Stark: So „kvltig“ ist der Soundtrack zum patriotischen PC-Spiel
Eine Woche nach der Veröffentlichung des patriotischen Indie-Spiele-Hits „Heimat Defender: Rebellion“ kommt nun auch der offizielle Soundtrack von Retro Rebel heraus.
Eine Rezension von Julian Schernthaner
Mehr als 25.000 Mal wurde das neue Spiel von Kvltgames und Ein Prozent, bei dem man in die Rollen bekannter Akteure des patriotischen Lagers schlüpfen kann, trotz der Verbannung von der Spiele-Vertriebsplattform Steam bereits auf seiner Homepage heruntergeladen. Mittlerweile hat der Hype um das 2D-Jump’n’Run längst Form angenommen, es duellieren sich bereits erste Meisterspieler um den schnellsten Spieldurchlauf. Viele Spieler begeisterte allerdings auch die knackige Spielmusik – die nun ebenfalls verfügbar ist.
Drittes „Retro Rebel“-Werk überzeugt auf ganzer Linie
Diesen liefert mit „Retro Rebel“ ein bekanntes Gesicht der patriotischen Gegenkultur. Der Norddeutsche sorgte schon in den vergangenen Jahren mit seinen Veröffentlichungen „Neon Reconquista“ (2018) und „Glitched Utopia“ (2019) für Furore. Nach den Kooperationen mit dem Cyberpunk-Künstler dotl0ki ist der Soundtack zu „Heimat Defender“ jetzt die erste alleinige Arbeit – und weiß trotz üppiger Spielzeit von über 70 Minuten auf ganzer Länge zu überzeugen und wird nie langweilig.
Mit seinem als „Retrowave“ bezeichneten Sound holt er den Synthwave der 80er-Jahre dank düsterer Atmosphäre nicht nur ins 21. Jahrhundert. Sondern er holt sie punktgenau ins die dystopischen 2080er-Jahre der grotesken Zukunftsvision, die im Gegensatz zu dieser Musikreise „hoffentlich nie Wirklichkeit“ wird. Das Soundtrack-Album gibt nicht nur das Gefühl, das Spiel im Kopf noch einmal durchzuspielen, sondern entführt den Hörer in eigene Klangwelten und fesselt nicht nur Genre-Fans.
Abwechslungsreich, eingängig und professionell
Auffällig ist die Vielschichtigkeit der Lieder, deren feinste Nuancen noch deutlicher heraus kommen als beim Zocken. Egal, ob der Bass- oder Gitarreneffekt oder die Synth-Lead-Melodie sich gerade im Vordergrund befindet: die anderen „Instrumente“ erzeugen dahinter erstaunlich mehrdimensionale Atmosphären. Interessanterweise schafft Retro Rebel dies, ohne dabei jemals aufdringlich zu werden, die Abstimmung zwischen mechanischer Simplistik und spaciger Verspieltheit passt einwandfrei. Das Songwriting auch innerhalb der Titel ist für Spielmusik ausgesprochen komplex und doch zugänglich.
Als bestes Beispiel dieser abwechslungsreichen und trotz unorthodoxen Aufbaus eingängigen Machart fungiert wohl der erste absolute Anspiel-Tipp des Albums, „Neo-Connewitz“. Der Abschnitt zeigte im Spiel eine heruntergekommene Antifa-Hölle, durch die sich der Protagonist (an diesem Punkt Alex Malenki) alleine kämpfen muss. Die kraftvolle Hintergrundmusik schafft die sonderbare Situation, dass man sich als Teil einer Garde von Widerstandskämpfern empfindet – und im absoluten Moloch länger verweilen möchte, als es das ebenso geniale wie surreale Level-Design suggeriert.
Zwischen Auflockerung und vielseitigen Ohrwürmern
Dass das Album nicht als Sammlung von Spielmelodien zu verstehen ist, sondern als eigenständiges Kunstwerk betrachtet werden muss, das alle Ansprüche eines „Konzeptalbums“ vereint, zeigt der Abschnitt, der am Anfang der NPC-Fabrik spielt. In der Erzählung des Spiels eine Schlüsselstelle zum Verständnis des feindlichen Regimes, ist sein Hintergrund, was man als „symphonisches Zwischenspiel“ versteht. Denn das Lied dient nicht als Filler, sondern als kleine, willkommene Erholungspause für die Ohren – auf die mit „Implanted Dreams“ der nächste Anspiel-Tipp folgt. Dieser Titel besticht nicht nämlich nur durch seine intelligente popkulturelle Referenz zu „Blade Runner“.
An dieser Stelle bin ich endgültig in das 2084 des Spiels eingetaucht – und noch nicht einmal bei der Hälfte der Platte angelangt. Die Melodie des Liedes durchläuft zwischen Rockmusik, 80er-Synthpop und leicht trancigen Darkwave-Elementen mehrere Genres und beginnt auf einem hohen Niveau, das bis zum Klimax mit mehreren Geschwindigkeiten aufwarten kann. Das Lied könnte auch auf einer handelsüblichen Gothic-Feier der Jugend rauf und runter laufen. Ihm folgt plötzlich ein Titel, der in epischen Filmen ebenso Platz fände wie als Konzert-Ouvertüre einer Metalband.
Kraftvolle Musik zeichnet bedrohliche Welten nach
Viel Erholung bleibt uns nicht, denn nun folgen eine ganze Reihe von Ohrwürmer – begonnen mit „Martin’s Training Montage“ über den gesamten Soundtrack von Globopolis. Weil Retro Rebel jetzt schnellere Tempi spielt und die Gitarre immer öfter einsetzt, vergessen wir nicht nur, dass es ein Synthwave-Album ist, denn mittlerweile könnte die Platte auch ein Industrial-Metal-Monster sein. Die Musik lässt uns auch erleben: Die Welten und der Kampf gegen das Regime werden immer bedrohlicher.
Erst nach dem dritten Endboss Wankerhofer wird es ruhiger – und anschließend experimentell. Hier will uns der Künstler wohl auch sein breites Repertoire vorstellen: Aber keine Sorge – auch Cyber-Funk ist unapologetisch Cyberpunk. Als sich mancher Hörer schon Sorgen macht trifft der Dunkle Ritter dann auf ein Thema, das wir – hier sei nichts verraten – in ähnlicher Form bereits an einer früheren Stelle hörten. Damit ist endgültig der Anspruch eines Konzeptalbums erfüllt.
Einziger Kritikpunkt ist Genre-Beigeschmack
Weil das Album gegen Ende ein wenig abflacht, ergibt sich dann aber der einzige Kritikpunkt – der allerdings auch seinem Charakter als Soundtrack geschuldet ist. Der Spieler will sich konzentrieren – und die Dystopie hat sich längst entfaltet. Man hätte sich hier vielleicht trotzdem aus musischer Sicht ein „Grande Finale“ erhofft.
So kommt man sich ein bisschen wie bei Bathorys „Twlight of the Gods“-Titellied vor: Eine stimmige Abrundung, aber es wäre noch mehr gegangen. Zur Endphase eines Spiels passt es dafür. Langweilig wird einem trotzdem nicht – und man kann kaum glauben, dass bereits über eine Stunde vergangen ist. Nach 25 Titeln endet die öffentliche Version mit einer peppigen Sieg-Melodie. Immerhin.
Bandcamp zensierte bereits – schnell anhören!
Eine Fan-Edition hätte noch sieben Bonuslieder gehabt, die teilweise nicht im Spiel verwendet wurden. Diese löschte aber Bandcamp nur zwei Tage nach dem Release wieder – samt der restlichen Werke von Retro Rebel, die auf dem „Kvltgang“-Kanal waren. Sei es drum: Es ging wohl auch die Angst um, dass das Werk zu vielen gefällt. Denn verstecken muss sich der Künstler nach diesem Magnum Opus wahrlich nicht.
Fazit: absolute Hörempfehlung! Von einer Sternenwertung sehe ich an dieser Stelle ab, da sie den Eindruck eines bezahlten Auftrags hätte. Mich hat’s überzeugt – aber überzeugt euch selbst! Am besten, bevor YouTube auch den Zensurhammer schwingt.
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