Max Weber, die Deutschen und ihre Ordnungssucht

Am 14. Juni jährt sich zum 100. Mal der Todestag des Soziologen Max Weber. Es gibt wohl keinen zweiten Intellektuellen, der das Wesen der Deutschen derart präzise analysierte und dabei so viele zeitlose Kategorien aufstellte, die noch heute herangezogen werden, um das politische Geschehen zu sezieren.
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Max Weber, die Deutschen und ihre Ordnungssucht

Max Weber: Unspecified / Public domain [Bild zugeschnitten]

Am 14. Juni jährt sich zum 100. Mal der Todestag des Soziologen Max Weber. Es gibt wohl keinen zweiten Intellektuellen, der das Wesen der Deutschen derart präzise analysierte und dabei so viele zeitlose Kategorien aufstellte, die noch heute herangezogen werden, um das politische Geschehen zu sezieren.

Von Felix Menzel

Die Weltrettungsversuche der Bundesregierung unter Angela Merkel (CDU) wurden so häufig als Ausfluß einer „Gesinnungsethik“ angeprangert. Nötig sei stattdessen eine „Verantwortungsethik“, insistierten die Kritiker, denn zur „Berufung“ eines Politikers müsse es gehören, das langfristige Überleben des eigenen Volkes zu sichern. Wer dagegen Politik nur als einfachen „Beruf“ ansehe, habe lediglich die aktuellen Umfragewerte im Kopf oder schiele auf spontane emotionale Zustimmung. Wobei wir gleich beim nächsten Begriff aus Webers Feder angelangt wären: Ist ein Politiker der Gegenwart weiterhin auf „Charisma“ angewiesen oder reicht es aus, wenn er den Staat bürokratisch verwaltet?

Wirtschaft und Gesellschaft

In seinem Hauptwerk Wirtschaft und Gesellschaft, das leider unvollendet blieb und posthum 1922 erschien, widmete er sich ausführlich der „Rechenhaftigkeit“ der rationalen Moderne. In den Behörden setzte dieser Prozess ihm zufolge ein, als sich das Gewaltmonopol etablierte. In den Betrieben dagegen sei die örtliche Scheidung des privaten Hauses und der Geschäftsräume ausschlaggebend gewesen. Weber würdigte dies als die „entscheidendste Leistung des europäischen Kapitalismus“. Es handelte sich um eine „qualitative Einzigartigkeit“.
Aus konservativer Sicht ist das übrigens eine bedenkliche Feststellung. Fern jeder politischen Romantik warnte Weber vor einer Glorifizierung angeblich organischer Gemeinschaften. „Nachbarschaftshandeln ist stets die Ausnahme und nie die Regel“, betonte der Soziologe. Nachbarschaft funktioniere lediglich im „Aufeinanderangewiesensein in der Not“. Gleiches gelte für die Nation. Die „Volksethik“ biete Schutz vor dem Feind. Nicht mehr, nicht weniger.

Massiven wirtschaftlichen Fortschritt bringe indes die rationale Organisation in den Betrieben und Behörden. Eng verbunden sah dies Weber mit der „protestantischen Askese“. Die abendländischen Religionen und insbesondere der Protestantismus und Calvinismus als „gnostische“ Phänomene (Eric Voegelin) hätten gelehrt, in der Gegenwart Verzicht zu üben, um gigantische Projekte in der Zukunft verwirklichen zu können. Dieses Investitionsprinzip sorgte für den Aufstieg Europas in der Neuzeit auf ein vorher für unmöglich gehaltenes Niveau. Dass sich dabei Kapitalismus und Imperialismus im Gleichschritt entwickelten, war für Weber eine logische Konsequenz. Er ignorierte allerdings einen entscheidenden Fakt: Die kolonialistischen Unternehmungen des Westens waren nie profitabel, sondern kosteten am Ende mehr, als sie unterm Strich einbrachten.

Bürokratie und Herrschaft

Trotzdem besticht Webers Werk aufgrund der vielen differenzierten Urteile. „Eine einmal voll durchgeführte Bürokratie gehört zu den am schwersten zu zertrümmernden sozialen Gebilden“, heißt es an einer Stelle. Ihm war also sehr wohl bewusst, wohin gerade die ausgeprägte Ordnungssucht der Deutschen führen kann. Nicht nur die charismatische Herrschaft kann in einer Diktatur münden. Auf die bürokratische Herrschaft trifft dies genauso zu, da die aufgestellten „berechenbaren Regeln“ schnell als alternativlos gelten.

Weber diagnostizierte in Großunternehmen die Tendenz, dass sich die Manager als erste Beamte ihres Betriebs verstehen. Die unternehmerische Freiheit wird damit auf ein Minimum beschnitten. Zu bedenken sei dabei auch: „Jede typische Art von Herrschaft kraft Interessenkonstellation, insbesondere kraft monopolistischer Lage, kann aber allmählich in eine autoritäre Herrschaft überführt werden.“ Facebook, Google und Amazon lassen grüßen. Die Demokratie wird heute nicht mehr von linken oder rechten Populisten bedroht. Konzerne, die einem weltweiten Monopol in bestimmten Geschäftsbereichen sehr nahekommen und über größere Summen als viele Staaten verfügen, dürften einen signifikanteren Einfluss auf die Meinungsbildung und den Gesetzgebungsprozess haben.

Was von Weber bleibt

Bleibt da als Ausweg vielleicht doch nur die Rückkehr zu kleinen, überschaubaren politischen und ökonomischen Einheiten? Zwischen den Zeilen schimmert bei Weber natürlich eine Begeisterung für perfekte Staatsmaschinen durch, die typisch deutsch bzw. preußisch sein dürfte. Dennoch mischen sich hier auch nachdenkliche Töne dazwischen. Er erwähnt in Bezug auf Preußen z.B., dass die Lokalverwaltung günstiger gewesen sei als die Zentralverwaltung. Zudem findet sich der markante Satz, wonach auch der Feudalismus eine Gewaltenteilung gekannt habe. Umso weiter die Modernisierung indes voranschritt, umso stärker fand eine Zentralisierung statt. Die Europäische Union könnte man hierfür als ein aktuelles Beispiel ansehen.

Was bleibt also von Max Weber? Die europäische Zivilisation ist in der Neuzeit in einem Tempo gewachsen, das ihr vermutlich selbst nicht gutgetan hat. Das Paradoxe daran: Jene Kräfte, die Europa einst stark machten, scheinen es jetzt zu zerstören. Mit asketischer Gründlichkeit arbeiten die gegenwärtigen Eliten daran, sich selbst zu schwächen, um andere zu stärken. Dies ist das Leitmotiv hinter der Klima-, Asyl- und Außenpolitik.

Es ist jedoch nicht aussichtslos, dagegen mit einer Politik auf „ethnischer Basis“ anzutreten. Weber, der „ethnisch“ in Anführungsstrichen verwendete, weil er von einem „Glauben an Blutsverwandschaft“ ausging und das gemeinsame Schicksal für wichtiger als die Abstammung hielt, betonte, dass eine solche patriotische Politik mit beliebigem Inhalt aufgeladen werden könne. Dies erweist sich als großer Vorteil, wenn es innerhalb des patriotischen Spektrums scheinbar unüberbrückbare Meinungsverschiedenheiten gibt. Das politische Programm, die ökonomische Ausrichtung und Lebensphilosophie können relativ flexibel der Lage angepasst werden. Vermutlich ist dies der einzige Weg, um das patriotische Spektrum zu einen und ein Gegengewicht zu den bürokratischen Kolossen aufbauen zu können.


Über den Autor:

Felix Menzel wurde 1985 in Karl-Marx-Stadt (heute: Chemnitz) geboren. Er studierte Medien- und Kommunikationswissenschaften, Politik und BWL an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg. 2004 gründete er mit Mitschülern die Jugendzeitschrift Blaue Narzisse (BN). Seit 2009 schreibt der Publizist für die Sezession im Netz. Für die Reihe kaplaken des Antaios-Verlags publizierte Menzel das Band „Medienrituale und politische Ikonen”. Außerdem trat er bei der BN-Anstoß-Reihe in mehreren Bänden als Autor und Herausgeber hervor. 2018 gründete Menzel die Denkfabrik für Wirtschaftskultur Recherche Dresden.


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