Kolumne: Von den Gefahren russischer Bären im Blätterwald

Am gestrigen Samstag dominierte insbesondere ein Thema die weltweiten Schlagzeilen. Der russische Präsident Wladimir Putin besuchte die Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl mit einem steirischen Unternehmer. Anhand der Berichterstattung vieler Medien könnte man davon ausgehen, man befände sich quasi in einem kriegsähnlichen Zustand gegenüber Russland. 
Julian Schernthaner
Kommentar von
19.8.2018
/
4 Minuten Lesezeit
Kolumne: Von den Gefahren russischer Bären im Blätterwald

Für 90 Minuten besucht der russische Präsident Wladimir Putin die Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl. Bild: kremlin.ru [CC BY 4.0} (Bild zugeschnitten)

Am gestrigen Samstag dominierte insbesondere ein Thema die weltweiten Schlagzeilen. Der russische Präsident Wladimir Putin besuchte die Hochzeit der österreichischen Außenministerin Karin Kneissl mit einem steirischen Unternehmer. Anhand der Berichterstattung vieler Medien könnte man davon ausgehen, man befände sich quasi in einem kriegsähnlichen Zustand gegenüber Russland. 

Kommentar von Julian Schernthaner

Jeder Mensch, der über ein wenig Allgemeinbildung verfügt, kennt vermutlich den dystopischen Roman 1984 des englischen Schriftstellers George Orwell. Einigermaßen zu Beginn des Buches konstatiert der Autor: „Ozeanien führte mit Eurasien Krieg: also hatte Ozeanien immer mit Eurasien Krieg geführt. […] Daraus folgte, dass jede vergangene oder zukünftige Verbindung mit ihm undenkbar war.“ Und ähnlich verhält es sich mit dem westlichen Narrativ über Russland, das am besten niemals zu hinterfragen sei.

Das Märchen vom ‚bösen Iwan‘

Denn, so lernt jedes Kind von klein auf: Der ‚böse Iwan‘ steht vor der Tür. Das tut er zwar augenscheinlich schon seit 200 Jahren, ohne anzuklopfen. Aber schon morgen könnte er bis an die Zähne bewaffnet mitten in der Stube stehen. Denn eine potente Militärmacht, die keine Angriffskriege beginnt, die muss man schon im Zaum halten. Was vorgestern ein ’notwendiger Präventivschlag‘ war, war gestern eine Aufrüstung im Patt des Kalten Krieges.

Heute sind es vermeintliche Giftanschläge auf Spione und Wahlbeeinflussungen. Angesichts des Bösen, das im Osten, irgendwo hinter den Drachen schlummert, muss man vorbereitet sein. Alleine wie nahe der menschenverachtende Despot sein Land an amerikanische Armeebasen baut – so ein böser Mensch kann nur ausgesprochen Böses im Schilde führen. Und wehe, er lockt heute mit Öl und Gas – übermorgen holt er der Königin ihr Kind.

Goldlöckchen und der russische Bär

Nur so lässt sich verstehen, wieso westlichen Medien hier offenbar Anleihen bei den besten Märchenschreibern von Grimm bis Southey nehmen. Ja, das sind dieselben Philologen, welche über die Gefahren von kleinen Mädchen in den Wäldern berichten. Wenn das naive Goldlöckchen dem russischen Bär den Brei hinstellt, muss es doch damit rechnen, einst lebendig verspeist zu werden?

Da verfällt doch glatt das arme Rot… äh Blaukäppchen den Verlockungen des bösen Wolfes Wolodja. Man ist sich einig: Das ist ein Hechtsprung direkt in den Magen des gefräßigen Räubers mit der Pelzmütze. Kind, geh‘ deinen Weg zur Oma. Komm nicht vom Wege ab und sprich mit keinen Fremden. Schon im März sorgte dementsprechend die heimische Weigerung, auf Zuruf russische Diplomaten wegen unbewiesener Vorwürfe auszuweisen, für hohe Wellen.

Inszenierter Aufruhr über Putin-Besuch

Der Märchenvergleich steht zwar nirgendwo wörtlich im Blätterwald. Aber zumindest die halbe heimische Parteienlandschaft war wegen des Privatbesuchs in den vergangenen Tagen in Aufruhr. Willig gaben deren Altpolitiker den Journalisten aus aller Welt ihre vermeintliche Bestürzung zu Protokoll. Experten wie der Innsbrucker Russlandexperte Gerhard Mangott sorgten sich um das Ansehen Österreichs.

Heilig in das Echo stimmte insbesondere die Sozialdemokratie. Klubchef Andreas Schieder etwa warf der Außenministerin eine fehlende Trennung zwischen Beruf und Privatleben vor. So lag es auch an den weiterhin ihre Oppositionsrolle suchenden Genossen, eine parlamentarische Anfrage zu den Kosten für den Steuerzahler zu betreiben. Denn, dass die Allgemeinheit dafür auch noch bezahlen muss, ist quasi die Höhe.

Wasser und Wein bei SPÖ – kein Sekt für Bundespräsident

Freilich könnte man das Steuergeld vom Polizeieinsatz für den verkappten Staatsbesuch anderweitig einsetzen. Für Energieringe rund um im Bau befindliche Krankenhäuser etwa. Oder für ‚Men only‘-Schwimmkurse muslimischer Vereine. Russische Politiker hofieren dürfen schließlich auch nur Gesinnungsfreunde wie der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder. Und überhaupt: Als Altbundespräsident Heinz Fischer den Boden in Moskau küsste, waren das auch noch andere Zeiten.

Aber ganz schlimm ist natürlich, dass das heimische Staatsoberhaupt rein gar nichts vom Besuch hatte. Denn Alexander van der Bellen war nicht unter den Gästen. Und ein eigenes Intermezzo mit dem russischen Amtskollegen war ihm diesmal auch nicht vergönnt. Das linksliberale profil, welches bereits vor dessen erfolgreicher Wahl sicher war, es könne „nur einen geben“, band dessen (erzwungene) Abwesenheit gleich in seine Story ein.

Zweierlei Maß

Übrigens: Auch hier zeigt sich die Schieflage in der Bewertung. Denn als das Staatsoberhaupt dem russischen Präsidenten im Juni den roten Teppich ausrollte, hielt sich die Kritik in Grenzen. Obwohl dessen überbordende Freundlichkeit für so manchen Experten wie den bereits erwähnten Mangott durchaus befremdlich wirkte. Aber der ehemalige grüne Bundessprecher gehört eben zu den Guten.

Bei einer Außenressortchefin, welche Interviews auf Arabisch gibt und deren Jungdiplomaten böse Hemden mit Landsknecht-Motiven tragen, sind hingegen andere Maßstäbe zu setzen. Denn da droht künftiges Vassalentum und vollständige Isolation innerhalb Europas, Österreich wird da gleich zum „trojanischen Pferd„.

Österreichs wichtige Vermittlerrolle

Freilich hat die Einladung eines fremden Staatsoberhaupts vermutlich mehr mit einem Publicity-Stunt als der gemeinsamen Leidenschaft für Judo zwischen Bräutigam und dem russischen Präsidenten zu tun. Aber: Sie ist eigentlich positiv zu werten. Informelle Besuche stärken die Gesprächskanäle – und diese sind für ein neutrales Land wie Österreich unerlässlich.

Die Bedeutung Wiens am internationalen Parkett einschließlich UNO-Sitz gründet stark auf der traditionellen West-Ost-Vermittlerrolle unserer Heimat. Wir wären gut beraten, sie nicht auf dem Altar überholter Feindbilder zu opfern. Erst recht nicht auf Zuruf von Leuten, welche anderen Menschen vorschreiben möchten, wer ihnen am schönsten Tag des Lebens beiwohnen darf.


Aktualisierung: In einer früheren Version war die Rede davon, dass Bundespräsident Alexander van der Bellen nicht unter den „geladenen Gästen“ war. Mittlerweile wurde bekannt, dass eine Einladung vorlag – das Staatsoberhaupt jedoch keine Folge leistet. Mehr dazu lesen Sie hier. Wir haben diese Kolumne deshalb nachträglich, den neuen Erkenntnissen entsprechend, geringfügig abgeändert.

Die in Gastbeiträgen geäußerten Ansichten geben ausschließlich die Meinung des jeweiligen Autors wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der Freilich-Redaktion.
Über den Autor
Julian Schernthaner

Julian Schernthaner

Der studierte Sprachwissenschafter wurde 1988 in Innsbruck geboren und lebte sieben Jahre in Großbritannien. Vor kurzem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt ins malerische Innviertel, dessen Hügel, Wiesen und Wälder er gerne bewandert.

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