemals unterging, schlug Macht in Weltabwendung und Reichtum in Askese um. Der klösterliche Palast Philipps II. im Escorial bei Madrid ist Ausdruck dieses Umschlags wie die Dramen des Barock, der auf den Tod des Königs folgte. Höhepunkt des Barockdramas: Das Leben ein Traum von Pedro Calderón.
Der König von Polen hat seinen Sohn Segismundo einkerkern lassen, weil er in den Sternen gelesen hat, dass dieser zum Tyrannen werde. Als Segismundo für einen Tag herrschen darf, handelt er tatsächlich wie ein Tyrann. Er landet wieder im Kerker und bekommt gesagt, sein Königtum sei nur ein Traum gewesen. Dort nimmt er das Leben als Traum an und wird ein guter König. Wer hat recht, der jenseitige Fromme oder die diesseitigen Maschinisten der Macht?
Viehisches Vegetieren und äußerste Machtfülle sind nah beieinander. Calderón zeichnet mit weltmächtiger Feder eine Anthropologie der Macht, wie sie später Ernst Kantorowicz oder Giorgio Agamben sachlich auseinandersetzen. Das war also Spanien.
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Jean Paul – Leben Fibels
Jean Paul war der große Stilist unter den deutschen Romanciers. In Zettelkästen verband er sprachliche Bilder mit wissenschaftlichem Material und Kuriositäten zu gedanklichen Konzepten. Ein kleiner, scheinbar anspruchsloser Roman ist sein schönstes Werk.
Das Leben Fibels handelt vom Leben des Gotthelf Fibel, der angeblich die Fibel erfunden hat. Schon als Kind entwickelt Fibel eine Vorliebe für Korrekturbögen, Kalender und Verzeichnisse. Als Jugendlicher beginnt er, ein ABC-Buch zu illustrieren. Jeder Buchstabe ist mit Gegenständen verbunden und mit einem Sinngedicht zu Leben erweckt: Zum Beispiel R: „Der Raben Lied ist: Grab, Grab, Grab. Vom Rettig man den Koth schabt ab.“
Nach dem Erfolg der Fibel schreiben Fibels Fans seine Biografie. Sie richten eine biografische Akademie ein, um das Vorhaben zu institutionalisieren. Roman spiegelt sich im Roman, die fiktionale Biografie wird so unzuverlässig erzählt wie der Roman, dessen Verfahren der Erzähler anfangs offengelegt hat. Zeichen verweisen auf Zeichen. Zum Schluss trifft der Erzähler – in einer Apotheose – die Figur als Greis von 125 Jahren zwischen Tieren:
„Der alte Fibel war abgebrannt, und der rechte Phönix stand da und sonnte die Farben-Schwingen. Er war verklärt auferstanden aus keinem andern Grabe als aus dem Körper selber. Die Welt wich zurück; der Himmel sank heran.“
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Juan Donoso Cortés – Essay über den Katholizismus, den Liberalismus und den Sozialismus
Die Klassiker der Reaktion sind Schatzkammern für Männer, die an der Moderne leiden. Joseph de Maistre, Juan Donoso Cortés und andere Reaktionäre finden sich versammelt in der „Bibliothek der Reaktion“ des Karolinger-Verlags – oft versehen mit legendären Vor- oder Nachworten des Privatgelehrten Günter Maschke.
Bei Donoso Cortés weicht die Hoffnung auf eine Restauration der legitimen Monarchie dem Ruf nach der Diktatur. Er begründet den Katholizismus als politische Theologie gegen die Revolution und nimmt Franco oder Salazar vorweg. Sinkt der Stand auf dem religiösen Thermometer, so steigt er auf dem politischen: Zwang und Unterdrückung folgen, wenn die Menschen an nichts glauben. So führt der Atheismus zur kolossalen Tyrannei.
Bis heute diskutieren Konservative, wer der größere Feind sei: Liberalismus oder Sozialismus. Der liberale Renegat Donoso Cortés verachtet den Liberalismus abgrundtief, setzt ihn aber nie mit der satanischen Bosheit der Revolution gleich. Als eigentlicher Feind erscheint bei ihm – wie in der Katholizismus-Schrift seines Neuentdeckers Carl Schmitt – der Sozialismus.
Zu Recht oder zu Unrecht? Heute treten die beiden Ideologien der Moderne im Globalismus ununterscheidbar zusammen. Der Globalismus bemächtigt sich staatlicher Regulierung und Enteignung ebenso wie des freien Wettbewerbs. Oder des Katholizismus.
Stefan George – Der Siebente Ring
Bis Stefan George war Deutsch die Sprache des Pfarrhauses und des protestantischen Bildungsbürgertums. Der Sohn aus rheinischer Weinhändlerfamilie brachte ins Deutsche einen katholischen Ton und vollbrachte in der Dichtung, was Martin Heidegger in der Philosophie gelang: Sprache mit Boden zu verbinden.
Stefan George weiß die Edelreben des französischen Symbolismus auf seine bäuerlichen Unterlagen aufzupfropfen. Machten die Franzosen bisweilen Kunst um der Kunst willen, so reißt George die Zeichen nach seinen Erstlingszyklen aus dem Zeichenzusammenhang und bezieht sie auf ein Jenseits der Sprache. Immer stärker sind die Gedichte im Zusammenhang mit dem George-Kreis zu lesen, der ein platonischer Staat sein soll.
Das Jahr der Seele (1897) beinhaltet die elegantesten Gedichte. Im Teppich des Lebens (1900) erscheinen die Verse wie auf Wandteppichen verwoben oder in Stein gemeißelt. Der Stern des Bundes (1914), überwiegend reimlos, ist schon zu stark vom Willen zur Ersatzreligion geprägt. Der Siebente Ring (1907) ist zwischen reiner Dichtung und Weltformung der reichste Band. Im Unterzyklus Gezeiten kommt der bäuerliche Symbolismus Georges nach dem Jahr der Seele zum zweiten Höhepunkt:
„In dünnen reihen ziehen bis zum schachte / Erfüllt mit falbem licht die welken hecken / Wie wenn sich viele starren hände recken / Und jede eine zu umschlingen trachte.“
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Alain Robbe-Grillet – Projekt für eine Revolution in New York
Der Roman ist als Bildungsbericht eng verknüpft mit dem bürgerlichen Zeitalter. Formal war er schnell ausgereizt: Erlebte Rede, innerer Monolog, Bewusstseinsstrom, das war es auch.
Alain Robbe-Grillet wollte den letzten Roman schreiben. Er gehörte der Bewegung des Nouveau Roman an, die – vergleichbar mit der Nouvelle Vague im Film – mit den Kategorien der Psychologie brach und auf die beschreibende Wahrnehmung von Handlungsfolgen setzte. Projekt für eine Revolution in New York ist der Roman im Zustand seiner Beendigung. Äußerlich betrachtet, geht es um eine jugendliche Untergrundbewegung, die zur Revolution ansetzt, aber in Gewalt und Zersetzung endet.
Bewegungen erstarren oder werden montiert wie im Filmschnitt. Nicht der Nexus der Handlungen, sondern die Obsession des nackten Mädchenkörpers durchwirkt die Textpassagen wie ein barockes Labyrinth. Emblem und Analogie ersetzen Charakter und Entwicklung. Wie im Film Letztes Jahr in Marienbad, zu dem Robbe-Grillet das Drehbuch schrieb: Die Anordnung von Streichhölzern in einem Rätselspiel geht in das Muster von Hecken in einem Kurpark über. Barock kehrt zurück.
In der Kunst und in der Politik umgeben uns heute Hüllen. Die bürgerlichen Lebensformen lösen sich auf. Wenn neue Lebensformen entstehen, werden neue Kunstformen sie begleiten. Welche? Kehren bei großen Umbrüchen heroische Darstellungsformen wieder? Kommt die Polemik nach dem Ende des Relativismus zurück? Wir werden sehen.
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Zur Person:
Dimitrios Kisoudis, geboren 1981, ist Publizist und parlamentarischer Berater. Neben seiner beruflichen Tätigkeit erforscht er den deutschen Sonderweg.
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